Digitales Arzneikonto
Ärzte nehmen Warnhinweise ernst
Mit einem sektorübergreifenden Arzneikonto lässt sich die Therapiesicherheit erhöhen. Das hat nun die Uni Bielefeld bei einem Modellprojekt in NRW herausgefunden.
Veröffentlicht:BERLIN. Über drei Viertel der Ärzte reagieren auf Meldungen zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und ändern ihre Medikationsentscheidung entsprechend ab.
So lautet eines der Zwischenergebnisse aus dem von Nordrhein Westfalen (NRW) geförderten Projekt "Arzneimittelkonto NRW", das seit knapp zwei Jahren läuft.
Mehr als 1000 Patienten und 35 Haus- und Fachärzte aus NRW sind bislang in das Projekt eingeschrieben, das mit einem sektorübergreifenden, komplett digitalen Arzneikonto arbeitet.
Einschreibevoraussetzung ist, dass die Patienten 65 Jahre oder älter sind und mindestens fünf verschiedene Medikamente einnehmen.
Eine erste Auswertung auf Basis von Verordnungsdaten der teilnehmenden Ärzte von Dezember 2013 bis August 2014 (Daten von 890 Patienten) zeige, dass es pro Praxis und Jahr zu fast 500 AMTS-Meldungen für die eingeschriebenen Patienten kam, berichtete Matthias Leu von der CompuGroup Medical AG (CGM) vor kurzem in Berlin.
Und auf diese Meldungen haben eben 76 Prozent der Ärzte direkt reagiert.
1263 Verordnungen
Arzneimittelkonto NRW
Zielgruppe: Patienten über 65, die mindestens fünf Medikamente einnehmen.
Technik: Über einen zentralen Server erhält der Patient ein persönliches Arzneimittelkonto, auf das alle behandelnden Ärzte, der Patient und künftig auch Apotheke, Pflegeeinrichtungen und Klinik zugreifen können. Alle Daten werden voll verschlüsselt übertragen und gespeichert und sind erst nach der Autorisierung durch den Patienten abrufbar.
Evaluation: Der Uni Bielefeld werden die kompletten – anonymisierten – Verordnungsdaten zur Verfügung gestellt. Diese ermittelt u.a., wie sich das Verordnungsverhalten ändert.
CGM stellt die Technik für das digitale Arzneimittelkonto, das alle behandelnden Ärzte - aber auch der Patient via Smartphone-App - befüllen. Dabei gibt der Patient insbesondere seine selbst gekauften OTC-Präparate ein.
Für die Auswertung der Verordnungsdaten ist die Universität Bielefeld verantwortlich, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. Auffällig ist, dass allein 436 Verordnungen zu immerhin 1489 Warnhinweisen zu möglichen Kontraindikationen geführt haben. Hier steuerten 71 Prozent der verordnenden Ärzte direkt gegen.
Gleichsam verursachten 1263 Verordnungen über 3700 Warnhinweise für eine Doppelverordnung - von 66 Prozent der Ärzte wurde dieser Hinweis direkt in der Arzneitherapie aufgegriffen.
Auch die Daten der PRISCUS-Liste, die Ärzten als Kontrollinstrument zur Vermeidung inadäquater Medikamente (PIM) bei älteren Patienten dienen soll, fließen in die Arzneiprüfsoftware ein.
Im beobachteten Zeitraum kam es zu durchschnittlich neun PRISCUS-Meldungen pro Praxis und Jahr. 36 Prozent der Praxen haben daraufhin ihre Arzneitherapie geändert.
Dass Ärzte nicht jeden Warnhinweis zum Anlass einer neuen Medikationsentscheidung nehmen, kann durchaus gute Gründe haben, wie auch die Universität Bielefeld in ihrem Bericht zur Zwischenevaluation schreibt (der Bericht liegt der "Ärzte Zeitung" vor).
Zum Teil würden innerhalb der Therapie ganz bewusst potenzielle Gefahren in Kauf genommen und beobachtet, da es etwa an Medikationsalternativen fehlt oder es tatsächlich die sinnvollere Therapieentscheidung für diesen Patienten ist. Hin und wieder liegt das Problem aber auch darin, dass eine Facharztmedikation übernommen wird.
Medikamente und Arzneikosten eingespart
Insgesamt konnten im Vergleich zur Medikation vor der Einschreibung ins "Arzneimittelkonto NRW" 14 Prozent bei der Menge der verordneten Medikamente eingespart werden.
Die Arzneikosten wurden sogar um 16 Prozent reduziert - von 529 Euro auf 442 Euro pro Jahr.
"Es ist ja nicht nur so, dass wir dadurch Kosten reduzieren", sagte Leu. "Mit unerwünschten Arzneimittelereignissen ist oft auch ein hohes Leid verbunden."
Und nicht selten endeten diese Wechselwirkungen in einem längeren Klinikaufenthalt oder schlimmstenfalls mit dem Tod.
Geplant ist in der nächsten Stufe des Arzneikontos, dass die Apotheke und Pflegeeinrichtungen - und später dann auch das Krankenhaus - angebunden werden, erklärte Leu.
"Jetzt haben wir die Verordnungsdaten aus den Arztpraxen. Was tatsächlich an den Patienten rausgeht, sieht man aber erst in der Apotheke", so Leu.