Intersektorale Kooperation
Integrierte Versorgung steht und fällt mit der Digitalisierung
Die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen will die Digitalisierung im Versorgungsalltag vorantreiben. In einem Positionspapier warnt sie vor dem Bremsfaktor Standesdünkel und fordert eine Bundesagentur für Digitalisierung.
Veröffentlicht:BERLIN. Um das Potenzial der Integrierten Versorgung sektorübergreifend voll ausschöpfen zu können, bedarf es der konsequenten Nutzung digitaler Werkzeuge. Das hebt die Deutsche Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen (DGIV) in einem im Zuge ihres 14. Bundeskongresses veröffentlichten Positionspapier hervor. Die DGIV verknüpft dies mit dem dramatischen Appell an die politischen Akteure, in puncto Digitalisierung des Gesundheitswesens deutlich mehr Tempo auf die Straße zu bringen. Derzeit sei das Gesundheitswesen die Branche mit dem geringsten Digitalisierungsgrad in Deutschland.
Knackpunkt Interoperabilität
"Der digitale Wandel in unserer Gesellschaft wird zunehmend auch auf die Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen Einfluss nehmen. Das gilt im besonderen Maße für den Schnittstellenbereich von ambulant und stationär in der medizinischen und pflegerischen Versorgung", konkretisiert die DGIV die Herausforderung. Der Prozess der Digitalisierung im Gesundheitswesen könne dabei nur durch eine koordinierte Zusammenarbeit der Kooperationspartner vollzogen werden. Ein grundlegender Aspekt sie hierbei die Gewährleistung der Interoperabilität. Digitalisierung brauche vereinheitlichte IT-Grundlagen, basierend auf bundesweit einheitlichen Standards – IHE, HL7, DICOM – und eine bundesweit verbindliche E-Health -Strategie, die konkrete Maßnahmen mit Umsetzungsfristen, gefolgt von Evaluierungszyklen, festlege. Standesdünkel – von welcher Akteursseite auch immer – wirke nur als Bremsfaktor, mahnt die DGIV.
Ebenso mahnt die Gesellschaft, sektorale Scheuklappen abzulegen, um Fortschritte in der intersektoralen, integrierten Versorgung zu erreichen. "Je länger wir in unserem Denken in den alten sektoralen Strukturen verharren, umso geringer sind die Effekte zur Steigerung von Effizienz und Effektivität der gesundheitlichen Versorgung. Der Prozess der Digitalisierung muss deshalb einhergehen mit dem Prozess der Überwindung der sektoralen Versorgungshindernisse. Die Digitalisierung der gesundheitlichen Versorgung muss deshalb so schnell wie möglich auch auf die Digitalisierung der sektorenübergreifenden Versorgung und Bedarfsplanung ausgelegt werden", heißt es im Positionspapier.
Von staatlicher Seite fordert die Vereinigung, bei der Digitalisierung in Legislative und Exekutive eine gleichermaßen kompetente wie aktive Rolle einzunehmen. Noch fehle es hier an ausreichenden gesetzlichen Vorgaben und an einer koordinierten integrierten Zusammenarbeit, auch auf der Ebene der Bundesministerien, moniert die DGIV.
Die neue Regierung müsse hier besser und kompetenter arbeiten als ihre Vorgängerin. In ihrem Positionspapier gibt ihr die DGIV auch klare Handlungsempfehlungen an die Hand: "Für den Digitalisierungsprozess in Deutschland sollte eine bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Bezeichnung ‚Bundesagentur für Digitalisierung‘ eingerichtet werden, die der Rechtsaufsicht des Bundeswirtschaftsministeriums unterliegt, eng mit den für Gesundheit, Bildung und Forschung zuständigen Bundesministerien zusammenarbeitet und in einem noch näher zu bestimmenden Umfang die Fachaufsicht mit Weisungsrecht in Angelegenheiten der Koordinierung des Digitalisierungsprozesses in Deutschland ausübt."
Die DGIV streut damit Salz in die Wunde des Bundesgesundheitsministeriums. Denn Ende Mai – und damit kurz vor dem ersten, vom Bundeswirtschaftsministerium federführend ausgerichteten Digital-Gipfel der Bundesregierung in Ludwigshafen im Juni – verpasste Ressortchefin Brigitte Zypries (SPD) ihrem Ministerkollegen Hermann Gröhe (CDU) eine verbale Klatsche. "Was die Digitalisierung angeht, kommt aus dem Gesundheitsministerium zu wenig", sagte Zypries im Kontext der Vorstellung des Eckpunktepapiers "Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft", mit dem sich das Ministerium weit auf das Terrain des Gesundheitsministeriums vorwagte.
Ausschuss soll kontrollieren
In ihrem Positionspapier mahnt die DGIV eine starke Kontrolle an: "Der Prozess der Digitalisierung im Gesundheitswesen sollte organisatorisch von einem unabhängigen Gremium (‚Digitalisierungsausschuss Gesundheit‘) unterstützt werden, in dem nach einem noch zu bestimmenden Schlüssel Vertreter der Bundesagentur für Digitalisierung, des Bundesministerium für Gesundheit, der Selbstverwaltung, der Industrie und der Bürger zusammenarbeiten." Denn gerade in der im Gesundheitswesen weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanzierten Digitalisierung müsse Planung und Controlling mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes erfolgen. Wertintensive Fehlinvestitionen wie bei der Entwicklung der elektronischen Gesundheitskarte stießen daher auf wenig Verständnis.
Zur Zielführung und Beschleunigung der Digitalisierung seien, so die letzte Handlungsempfehlung, konkrete Digitalisierungsziele, -schritte und -termine für die wichtigsten Wirtschaftsbereiche – darunter auch das Gesundheitswesen bzw. die Gesundheitswirtschaft – vorzugeben und in eine E-Health-Strategie zu gießen. Diese Vor- und die Aufgaben sowie Befugnisse der Bundesagentur für Digitalisierung und des Digitalisierungsausschusses seien durch Gesetz zu bestimmen, so die DGIV.