TK-Gesundheitsreport

Zeitarbeit setzt vielen Beschäftigten zu

Zeitarbeitnehmer sind körperlich und psychisch deutlich stärker belastet als regulär Beschäftigte, heißt es im neuen Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse. In der Politik werden Rufe nach Konsequenzen laut.

Von Thomas Hommel Veröffentlicht:
Riskant: Auch im Baugewerbe ist Zeitarbeit verbreitet.

Riskant: Auch im Baugewerbe ist Zeitarbeit verbreitet.

© Gina Sanders / stock.adobe.com

Berlin. Zeitarbeitnehmer in Deutschland haben deutlich mehr gesundheitliche Probleme als regulär Beschäftigte. Das schlägt sich auch in einer höheren Zahl von AU-Tagen nieder.

So waren Zeitarbeiter im Jahr 2019 im Schnitt knapp 21 Tage krankgeschrieben. Das sind mit knapp sechs Tagen rund 40 Prozent mehr als in der Vergleichsgruppe normal Beschäftigter.

Zu diesen Ergebnissen kommt der am Dienstag in Berlin vorgestellte neue Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse (TK). Die Studie stützt sich auf die Analyse von Routinedaten und Arzneimittelverordnungen von rund 72 000 bei der TK versicherten Zeitarbeitnehmern. Darüber hinaus wurden mehr als 1400 Zeitarbeiter im Herbst 2019 befragt.

Deutlich mehr Krankschreibungen

„Es ist nach wir vor so, dass Zeitarbeit auf die Gesundheit wirkt“, sagte TK-Vorstandschef Dr. Jens Baas. Angesichts der angespannten Wirtschaftslage aufgrund der Coronavirus-Pandemie erhielten die Ergebnisse weitere Dringlichkeit, so Baas. „Zeitarbeiter sind naturgemäß die Ersten, die ein Unternehmen bei wirtschaftlichen Engpässen verlassen müssen.“ Das könne sich auch negativ auf das psychosoziale Befinden auswirken.

Grund für die hohe Zahl von Fehltagen bei Zeitarbeitnehmern sind vor allem körperlich belastende Jobs am Bau, in der Logistik oder im Transportwesen. Laut Report sind 40 Prozent der Zeitarbeiter in diesen oder anderen Bereichen tätig. Aber auch Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind betroffen. Zuletzt hatte das Land Berlin angekündigt, Zeitarbeitsverhältnisse in der Pflege reduzieren zu wollen.

Der physische Druck durch Zeitarbeit manifestiert sich vor allem in vielen Fehltagen aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen. Laut TK-Report fehlten Zeitarbeiter wegen Rückenleiden 2019 an durchschnittlich knapp 4,4 Tagen – rund 70 Prozent mehr als regulär Beschäftigte. Die Zahl der Fehltage wegen Arbeits- und Wegeunfällen (1,3) sogar fast doppelt so hoch wie die von Nichtzeitarbeitnehmern (knapp 0,7).

Antidepressiva oft verordnet

Zeitarbeitsverhältnisse setzen aber nicht selten auch der Seele der Beschäftigten zu. So waren Zeitarbeitnehmer laut TK-Studie wegen psychischer Diagnosen mit mehr als 3,5 Fehltagen knapp einen Tag länger vom Arzt krankgeschrieben als der Durchschnitt übriger Beschäftigter.

Das zeige sich auch in einem „überdurchschnittlich hohen Verordnungsvolumen von Antidepressiva“, sagte Dr. Thomas Grobe vom aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen.

Zeitarbeiter hätten 2019 mit gut 21 Tagesdosen rund 23 Prozent mehr Psychopharmaka pro Kopf verordnet bekommen als normal Beschäftigte (17,3 Tagesdosen).

Lärm, Schichtarbeit, Pendeln

Hauptbelastungsfaktoren bei Zeitarbeit seien eine schlechte Arbeitshaltung, Lärm, Schichtarbeit, lange Bildschirmarbeitszeit und weite Anfahrtswege. Aber auch „weiche“ Faktoren wie geringe Einfluss- und Entscheidungsspielräume wirkten gesundheitlich belastend, sagte Hannah Tendyck vom wissenschaftlichen Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung.

TK-Vorstand Baas sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Stärkung der aufsuchenden betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) aus. Dabei würden Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz gezielt in rückenschonenden Hebe- und Tragetechniken geschult. Dabei dürfe es aber nicht bleiben, forderte Baas.

Müller-Gemmeke: „Alarmsignal“

„Es liegt nicht so sehr daran, dass der Zeitarbeiter einen schlechteren Stuhl oder Tisch hat, es liegt daran, dass er nicht richtig ins Team integriert ist, zu wenig Weiterbildungsmöglichkeiten oder Angst hat, in zwei Monaten wieder weg zu sein.“ Solchen psychischen Faktoren sei größere Beachtung zu schenken.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Beate Müller-Gemmeke, nannte die Zahlen ein „Alarmsignal“. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) müsse für bessere Rahmenbedingungen bei Zeitarbeitsverhältnissen sorgen. „Leiharbeitskräfte dürfen nicht länger Beschäftigte zweiter Klasse sein.

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