Klinikinsolvenz
Die schwere Wiedergeburt als MVZ
Die Umwandlung von defizitären Kliniken in Medizinische Versorgungszentren oder Pflegeheime steht auf der Agenda der großen Koalition. Ein Krankenhaus im Hochsauerlandkreis ist den Weg schon gegangen.
Veröffentlicht:BERLIN. 2012 war es so weit. Das Krankenhaus St. Georg im Ortsteil Bad Fredeburg der Stadt Schmallenberg im Rothaargebirge musste Insolvenz anmelden. 96 Mitarbeiter hatten dort Patienten in 88 Betten versorgt.
Es gab eine Kurzzeitpflege, eine Rettungswache und sogar einen Hubschrauberlandeplatz an dem Grundversorgungshaus, das mindestens anderthalb Autostunden vom nächsten Maximalversorger in Gießen oder Marburg entfernt lag.
Das Haus hatte zuvor immer stärker an Ansehen verloren, denn es hatte große Schwierigkeiten, gute Ärzte zu gewinnen. Zeitweise arbeiteten dort Mediziner ohne jegliche Deutschkenntnisse. Die Fallzahlen gingen zurück, die Belegung sank immer weiter, zuletzt auf 70 Prozent. "Damit war die Klinik nicht zu halten", sagt Dr. Claudia Schwenzer vom benachbarten Klinikum Arnsberg.
Vom Krankenhaus St. Georg blieb nur eines übrig: ein MVZ mit zwei Arztsitzen in Chirurgie und Psychiatrie. "Es fand sich sehr schnell eine Union von Gesundheitsamt, Kassenärztlicher Vereinigung, Politik und Bürgern, die gemeint haben, dieses MVZ muss jetzt gefördert werden", berichtete Schwenzer beim Strategiekongress des Bundesverbands MVZ zum Thema "Wo ist mein Arzt?" in Berlin.
Das Nachbar-Klinikum Arnsberg, das 2011 als GmbH aus drei Arnsberger Krankenhäusern gegründet worden war, übernahm das MVZ zum Weiterbetrieb in Bad Fredeburg.
Doch auch das MVZ war zu der Zeit in einem desolaten Zustand. Die beiden angestellten Ärzte boten pro Woche 15 bis 20 Stunden Sprechzeit zu wechselnden Zeiten. Unterstützt wurden sie von zwei MFA und zwei Krankenschwestern in Teilzeit.
Röntgen und Sonografiegerät reichten zur Grundversorgung aus, doch: "Die chirurgischen Instrumente waren in einem unbeschreiblichen Zustand und mussten alle zu Beginn gleich weggeworfen werden", so Schwenzer, die das MVZ leitet.
Eine von Schwenzers ersten Maßnahmen war der Rauswurf des Arztes mit wechselnden Sprechzeiten. Dafür hat sie den ehemaligen chirurgischen Chefarzt des Krankenhauses St. Georg angestellt. Der brachte seine Zulassung zur berufsgenossenschaftlichen Versorgung mit.
KV-Erlöse fast verdoppelt
Ein weiterer junger Chirurg aus dem Arnsberger Klinikum übernahm eine Viertelstelle im MVZ. Die Psychiaterin erweiterte ihre Sprechstundenzeiten um ein Drittel. Insgesamt bietet das MVZ nun 50 statt 15 Stunden Sprechzeit an. Zudem wurde eine Röntgenassistentin eingestellt, denn die Qualität der Aufnahmen war so schlecht, dass der Zulassungsentzug drohte.
Es folgte die erste fachliche Erweiterung: Eine Gynäkologin verzichtete auf ihren Arztsitz und arbeitet nun angestellt im MVZ mit. "Die Praxis mit einer zusätzlichen Hebamme ist sehr gut angenommen", so Schwenzer.
Seitdem geht es langsam bergauf mit dem MVZ. Die Stadt unterstützt die Einrichtung durch eine günstige Pacht. Doch nach wie vor ist die wirtschaftliche Situation schwierig. Zum einen ist der Privatpatientenanteil in der Region sehr gering. Im MVZ liegt er bei acht bis 14 Prozent. Aus der KV-Vergütung sei aber keine Kostendeckung erreichbar, so Schwenzer.
Zum anderen sind die Arztgehälter hoch: "Wir bekommen unsere Ärzte nur da hin, wenn wir tatsächlich so viel zahlen, wie sie in der Klinik bekommen. Auch die Oberärzte möchten ihr Oberarztgehalt behalten", so Schwenzer. Doch es lohnt sich: "Die Zuweiser sehen das MVZ als Zukunftsmodell", sagt die Einrichtungsleiterin.
Noch schreibt das MVZ rote Zahlen. Es muss Kredite für den Kauf des gynäkologischen Arztsitzes und für Investitionen tilgen. Die Instandhaltungskosten übersteigen die Erwartungen.
Doch die Umsätze wachsen zügig. Sie folgen der Angebotserweiterung mit sechs bis neun Monaten Verzögerung, wie Schwenzer schildert. Allein die KV-Erlöse haben sich im Jahr 2013 von 60.000 Euro im ersten Quartal auf knapp 120.000 Euro im vierten Quartal fast verdoppelt.
Schwenzer zeigt sich zuversichtlich, dass das MVZ wirtschaftlich arbeiten kann, wenn es wenigstens fünf bis sieben Arztsitze hat. Ein internistischer Sitz sei dringend nötig. Auch Ärzte für Neurologie, HNO, Augenheilkunde, Radiologie, Anästhesie und Schmerzmedizin könnte und möchte das Klinikum Arnsberg zur Versorgung im MVZ einsetzen, "aber die Sitze fehlen", so die MVZ-Leiterin.
Ihr Plädoyer: "Ohne dass wir alle anerkennen, dass der Handlungsbedarf dringlich ist, ist eine ausreichende Versorgung im strukturschwachen Raum nicht möglich."