E-Health

Estland als Digitalisierungs-Vorreiter

Standards, Interoperabilität, Abrufrechte: Was soll im digitalen Gesundheitswesen freiwillig sein, was Vorschrift? Beim Europäischen Gesundheitskongress diskutierten Verantwortliche, mit Blick auf europäische Erfolgsbeispiele.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:
Diskutierten auf dem Europäischen Gesundheitskongress über Digitalisierung – von links: Dr. Carlo Conti (Anwalt), Andreas Storm (DAK), Sandra Särav (Wirtschaftsministerium Estland), Dr. Franz Joseph Bartmann (BÄK), Dr. Gottfried Ludewig (BMG), Dr. Peter Gocke (Charité Berlin), Dr. Wolfgang Krombholz (KVB)

Diskutierten auf dem Europäischen Gesundheitskongress über Digitalisierung – von links: Dr. Carlo Conti (Anwalt), Andreas Storm (DAK), Sandra Särav (Wirtschaftsministerium Estland), Dr. Franz Joseph Bartmann (BÄK), Dr. Gottfried Ludewig (BMG), Dr. Peter Gocke (Charité Berlin), Dr. Wolfgang Krombholz (KVB)

© Christina Bauer

MÜNCHEN. Patientenakte, Arztbrief, Rezept - das Gesundheitswesen soll digital und damit effizienter werden. Solche Innovationen müssten nun in die Regelversorgung, forderte Dr. Gottfried Ludewig, Leiter der Abteilung Digitalisierung und Innovation beim Bundesgesundheitsministerium, beim Europäischen Gesundheitskongress in München.

Bis 2021 solle bundesweit die wichtigste Grundlage implementiert werden, die Telematikinfrastruktur (TI). Damit müssten die derzeit entstehenden Einzellösungen, etwa von Kassen und Modellprojekten, dann kompatibel sein.

„Die Frage von Schnittstellen (…) ist mindestens genauso wichtig“, so Ludewig. Nur wenn alle Beteiligten am Ende kommunizieren könnten, gelinge die Datennutzung.

Auch müssten die Rechte an den Informationen eindeutig geklärt sein. „Der Patient ist Herr seiner Daten“, konstatierte Ludewig. Nicht zuletzt solle Deutschland bei der Digitalisierung vorhandene europäische Standards mehr einbeziehen.

Rechte auf Datenzugriffe geregelt

Weniger Arzneiwechselwirkungen, schneller die richtige Behandlung, mehr Effizienz – was Befürworter von der elektronischen Patientenakte (ePA) erhoffen, gibt es in Estland schon. Das Land hat eine transparente Digital-Infrastruktur eingerichtet, wie Sandra Särav vom dortigen Wirtschaftsministerium berichtete.

Bürger könnten alles digital erledigen. Für die Gesundheitsversorgung heiße das: die elektronische ID enthalte auch Daten zu Arzneien, Allergien, Blutgruppe und Vorbehandlungen.

Im Notfall könnten sie direkt abgerufen und vom Rettungswagen an die Klinik gesendet werden. Dort würden die geeigneten Ärzte, Mitarbeiter und Ressourcen organisiert.

„Das macht das System sehr effizient und rettet viele Leben“, sagte Särav. Die Zugriffsrechte würden nach Situation differenziert. „Sie können nur die Daten sehen, für die sie Zugangsrechte haben“, so Särav.

Bei unbefugtem Zugriff drohten Strafen, für Ärzte etwa Zulassungsverlust. Bürger könnten ihre Daten über eine Online-Plattform jederzeit abrufen, und prüfen, ob sich sonst jemand Zugang verschafft hat. Sei das der Fall, könnten sie das melden.

Fast alle nutzen die neuen Möglichkeiten, es gebe etwa de facto nur noch digitale Verordnungen. Gespeichert seien sämtliche Daten dezentral auf hunderten miteinander vernetzten Servern.

Für mehr Sicherheit werde eine KSI Blockchain verwendet. Inzwischen entwickelten andere Länder, etwa Finnland, Aserbaidschan und Namibia, ähnliche Ansätze.

Schweizer Ärzte nicht verpflichtet

So weit sei die Schweiz noch nicht, wie Anwalt Dr. Carlo Conti, früherer Regierungsrat von Basel-Stadt, berichtete. Seit 2017 gebe es aber eine ePA, die von vernetzten Servern abgerufen werde. Bis 2020 müssten alle Kliniken diese nutzen, bis 2022 zudem alle Geburtshäuser.

Die Arztpraxen dagegen dürften die Akte verwenden, müssten aber nicht. Eine Verpflichtung hätten sie nicht akzeptiert. „Da gibt es Widerstand der Standesorganisationen“, so Conti.

Die Ärzte lehnten die Transparenz der elektronischen Akte ab. Nicht zuletzt hätten viele die Sorge, wegen möglicher Mängel von Patienten haftungsrechtlich belangt zu werden. So seien die Kliniken nun schon weit mit der Implementierung, die Praxen weniger.

Die zuständige e-Health Suisse habe zudem Vorgaben für Schnittstellen erarbeitet, etwa für Gesundheits-Apps. Die aber hielten aus Konkurrenzgründen nicht alle Anbieter ein.

„Das führt dazu, dass Interoperabilität nicht durchgehend gewährleistet werden kann“, stellte Conti fest. Bisher sei das Gesundheitssystem zu 24 Prozent digitalisiert.

Digitalisierung braucht einige Ressourcen

Wie Dr. Peter Gocke, Chief Digital Officer der Charité-Universitätsmedizin Berlin, berichtete, benötige die Digitalisierung der Klinik zunächst einige Ressourcen. „Wir arbeiten sowohl an technischen Hürden als auch an der Kultur im Unternehmen (…)“, so Gocke.

Für gute Ergebnisse müssten ganze Behandlungsprozesse digitalisiert werden, nicht nur einzelne Abschnitte, OPs oder Abteilungen. Das erfordere viel Kooperation.

 Die Umstellung käme am Ende aber vor allem chronisch und schwer Kranken zugute, resümiert Dr. Franz Joseph Bartmann, Vorsitzender des Telematikausschusses der Bundesärztekammer.

Besonders sie fänden sich noch oft in der Situation, „weitergereicht“ zu werden, mit ständig neuen Untersuchungen. „Wir brauchen eine gemeinsame Datenbasis, und idealerweise (…) eine gemeinsame Vergütung“, sagte Bartmann.

Zudem waren sich alle einig, dass es für kompatible Formate und Schnittstellen verpflichtende Vorgaben geben müsse. Deren Einhaltung könne über Zuschüsse und Abschläge gesteuert werden.

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