Durchs Netz gefallen
Wie Ärzte diese Patienten erreichen
Patienten am Rand der Gesellschaft haben andere Versorgungsbedarfe als der Durchschnittspatient. Doch Vertragsärzte sind im Praxisalltag auf diese Gruppe nicht ausreichend vorbereitet.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. In ihrem beruflichen Alltag sollten niedergelassene Ärzte ein besonderes Augenmerk auf Patienten in prekären Lebenslagen richten.
Sonst kann es leicht passieren, dass Menschen durchs Versorgungsnetz fallen - auch wenn sie nicht zu einer offensichtlichen Gruppe mit besonderem Bedarf gehören, wie Wohnungslose oder Flüchtlinge.
Darauf hat Professor Stefan Wilm, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Düsseldorf, aufmerksam gemacht.
"Den niedergelassenen Ärzten kommt bei der Verbesserung der Versorgung eine zentrale Rolle zu", sagte Wilm bei der Tagung "Gesundheitliche Versorgung von Menschen in prekären Lebenslagen" in Düsseldorf.
Sie wurde von den Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, dem nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium und der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen ausgerichtet.
Angebote, die zum Bedarf passen
"Wir müssen Angebote machen, die zum Bedarf der Patienten passen", betonte Wilm. Dass dies im ärztlichen Alltag nicht immer gelingt, machte er an seiner Arbeit in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Köln deutlich.
Wilm betreut eine Familie, bei der verschiedene Risiken - darunter Arbeitslosigkeit, Altersarmut und Pflegebedürftigkeit - die gesundheitliche Belastung der Familienmitglieder erhöht und einen speziellen Versorgungsbedarf nötig gemacht haben.
Dem werde er als Hausarzt nicht immer gerecht, berichtete Wilm. So sei die erwachsene Tochter leicht geistig behindert und scheue sich davor, gleichzeitig mit anderen Menschen in der Praxis zu sein. Er habe es versäumt, ihr ein passendes Angebot zu machen, räumte er ein.
Die Inanspruchnahme sei ein zentrales Problem in der Gesundheitsversorgung. Dabei spielten sowohl fehlende oder falsche Informationen der Patienten eine Rolle als auch negative Vorerfahrungen und eine nicht ausreichende Erreichbarkeit der Angebote, so Wilm.
Bei der Versorgung von Menschen in prekären Lebenslagen stehen die Ärzte vor einer besonderen Herausforderung: Betroffene haben nicht nur einen erhöhten Versorgungsbedarf, sondern auch andere Zugänge zum Gesundheitssystem, erläuterte Professor Nico Dragano, Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie an der Uni Düsseldorf.
"Sie nehmen das System anders in Anspruch und agieren anders als der sogenannte Durchschnittspatient."
Kein Zugang zur Versorgung
Nach Schätzungen nehmen in Deutschland mehrere hunderttausend Personen gar nicht oder nur eingeschränkt an der gesundheitlichen Versorgung teil, sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein Rudolf Henke. "Zu einem solidarischen Prinzip gehört es, dass der Zugang nicht nur denen gewährt wird, die sich auf der Sonnenseite des Lebens befinden", betonte Henke.
Er verwies auf die Entschließung der Landesgesundheitskonferenz aus dem November 2014, die auf eine übergreifende Strategie zur Schaffung eines gleichberechtigen Zugangs zur gesundheitlichen Versorgung zielt .
"Wir möchten uns gemeinsam für eine bessere Versorgung von Menschen in prekären Lebenslagen, wie zum Beispiel Wohnungs- und Erwerbslose, Menschen mit Behinderungen, Flüchtlinge, Asylbewerber oder Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus stark machen", erläuterte er.
Man stehe erst am Anfang eines Prozesses und eines Dialogs, der an vielen Stellen weitergeführt werden müsse, sagte Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne). "Gerade der Umgang mit dieser Zielgruppe zeigt, wie viel unsere Sicherungs- und Versorgungssysteme wert sind."
Dabei sei es wichtig, den Brückenschlag vom Gesundheitswesen zu den anderen gesellschaftlichen Bereichen zu schaffen. "Wenn die Strukturen krank machen, nützt es nichts, nur im Gesundheitswesen zu reparieren", sagte Steffens.
Entscheidend sei die Vernetzung aller Akteure, um die Menschen in prekären Lebenslagen zu erreichen und ihnen bedarfsgerechte Angebote zu machen. Wichtig seien dabei aufsuchende Strukturen, die nicht länger vom Engagement einzelner abhängen dürften. (iss)