Positionspapier
GKV präsentiert Ideen zur Weiterentwicklung der ambulanten Versorgung
Der GKV-Spitzenverband formuliert eine Wunschliste zur Reform der ambulanten Versorgung. Erklärtes Ziel: Mehr Effizienz angesichts demografischer Entwicklung und Fachkräftemangels. Unübersehbar aber auch der Wille, als Kostenträger stärker in den Behandlungsalltag einzugreifen.
Veröffentlicht:Berlin. Quo vadis ambulante Versorgung? Der GKV-Spitzenverband hat dazu am Donnerstag ein Positionspapier veröffentlicht. Einzelpraxisinhaber vom alten Schlag werden darin an vielen Stellen neuerliche Angriffe auf die Freiberuflichkeit finden. Andere und insbesondere auch nichtärztliche Leistungserbringer dürften dem Ideenkatalog einiges abgewinnen können. Mit Bürokratieabbau ist jedoch sicher nicht zu rechnen, sollten die Anregungen des Kassenverbands Wirklichkeit werden.
„Verbesserung und Stärkung der ambulanten Versorgung“, lautet vielversprechend der Titel des Papiers. „Nach unseren Vorschlägen könnten Patientinnen und Patienten bedarfsgerechter versorgt werden und auch die Ärzteschaft und das Praxispersonal könnten von einer gesteuerten Versorgung profitieren“, betont Verbandsvize Stefanie Stoff-Ahnis.
„Ausreichend Beitragsgelder“
Die „gute Nachricht“ sei, so Stoff-Ahnis weiter, „dass ausreichend Beitragsgelder zur Verfügung stehen, um die Versorgungsstrukturen zu verbessern“. Kommendes Jahr würden die Vertragsärzte mit rund 49 Milliarden Euro entlohnt.
Angesichts von Reinerträgen je Inhaber (referenziert wird hier auf die Destatis-Angabe für 2021: gerundet 237.000 Euro), die im Mittel vierfach höher ausfielen als das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines Vollzeitbeschäftigten in Deutschland, entbehre „die wiederholte und zu großen Teilen ritualisierte Kritik der Ärzteschaft an einer unzureichenden Finanzierung der ambulanten ärztlichen Versorgung jeglicher Grundlage“, heißt es in dem Positionspapier.
Allerdings müsse das Geld „besser verteilt werden“. Detaillierte gesetzgeberische Vorgaben – konkrete Beispiele werden nicht genannt – hätten im ambulanten Markt Fehlsteuerung befördert und „zwischen und innerhalb der Fachgruppen“ zu teils eklatanten Einkommensunterschieden geführt. Daher müsse die Vergütungssystematik noch stärker zugunsten der sprechenden Medizin und zulasten technikintensiver Leistungen angepasst werden.
Pauschalierung intensivieren?
Darüber hinaus sei das EBM-Honorar aber auch hinsichtlich seiner steuernden Funktionen weiterzuentwickeln. So müsse etwa die Pauschalierung intensiviert und müssten die bisherigen Quartalspauschalen auf längere Behandlungszeiträume ausgelegt werden. Dadurch ließen sich Vergütungsanreize zu medizinisch unnötiger Wiedereinbestellung der Patienten mindern.
Die Absage an jegliche Entbudgetierung versteht sich in diesem Zusammenhang fast von selbst. Bis auf besonders förderungswürdige Leistungen müssten – wie gehabt – „alle anderen Leistungen einer robusten Mengensteuerung durch die Budgetierung unterliegen“. Weitere Reformvorschläge des Spitzenverbands, die für Diskussionsstoff sorgen dürften:
Bundeseinheitliche digitale Terminbuchung. Um Praxiszugänge zu erleichtern, solle die derzeit noch individuelle und überwiegend persönliche Terminvergabe durch die Möglichkeit ergänzt werden, Termine jederzeit online buchen zu können. Dazu heißt es: „Grundlage und Voraussetzung hierfür ist ein verbindliches bundeseinheitliches und tagesaktuelles Verzeichnis zu Sprechzeiten, ärztlichen Schwerpunkten und Weiterbildungen. Alle Vertragsärztinnen und Vertragsärzte melden anteilig freie Termine an dieses Verzeichnis.“
Qualitätstransparenz. Besagtes Verzeichnis könnte darüber hinaus – analog zum „Klinik-Atlas“ des Bundes – Versicherte über das Leistungsspektrum sowie die Versorgungsqualität einer Praxis informieren. Mit Daten zur Versorgungsqualität solle zudem ein „Benchmark-System“ gefüttert werden, das Praxisinhaber hinsichtlich „eigener Qualitätsverbesserungsmaßnahmen“ orientiert.
