BGH-Urteil kein Freifahrtschein für Ärzte
Der Grundsatzbeschluss des Bundesgerichtshofs hat für viel Wirbel gesorgt: Doch auch wenn sich Ärzte nicht strafbar machen, wenn sie Provisionen annehmen - berufsrechtlich verboten ist es trotzdem.
Veröffentlicht:FRANKFURT/MAIN. Vertragsärzte sind keine Amtsträger und keine Beauftragten der Kassen. Diese Feststellung des Bundesgerichtshofs hat viele Fachjuristen überrascht.
Auch den Frankfurter Oberstaatsanwalt Alexander Badle, der hierzu schon immer eine Minderheitsmeinung vertreten hat.
Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob "korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist".
Badle, Leiter der hessischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Vermögensstraftaten und Korruption im Gesundheitswesen, hatte erwartet, dass das Gericht einen Verstoß gegen Paragraf 299 Strafgesetzbuch - Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr - sehen würde.
Dass dies nicht der Fall ist, ist für ihn eine positive Überraschung - die Richter teilen die Auffassung, mit der er bisher ziemlich allein stand. Wahrscheinlich werde jetzt aber große Irritation entstehen.
"Nur nicht vom Strafrecht erfasst"
Einige Medien verstehen die Entscheidung nach seinem Eindruck als Freibrief für die Ärzte, etwa für Arzneiverordnungen Entgelt annehmen zu können. Doch der Beschluss sei "nicht der Untergang des Abendlandes", sagt er, hier handle es sich nicht um einen rechtsfreien Raum.
Zuweisung gegen Entgelt stelle einen Verstoß gegen die Berufsordnungen der Landesärztekammern dar und werde mit einem abgestuften Instrumentarium von Sanktionen geahndet, zudem könnten in solchen Fällen Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz und das Wettbewerbsrecht vorliegen.
"Es ist nur nicht vom Strafrecht erfasst", so der Oberstaatsanwalt. Nach seiner Auffassung ist es weder erforderlich noch wünschenswert, jeden Rechtsverstoß dem Strafrecht zu unterwerfen.
Laut Badle basiert der Beschluss des Gerichts auf einer "präzisen Funktionsanalyse des Vertragsarztsystems". Die Vertragsärzte übten, so die Entscheidung, ihren Beruf in freiberuflicher Tätigkeit aus, auch wenn die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung zur Teilnahme an dieser Versorgung "nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet".
Sie nähmen eine im Konzept der gesetzlichen Krankenversicherung speziell ausgestaltete Zwischenposition ein, die sie von in öffentlichen Krankenhäusern angestellten, aber auch von solchen Ärzten unterscheide, die in einem staatlichen System ambulanter Heilfürsorge nach dem Modell eines Poliklinik-Systems tätig seien.
Auch die Regelungen zur vertragsärztlichen Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln rechtfertigten nicht die Annahme, der Vertragsarzt handle in Ausführung öffentlicher Verwaltung.
Bindung an den Patienten im Vordergrund
Die Verordnung sei unabtrennbarer Bestandteil der ärztlichen Behandlung und sei vom Arzt an seiner Verpflichtung auszurichten, die aus der Berufsordnung folgt - ohne dass die gesetzliche Kasse hierauf einwirken könne.
Dass Vertragsärzte bei der Arzneiverordnung auf die wirtschaftlichen Belange der Kassen Rücksicht zu nehmen hätten, ändere nichts daran, dass die ärztliche Behandlung, in die sich die Verordnung von Arzneimitteln einfüge, in erster Linie im Interesse des Patienten und in seinem Auftrag erfolge. Bei der erforderlichen wertenden Gesamtbetrachtung stehe diese Bindung an den Patienten im Vordergrund.
Der Große Senat für Strafsachen, verkenne aber nicht die grundsätzliche Bedeutung des Anliegens, Missständen, die gravierende finanzielle Belastungen des Gesundheitssystems zur Folge hätten, mit Mitteln des Strafrechts entgegenzutreten. Es sei der Rechtsprechung jedoch versagt, Strafwürdigkeitserwägungen vorzunehmen. Das bleibe dem Gesetzgeber vorbehalten.