Sicherheit am Arbeitsplatz
Gefährdung im Job auf historischem Tiefstand
Eine aktuelle Studie zeigt, wie viel sich beim Arbeitsschutz in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zum Positiven verändert hat.
Veröffentlicht:BERLIN. Wäre es nach Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gegangen, dann hätten sich Praxischefs warm anziehen können und für das Arbeitswohl ihrer Medizinischen Fachangestellten unter Umständen kräftig in den Umbau der Praxisräumlichkeiten investieren müssen.
Mit der von Nahles angestrebten Reform der Arbeitsstättenverordnung wollte sie jedem Beschäftigten einen Arbeitsplatz mit Klofenster und Spind zur Verfügung stellen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zog aber - sicherlich nicht nur zur Erleichterung der ärztlichen Arbeitgeber - Ende Februar dieses Jahres die Reißleine und holte ihre Kabinettskollegin auf den Boden der Tatsachen zurück.
Dass es um Deutschlands Arbeitnehmer gar nicht so schlecht zu stehen scheint, zeigt nun auch die Studie "Arbeitswelt Deutschland - Entwicklung und internationale Einordnung von Indikatoren zur Beschreibung der Qualität der Arbeit" des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).
Eine elementare Mindestanforderung an die Arbeitsbedingungen ist, dass Arbeit nicht krank macht. Hier zeigt die Entwicklung des Krankenstands laut IW-Studie eine langfristig günstige Entwicklung.
Waren 1970 noch im Jahresschnitt 5,6 Prozent der Beschäftigten krankgeschrieben, verzeichnete Deutschland für 2013 einen Wert von nur 3,8 Prozent - die Zahlen beziehen sich auf die arbeitsunfähig kranken Pflichtmitglieder in der GKV und berücksichtigen aktuell nicht mehr die Bezieher des Arbeitslosengeldes II.
Hoher Rückgang bei Invaliditätsziffer
Noch günstiger als beim Krankenstand sei die Entwicklung der Invaliditätsziffer. Diese gibt an, wie viel Prozent der Rentenzugänge aufgrund verminderter Erwerbstätigkeit erfolgen. So mussten 1960 noch 64,5 Prozent - und damit fast zwei von drei Beschäftigten - wegen mangelnder Arbeitsfähigkeit in Rente gehen. 2013 belief sich dieser Wert auf nur noch 21,4 Prozent.
Sowohl beim Krankenstand als auch bei der Quote der Erwerbsminderungsrenten spielen nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern auch die allgemeinen Verbesserungen im Gesundheitswesen und die gesündere Lebensweise eine wichtige Rolle, wie der Studienautor betont.
Bedenke man dies, den demografischen Wandel und die Tatsache, dass allein seit Anfang der 1990er-Jahre die Lebenserwartung der 60-Jährigen um rund drei Jahre gestiegen sei, stelle die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre keine Zumutung der jetzigen Erwerbstätigen-Generation dar, konkludiert er.
Auch ist die Arbeit in den Betrieben sicherer geworden, wie aus der Studie hervorgeht. Habe die Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle je einer Million Arbeitsstunden 1969 noch bei 54,2 gelegen, so sei dieser Wert 2012 auf 15,5 zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum sei die Zahl der tödlichen Berufsunfälle von 2622 allein in Westdeutschland auf 466 im vereinten Deutschland zurückgegangen.
Explizit wird in der Studie auf die Investitionen der Betriebe in bessere Arbeitsbedingungen sowie die Präventionsmaßnahmen der gesetzlichen Unfallversicherung verwiesen, die diese Entwicklung bei der Arbeitssicherheit begünstigt hätten. Ausgeblendet wird das in den letzten Jahren zumindest von großen Konzernen massiv verstärkte Engagement in Sachen Betriebliches Gesundheitsmanagement, womit die Belegschaft auf Dauer gesund erhalten werden soll.
Klare Absage an neue Arbeitsverordnungen
"Die Bilanz der Entwicklung der Arbeitsqualität ist eindeutig: Dank guter Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt haben nicht nur mehr Menschen einen Job, sondern gleichzeitig auch steigende Löhne und immer bessere Arbeitsbedingungen", kommentiert INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr die Studienergebnisse.
Dies verbindet der ehemalige Sprecher und Geschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels mit einem Seitenhieb auf Nahles: "Neue Arbeitsverordnungen oder verschärfte Arbeitsschutzgesetze sind unnötig und widersprechen dem Deutschland-Prinzip."
Einen negativen Trend hat die Studie dennoch am deutschen Arbeitsmarkt identifiziert - und zwar bei den Berufskrankheiten. Dort habe sich die Zahl der Verdachtsfälle zwischen 1960 (damals nur Westdeutschland) und dem Rekordjahr 1993 mehr als verdreifacht. Seitdem sei die Zahl der möglichen Berufskrankheiten aber wieder um ein Drittel gesunken.
Von etwas geringerem Ausmaß sei das Auf und Ab bei den anerkannten Berufskrankheiten. Hier sei der höchste Wert erst 1995 zu verzeichnen gewesen. Heute gebe es wieder ein Drittel weniger Anerkennungsfälle.
Der zeitweilige deutliche Anstieg der Berufskrankheiten sei nicht unbedingt ein Zeichen einer stärkeren Gesundheitsbelastung im Job, sondern könnte auch Folge einer medizinischen Diagnostik sein, die es überhaupt erst ermöglicht, chronische Erkrankungen mit berufs- oder betriebsspezifischen Belastungen in Zusammenhang zu bringen.