Gesundheits-Apps

Anbieter setzen stärker auf Seriosität

Gesundheits-Apps für das Smartphone sind oft im Grenzgebiet zwischen Medizin und Wellness angesiedelt. Es geht auch anders - aber die Politik tut sich schwer damit.

Philipp Grätzel von GrätzVon Philipp Grätzel von Grätz Veröffentlicht:
Immer mehr mobile Gesundheitsanwendungen drängen auf den Markt, die professionelle Anwender als Zielgruppe haben.

Immer mehr mobile Gesundheitsanwendungen drängen auf den Markt, die professionelle Anwender als Zielgruppe haben.

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BERLIN. "Slam", "Circus", "Challenge": Schon die Begriffe, mit denen die Branche der mobilen Gesundheitsanwendungen (mHealth) ihre Leistungsschauen belegt, deuten darauf hin, dass das Feld noch in einem frühen Stadium ist.

Gute Ideen fehlen nicht, die Herausforderung ist, sie zu Geld zu machen, also aus der Phase des Staunens und Beeindruckens herauszukommen und ein echtes Geschäftsmodell vorzulegen.

Bei der Gesundheits-IT-Messe conhIT in Berlin gab es in diesem Jahr gleich mehrere App-Wettbewerbe.

Sie zeigten, dass immer mehr Anbieter auf seriöse Medizin setzen, dass sie Zertifizierungen als Medizinprodukte anstreben oder diesen Status schon haben, und dass sie neben den Patienten auch die Gesundheitsberufe im Blick haben.

Röntgenbilder auf dem Handy

So wurde im "AppCircus", einem der etabliertesten mHealth-Veranstaltungsformate, die App mRay vorgestellt, die sich an medizinische Einrichtungen richtet, in denen viel mit radiologischen Bilddaten gearbeitet wird.

Im Prinzip ist die App ein mobiler Bildschirm für CT-, MRT- und Röntgenbilder aller Art im DICOM-Format. Das machen andere auch, aber hier wurde ein eigenes Streaming-Protokoll entwickelt, das die Nutzung sehr komfortabel macht.

Die App, ein zugelassenes Medizinprodukt, ist zudem mit unterschiedlichen Bildarchiven kompatibel und soll über eine Cloud-Anbindung künftig auch die Weitergabe von Bildern an die Patienten erlauben. Zwanzig Krankenhäuser haben diese Lösung bereits im Einsatz, bis 2018 sollen es 100 sein.

App DermoMedia schon über 10.000 Mal heruntergeladen

Die bisher nur auf Spanisch und Englisch vorliegende App DermoMedia richtet sich ebenfalls unmittelbar an Ärzte, unter anderem an Hausärzte, die Patienten mit Hautkrankheiten selbst versorgen wollen oder müssen.

Es handelt sich um eine Kombination aus Diagnosealgorithmus und sehr umfangreicher, hoch auflösender Bilddatenbank, quasi ein interaktives Lehrbuch mit Diagnoseunterstützung.

Die App wurde zu 8 Euro schon über 10.000 Mal heruntergeladen, auch weil sie von der Fachgesellschaft der spanischen Dermatologen und Venerologen unterstützt wird.

Diagnoseunterstützung für Medizinprofis ist auch der Ansatz von VisualDx, einer US-amerikanischen App, die große Einrichtungen wie etwa die Krankenhäuser des US-Verteidigungsministeriums zu ihren Kunden zählt. Auch diese App bietet im Kern Diagnosealgorithmen, ist also ein Expertensystem, das mittlerweile über 25.000 von Ärzten eingepflegte Befundkonstellationen enthält.

Anders als die häufigen und oft kritisierten Symptom-Checker für Patienten können hier deutlich mehr Befunde eingegeben werden, etwa Laborwerte. Ein großer US-Hersteller von Klinikinformationssystemen, Cerner, hat VisualDx bereits eingebunden.

Komplexe Krankenhaus-IT-Standards wie FHIR und HL7 "Infobutton" werden wie selbstverständlich unterstützt. All das illustriert, wie ernst diese (und ähnliche) Lösungen von professionellen Anwendern in den USA genommen werden.

Der Sieger des conhIT AppCircus war allerdings auch in diesem Jahr eine Patienten-App, nämlich CatchMyPain des Schweizer Start-ups Sanovation. Es handelt sich um ein elektronisches Tagebuch für chronische Schmerzpatienten mit mittlerweile über 130.000 Nutzern.

Neben diversen Funktionen für Dokumentation und Auswertung von Beschwerden gibt es eine Anbindung an die Nutzer-Community, wo sich Betroffene rege austauschen. Im nächsten Schritt sollen jetzt mithilfe von Big Data-Analytik Anwendung für die Diagnoseunterstützung oder die Versorgungsforschung aufgesetzt werden.

Schweigen zur Zertifizierung

Wie schwer sich die deutsche Gesundheitspolitik mit mHealth tut, zeigte eine Podiumsdiskussion zum Thema, die ebenfalls bei der conhIT stattfand.

Inwieweit bestimmte Apps neben der schon recht klar definierten CE-Zertifizierung weitere Zertifizierungen, etwa im Bereich Datenschutz, benötigen, dazu wollte sich weder das Gesundheitsministerium noch die Bundesärztekammer konkret äußern.

Verwiesen wurde stattdessen auf eine in Arbeit befindliche "Bestandsaufnahme", die das Ministerium beim Peter L. Reichertz Institut der Universität Braunschweig in Auftrag gegeben hat und deren Ergebnisse in Kürze vorliegen sollen.

Auch darüber, ob es Handlungsbedarf in Sachen Erstattung von zum Beispiel Apps für die Chroniker-Versorgung gibt, gab es keine klaren politischen Meinungen.

Verwiesen wurde darauf, dass es ja bereits Apps gebe, die erstattet werden, etwa Caterna (Amblyopie) oder TinniTracks (Tinnitus). Das sind freilich, ähnlich wie bei der Telemedizin, Prestigeprojekte einzelner Kassen, keine flächendeckenden Angebote.

Ekkehard Mittelstaedt, Geschäftsführer des Bundesverbands Gesundheits-IT, brachte ein in Dänemark eingeführtes Modell in die Diskussion, wo bestimmte versorgungsunterstützende Apps zunächst einmal zwei bis drei Jahre lang pauschal erstattet werden, bevor dann über eine definitive Erstattung entschieden wird.

Auch damit konnte er die Vertreter von Bundesärztekammer und Gesundheitsministerium aber nicht aus der Reserve locken.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Konkurrenz für Ärzte?

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