MDR-Zwischenbilanz
Er(n)ste Lücken im MedTech-Sortiment zu beklagen
Kurz vor der Bundestagswahl präsentiert die Medizintechnikbranche Fakten zur Versorgungslag. Die verschärften EU-Zulassungsregeln haben bereits zu einer unfreiwilligen Sortimentsbereinigung geführt.
Veröffentlicht:Berlin. Bereits vor der Verschiebung des Geltungsbeginns der novellierten EU-Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation/MDR) um ein Jahr auf den 26. Mai dieses Jahres hat die Medizintechnikbranche eindringlich vor einer – auch aus Patientensicht nicht wünschenswerten – Marktbereinigung gewarnt.
Zu heftig könnten die in Folge des PIP-Skandals angezogenen Daumenschrauben für die Branchen sein, könnte manches Sortiment für die Unternehmen schlicht zu teuer werden.
Und in der Tat zeigt die MDR bereits jetzt dramatische Auswirkungen auf den Medizintechnik-Markt. Über 70 Prozent der Mitgliedsunternehmen im Branchenverband BVMed haben aufgrund der MDR-Neuregelungen einzelne Medizinprodukte oder ganze Produktlinien eingestellt.
Das ist das Ergebnis einer aktuellen BVMed-Umfrage, an der sich 88 Mitgliedsunternehmen beteiligt haben. Darüber hinaus gaben 55 Prozent der Unternehmen an, dass bisherige Lieferanten bereits ihre Geschäftstätigkeit aufgrund der MDR eingestellt haben.
Breite Produktpalette betroffen
BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll schlägt angesichts dieser Rückmeldung aus der Branche Alarm. „Wir müssen die im Markt sichtbaren Auswirkungen der MDR sehr ernst nehmen. Es drohen negative Auswirkungen auf die Patientenversorgung. Der Handlungsdruck wächst. Wir brauchen jetzt Lösungen insbesondere für bewährte Bestandsprodukte und seltene Nischenprodukte, wie sie beispielsweise in den USA oder für seltene Arzneimittel in der EU existieren“, so Mölls Plädoyer.
Die Bandbreite der vom Markt genommenen Produktlösungen betrifft nach Verbandsangaben die Bereiche Endoprothetik, Implantate, Erste-Hilfe und der Wundversorgung, Kardiologie, Ophthalmologie, Gynäkologie und Urologie, Proktologie, Neurochirurgie sowie Gastroenterologie. Darunter seien chirurgische Instrumente und Nischenprodukte.
Der Verlust von Lieferanten führte in knapp 38 Prozent der Fälle zu einer Einstellung von Produkten oder sogar ganzen Produktlinien. Weitere Auswirkungen seien notwendige Designänderungen an den Produkten (27 Prozent) und damit einhergehende Auswirkungen auf die Gültigkeit bestehender Zertifikate (26 Prozent).
Rund 60 Prozent aller befragten MedTech-Unternehmen berichten über einen Anstieg der Kosten und der Dauer eines im Zuge der MDR notwendigen Konformitätsbewertungsverfahrens über alle Medizinprodukte-Risikoklassen hinweg. Je höher die Klasse, desto stärker habe sich die Dauer der Verfahren erhöht (55 bis 100 Prozent), während sich die Kosten über alle Klassen hinweg verdoppelt hätten.
Ausnahmen und mehr Förderung gefordert
Im Vorfeld der Bundestagswahl am Sonntag fordert der BVMed für den Bereich der Bestands-und Nischenprodukte unter anderem folgende Lösungen:
Pragmatismus: „Für bewährte Bestandsprodukte müssen pragmatische Lösungen beispielsweise über das Instrument der ‚Anerkennung klinischer Praxis‘ gefunden werden.“
Ausnahmeregelungen: „Für ‚Orphan Devices‘ (Nischenprodukte) muss die Europäische Kommission Ausnahmeregelungen nach dem US-Vorbild der ‚Humanitarian Device Exemption‘ sowie der ‚Orphan Drug‘-Regelungen in Europa schaffen.“
Förderprogramme: Für die die Branche prägenden kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) plädiert der BVMed für spezielle Förderprogramme beispielsweise zur Unterstützung von klinischen Studien. „Diese Förderprogramme dürfen sich nicht nur auf Neuentwicklungen und Innovationen beschränken, sondern müssen Bestandsprodukte einschließen“, mahnt er dabei.