Hintergrund
Behandlungsfehler: Gutachter pfeifen auf Arztwillen
Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein gibt Patienten mehr Rechte. Der Arzt kann ein Verfahren nun nicht mehr verhindern.
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Gutachten: Die GAK kann auch ohne Einwilligung des Arztes auf ärztliche Behandlungsfehler prüfen.
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Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler (GAK) bei der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo) testet eine neue Vorgehensweise: Die medizinischen und juristischen Gutachter gehen auch dann dem Antrag eines Patienten auf Feststellung eines Behandlungsfehlers nach, wenn der betroffene Arzt seine Mitwirkung am Verfahren verweigert.
Das berichtete der Vorsitzende der Kommission Dr. Heinz-Dieter Laum bei der jüngsten ÄKNo-Kammerversammlung.
Immer mehr Ärzte widersprechen dem Verfahren
Nach seinen Angaben nimmt die Zahl der Fälle zu, bei denen Ärzte dem Verfahren widersprechen. Von Oktober 2007 bis September 2008 betrug der Anteil noch 3,3 Prozent. Im Berichtszeitraum 2010/2011 waren es schon 6,8 Prozent.
"Meist geschah dies nicht auf eigenen Antrieb des Arztes, sondern auf Betreiben des Haftpflichtversicherers oder auch des Krankenhausträgers", sagte Laum, Präsident des Oberlandesgerichts a.D.
Sie hätten - aus nicht immer mitgeteilten Gründen - kein Interesse an einer außergerichtlichen Streitbeilegung gehabt.
Bislang müssen Patient und Arzt einverstanden sein
Seit ihrer Gründung laufen Begutachtungsverfahren bei der Kommission nur dann, wenn Patient und Arzt damit einverstanden sind.
Ein Patient hatte sich aber beim nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium darüber beschwert, dass ihn die GAK wegen der Weigerung des beteiligten Arztes abgewiesen hatte. Das Ministerium hatte dies als rechtswidrig eingestuft.
Auch ohne Mitwikrung des Arztes
"Auf Beschluss des Kammervorstands führen wir das Verfahren jetzt experimentell auch ohne Mitwirkung des Arztes durch", sagte Laum.
Voraussetzung dafür sei aber, dass der Patient ein solches Vorgehen beantragt und die notwendigen Behandlungsunterlagen vorlegt. Da die Neuerung erst seit September 2011 greift, konnte Laum noch nicht über Erfahrungen aus der Praxis berichten.
"Haftungsrecht und Sozialrecht müssen harmonisiert werden"
Der Jurist betrachtet die zunehmende Diskrepanz zwischen den zivilrechtlichen Anforderungen des Arzthaftungsrechts und den Leistungsbeschränkungen des Sozialrechts mit Sorge. Für ihn gibt es dabei nur einen Ausweg: "Das Haftungsrecht und das Sozialrecht müssen harmonisiert werden."
Das Bürgerliche Gesetzbuch lege mit Paragraf 276 ("Verantwortlichkeit des Schuldners") einen objektiven Bewertungsmaßstab an, der keine Rücksicht darauf nehme, warum der medizinische Standard nicht eingehalten wurde.
Bislang keine Priorisierungsentscheidung
Die nordrheinische GAK sei bislang "Gott sei Dank" davor bewahrt geblieben, Priorisierungsentscheidungen zu treffen, sagte er. Bislang sei es in den entsprechenden Verfahren nur um Vorsorgeuntersuchungen gegangen.
"Da haben wir dem Arzt keinen Vorwurf gemacht, wenn er sich an den Leistungskatalog der GKV gehalten hat", so Laum.
1,2 Prozent mehr Begutachtungsanträge als ein Jahr zuvor
Bei der GAK gingen von Oktober 2010 bis September 2011 insgesamt 1985 Begutachtungsanträge ein, das waren 1,2 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Gleichzeitig stieg die Zahl der erledigten Verfahren um 1,9 Prozent auf 2057. "Wir sind mit dem gestiegenen Geschäftsanfall gut zurecht gekommen", kommentierte Laum.
Quote der anerkannten Behandlungsfehler stieg
Die Kommission schloss 1152 Verfahren durch einen gutachterlichen Bescheid ab. In 324 Fällen sahen die Beteiligten die Sache nach Kenntnisnahme des Fachgutachtens als geklärt an und verfolgten sie nicht weiter.
Die Quote der anerkannten Behandlungsfehler stieg von 28,63 Prozent im Vorjahr auf 33,88 Prozent an. Sie lag damit aber im langjährigen Durchschnitt der GAK von 32,26 Prozent.
1747 Behandlungsvorwürfe
Im Berichtszeitraum waren 1747 Ärzte von einem Behandlungsfehlervorwurf betroffen. Den größten Anteil stellten mit 582 die Chirurgen, gefolgt von den Orthopäden (282) und den Internisten (201).
Bei den Chirurgen wurde bei 32,6 Prozent ein Behandlungsfehler festgestellt.
Überdurchschnittlich hoch waren die Behandlungsfehlerquoten bei allerdings geringen Fallzahlen bei den nordrheinischen Pathologen (fünf Fälle) mit 60,0 Prozent, den Geriatern (16 Fälle) mit 56,3 Prozent und den Dermatologen (zwölf Fälle) mit 41,7 Prozent.