Bundesverfassungsgericht
Ein Blindenhund darf mit ins Wartezimmer
Ärzte müssen einen Blindenhund in ihrer Praxis dulden – anderenfalls wären Blinde unzulässig benachteiligt, urteilt das Bundesverfassungsgericht.
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Ein generelles Hundeverbot sei in einer Arztpraxis nicht diskriminierend, fand ein Kammergericht. Das Bundesverfassungsgericht war anderer Auffassung.
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Karlsruhe. Eine blinde Frau in Berlin darf mit ihrer Blindenführhündin das Wartezimmer einer Arztpraxis durchqueren, weil sie nur so selbstständig in eine benachbarte Physiotherapiepraxis gelangen kann.
Ein von den Ärzten ausgesprochenes Verbot „ist unverhältnismäßig und benachteiligt sie in verfassungswidriger Weise“, heißt es in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.
Die blinde Frau war in physiotherapeutischer Behandlung. Die Praxis konnte sie entweder durch den Hof über eine Stahlgittertreppe erreichen, oder durch einen Ausgang am Ende des Wartezimmers einer orthopädischen Arztpraxis im selben Haus. Beide Wege waren ausgeschildert.
Vorinstanz bestätigte Hundeverbot
Mit ihrer Führhündin war sie schon wiederholt durch die Praxis und das Wartezimmer gegangen. Eines Tages verboten dies aber die Ärzte. Die Mitnahme von Hunden in die Praxis sei generell nicht erlaubt.
Ihre hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Kammergericht Berlin meinte, ein generelles Hundeverbot sei in einer Arztpraxis nicht diskriminierend. Die Frau könne ihren Blindenhund vor der Praxis anbinden und sich dann von Menschen helfen lassen.
Jedenfalls eine „mittelbare“, also indirekte Diskriminierung liegt aber doch vor, entschied nun das Bundesverfassungsgericht. Das 1994 im Grundgesetz verankerte Diskriminierungsverbot behinderter Menschen sei nicht nur ein Grundrecht, sondern zugleich eine „objektive Wertentscheidung“, die ein bestimmtes Menschenbild vermittle. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention betone die Autonomie von Menschen mit Behinderung.
„Überholte Bevormundung“
„Offenkundig“ verkenne das Kammergericht, dass das Benachteiligungsverbot „Menschen mit Behinderungen ermöglichen soll, so weit wie möglich ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben zu führen“ heißt es in dem Karlsruher Beschluss.
Das Gericht erwarte von der blinden Frau, dass sie sich von wenig bekannten oder gar fremden Personen abhängig macht, anfassen und führen lässt. „Dies kommt einer – überholten – Bevormundung gleich, weil es voraussetzt, dass sie die Kontrolle über ihre persönliche Sphäre (zeitweise) aufgibt.“ Ausreichend rechtfertigende Gründe hierfür gebe es nicht.
„Aus hygienischer Sicht keine Einwände“
Auch einen Hinweis der Ärzte auf die Hygiene ließen die Verfassungsrichter nicht gelten. „Sowohl das Robert Koch-Institut als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft gehen davon aus, dass aus hygienischer Sicht in der Regel keine Einwände gegen die Mitnahme von Blindenführhunden in Praxen und Krankenhausräume bestehen.“
Bedenken gegen diese Einschätzung hätten die Ärzte nicht vorgebracht. Auch der Einwand, der Praxis könne ein „Makel“ unzureichender Hygiene anhaften, gehe fehl. Für die Patienten im Wartezimmer sei es sofort erkennbar, dass die Frau den Raum nur durchquert und hierfür auf den Hund angewiesen ist. (mwo)
Bundesverfassungsgericht: Az.: 2 BvR 1005/18