BMC-Kongress
"Gesundheitssysteme lassen sich nicht zentral führen"
Ärzte sollten gewappnet sein, wenn in der nächsten Legislaturperiode tatsächlich die Sektorengrenzen aufgebrochen werden. Wenn nicht, könnten die Kliniken das Heft des Handelns in die Hand nehmen.
Veröffentlicht:BERLIN. Bei den anstehenden Veränderungen im Gesundheitswesen hin zu wirklich sektorübergreifender Versorgung könnten kleinere Praxiseinheiten die Verlierer werden – wenn sie es nicht schaffen, Versorgung gemeinsam zu organisieren. Profitieren könnten in diesem Fall zum Beispiel die Krankenhäuser.
Kleine Praxen allein seien für Krankenkassen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle und daher als Partner wenig interessant – diese Thesen waren beim diesjährigen Jahreskongress des Bundesverbandes Managed Care (BMC) in Berlin immer wieder zu hören.
"Man braucht eine oberhalb der Einzelpraxis stehende Organisationsform, die den Versorgungsprozess auf regionaler Ebene über alle Sektoren hinweg in die Hand nimmt, von der Prävention, über die akute Behandlung bis hin zur Betreuung chronisch Kranker und zur Nachsorge nach schweren Erkrankungen", äußerte sich auch Dr. Helmut Hildebrandt, Vorstand der Gesundheits-Managementgesellschaft OptiMedis und Autor des Buches "Kooperation und Integration – das unvollendete Projekt des Gesundheitssystems", am Rande des BMC-Kongresses.
Das gesamte Vergütungsdenken und die konkrete Vergütungspraxis im Gesundheitswesen sei auf dem Niveau des letzten Jahrhunderts in den Einzelsektoren stecken geblieben, kritisiert Hildebrandt. Die einzige Ausnahme seien populationsbezogene Integrationsverträge über eine Vollversorgung, wie sie in einzelnen Regionen, etwa im Gesunden Kinzigtal, von Arztnetzen mit Krankenkassen abgeschlossen worden seien.
In diesen Regionen gebe es eine Art "Generalunternehmer", der die Verantwortung für den gesamten Versorgungsprozess übernimmt. Es habe sich gezeigt, dass mit solchen Ansätzen die Qualität der Versorgung sektorübergreifend gesteigert werden kann und so auch die Kosten gesenkt werden können.
"Gesundheitssysteme lassen sich nicht zentralistisch organisieren, dazu sind die Lebensbedingungen in den Regionen zu unterschiedlich", ist Hildebrandt überzeugt – ländliche Gebiete wie der Schwarzwald brauchen ganz andere Versorgungsschwerpunkte als Stadtteile mit sozialen Brennpunkten wie in Hamburg Billstedt-Horn.
Regionale Ansätze als Lösung?
In vielen Teilen der Welt würden daher regionale Ansätze verfolgt, um Versorgungsdefiziten zu begegnen, in den USA etwa mit inzwischen über 800 Accountable Care Organisations. Auch in Großbritannien gebe es angesichts der Krise des NHS derzeit energische Versuche, mehr Verantwortung in die Regionen zu geben.
In Deutschland könnten regionale Ärzteverbünde solche Versorgungsformen voranbringen – eventuell auch in Verbindung mit den Kommunen. Auch Krankenhäuser könnten als Treiber solcher regionaler Konzepte auftreten und niedergelassenen Ärzten so das Heft des Handelns aus der Hand nehmen.
Hildebrandt glaubt, dass der Gesetzgeber mehr Qualitätsanreize für Krankenkassen setzen sollte – zum Beispiel, dass sie von der Ergebnisqualität der Versorgung her für die Versicherten vergleichbar werden.
Das Bundesversicherungsamt brauche aber auch neue Vorgaben, die es aktiv anstacheln, von den Krankenkassen einen bestimmten Prozentsatz von populationsorientierten IV-Verträgen abzuverlangen. Solche Zielvorgaben hätten sich in anderen Ländern sehr bewährt, um die sektorübergreifende Integration der Versorgung schneller voranzubringen. (ger)