Flexiblere Öffnungszeiten. Sprechzeiten sollten den Bedürfnissen Berufstätiger stärker entgegenkommen. Mit dem Nebeneffekt, dass sich dadurch auch die Inanspruchnahme des KV-Bereitschaftsdienstes oder der Notfallambulanzen entspannt. Die „vertragsärztliche Versorgung durch Arztpraxen und MVZ“ sei „mit einer Flexibilisierung der Sprechstundenzeiten in einem deutlich erweiterten Zeitfenster zu gewährleisten“. Wie weitgehend, wird nur angedeutet: Freie Mittwoch- oder Freitagnachmittage gehörten danach jedenfalls der Vergangenheit an.
Kooperative und delegative Praxisformen. In Zulassungs- und Nachbesetzungsverfahren seien Versorgungskonzepte bevorzugt zu berücksichtigen, die sich „an spezifische Patientengruppen richten und neben ärztlichen auch nicht-ärztliche Leistungserbringende einbinden“: Dabei könne es sich etwa um NäPA, Pflegefachkräfte oder Heilmittelerbringer handeln. Mittelfristig seien derartige kooperative Praxisformen auch in der Bedarfsplanung abzubilden.
Ambulantisierung und Abrechnungstransparenz. Die Forderung nach stärkerer Ambulantisierung bei gleichzeitigem Abbau stationärer Überkapazitäten, ist nicht neu. Die in diesem Zusammenhang erhobene Forderung nach mehr Abrechnungstransparenz über die ambulante gleichwie ambulant-stationäre Versorgung schon eher. Der „Ausbau der Ambulantisierung“, heißt es, müsse „durch ein kontinuierliches Monitoring des Leistungsgeschehens flankiert werden.“ Dazu brauche es „eine zeitnahe Übermittlung und Zusammenführung fallbezogener Abrechnungsdaten“. Und ambulant agierende Kliniken müssten in einer „sektorenübergreifenden Bedarfsplanung“ mit berücksichtigt werden.
Forcierte Digitalisierung. Videosprechstunden sollten „grundsätzlich von allen Vertragsärztinnen und Vertragsärzten angeboten werden.“ In ländlichen Regionen könnten Anlaufstellen eingerichtet werden, an denen Patienten von nicht-ärztlichem Personal bei Video-Zuschaltung eines Arztes („Telekonsil“) „möglichst fallabschließend“ versorgt werden.
Versorgungssteuerung. Von der Digitalisierung versprechen sich die Kassen aber auch neue Chancen der Versorgungssteuerung. Vertragsärzte seien zu verpflichten, Abrechnungsdaten taggleich an die Kostenträger zu übermitteln, heißt es. Derzeit lägen diese Daten erst fünf Monate nach Quartalsende vor. Durch beschleunigte Abrechnungstransparenz seien die Kassen dann in der Lage, „ihre Versicherten individuell beraten (zu) können, welche weiteren Behandlungsmöglichkeiten existieren“.
Nachschärfung des Sicherstellungsauftrages. Den ärztlichen Vertragspartnern sei fachspezifisch „das gesamte Spektrum ärztlicher Leistungen“ abzuverlangen, Rosinenpickerei – wie sie sich „in den letzten Jahren verschiedentlich gezeigt hat“ – zu unterbinden. „So sollte es selbstverständlich sein, dass eine Hautärztin auch am Hautkrebs-Screening teilnimmt, ein Augenarzt eine Untersuchung des Augenhintergrundes vornimmt oder eine operierend tätige HNO-Ärztin auch Adenotomien oder Tonsillektomien durchführt.“ Von daher müsse jedem Fachgebiet ein „Leistungsrahmen“ konkret und sanktionsbewehrt vorgegeben werden. (cw)