DEGAM-Präsidentin im Interview
"Junge Ärzte haben heute viele Optionen"
Sie verkörpert quasi die Allgemeinmedizin in Deutschland: Mit der "Ärzte Zeitung" spricht die neue DEGAM-Präsidentin Professor Erika Baum über Chancen für junge Ärzte - und ihre eigenen, ganz persönlichen Anfänge.
Veröffentlicht:Professor Erika Baum
Aktuelle Position: Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM); bereits seit 2010 war sie Vize-Präsidentin, zuvor Sprecherin der Sektion Studium und Hochschule
Ausbildung: Studium der Humanmedizin in Gießen
Werdegang: Baum ist seit 1988 niedergelassen tätig in einer hausärztlichen Gemeinschaftspraxis in Biebertal bei Gießen, seit 1990 Professorin für Allgemeinmedizin an der Universität Marburg. Seit 2001 leitete sie die dortige Abteilung für Allgemeinmedizin; ihre Verabschiedung aus dem Amt in den Ruhestand ist für den 26. Oktober geplant.
Ärzte Zeitung: Als neue DEGAM-Präsidentin verkörpern Sie quasi die Allgemeinmedizin in Deutschland . Dabei hat deren Image über viele Jahre gekränkelt. Wem haben Hausärzte es heute zu verdanken, dass sich das langsam umkehrt?
Prof. Erika Baum: Zunächst einmal sind unsere Patienten unsere besten Verbündeten. Sie bewerten ihren Hausarzt sehr gut. Dann ist da die langsam in immer mehr Kreisen spürbar werdende Gefahr der hausärztlichen Unterversorgung. Auch an der Universität haben wir durch gute und engagierte Lehre sowie qualitativ hochwertige und für die Versorgung hilfreiche Forschung das Image verbessern können. Letztlich hat die Politik erkannt, dass ohne gute und im Versorgungskontext fest etablierte Allgemeinmedizin das System viel schlechter und teurer funktioniert und ineffizient arbeitet.
Aus Ihrem Amt als Leiterin des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Marburg verabschieden Sie sich Ende des Monats in den Ruhestand – nach über 34 Jahren in Forschung, Lehre und Praxis. Was hat sich gerade für junge Ärzte getan in den letzten Jahrzehnten?
Baum: Vor allem können sie sich ihre Stellen heute viel leichter aussuchen als früher. Es gibt außerdem die Möglichkeit, längerfristig als angestellter Arzt im KV-Bereich zu arbeiten, was früher nur in seltenen Ausnahmefällen möglich war. Ich war übrigens eine solche Ausnahme: Während ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Einsatz war, führte meine Chefin, die eine 60%-Stelle als Professorin für Allgemeinmedizin an der Uni Gießen hatte, ihre Hausarztpraxis in Biebertal. Durch ihr Engagement an der Uni bekam sie die Erlaubnis, eine Entlastungsassistentin in Teilzeit anzustellen und auch, dass ich in der Praxis mitarbeiten durfte. So waren wir drei Frauen in der Praxis: eine Chefin und zwei Angestellte, die sich die Arbeit dort teilten.
Heute gibt es viel öfter solch verschiedene Möglichkeiten, unterschiedliche Tätigkeiten miteinander zu kombinieren oder Arbeit zu teilen. Auch der Bereitschaftsdienst ist flächendeckend so geregelt, dass niemand gegen seinen Willen mehr häufig Dienste leisten muss.
Das klingt, als hätte es der junge Arzt heute wesentlich leichter als früher?
Baum: Die jungen Kollegen haben auf alle Fälle deutlich mehr Optionen und sind aufgrund des Stellenmarktes in einer günstigen Verhandlungsposition. Der Medizin-Betrieb insgesamt und auch die Patienten sind aber auch deutlich anspruchsvoller geworden.
Wie schätzen Sie die Situation der Weiterbildung ein – auch mit einem Blick auf Ihre eigenen Anfänge?
Baum: Es ist gut, dass es heute eine Weiterbildungspflicht gibt. Damals konnte man sich ja noch als praktischer Arzt niederlassen. Ich selber habe freiwillig die Weiterbildung für das Fach Allgemeinmedizin durchlaufen und fand das sehr wichtig und hilfreich. Die Qualität der Weiterbildung in allen Fächern muss allerdings weiter verbessert werden – dann kann sie durchaus auch gestrafft werden. Hier brauchen wir einen Kulturwandel bei der Einstellung zur Weiterbildung allgemein und deren Finanzierung.
In der Allgemeinmedizin sind wir hier allerdings schon sehr viel weiter als in anderen Fächern. Wir müssen den Mut haben, diesen Weg konsequent weiter zu gehen.
Wo besteht – auch in der Allgemeinmedizin – noch Nachholbedarf?
Baum: Die Weiterbildung muss nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität strukturiert und durch obligate Seminarprogramme, Mentoring und Schulung der Weiterbilder verbessert werden. Wir bieten in Hessen, aber auch in anderen Bundesländern solche Programme an, die allerdings freiwillig sind. Die Niederlassung als hausärztlicher Internist ohne spezifische und ausreichend lange Vorbereitung sehe ich als hochgradig problematisch an.
Problematisch ist aber auch das Sponsoring von Fortbildungsveranstaltungen oder -medien durch die Pharmaindustrie. Niemand glaubt doch ernsthaft, dass diese Firmen Geld zu verschenken haben. Es gibt also immer den Hintergedanken des "Return on Investment", dass sich die Investition also für das eigene Unternehmen lohnt – das ist mit echter Unabhängigkeit des Fortbildungsangebotes nicht kompatibel und im Übrigen auch nicht fair gegenüber solchen Angeboten, die eigenfinanziert sind.
Inwiefern können jungen Ärzten Vorbilder, also erfahrene Kollegen wie Sie, helfen – etwa wenn es darum geht, solche Probleme zu erkennen?
Baum: Für den einen sind Vorbilder wichtig, für den anderen weniger. Ich halte es für wichtiger, dass verschiedene Modelle sichtbar und möglich sind und sich jeder aussucht, was individuell am besten passt. Wichtig ist auch, dass andere Fächer mit Respekt behandelt werden – hier gibt es leider immer noch unqualifizierte Seitenhiebe. Niemals sollte man versuchen, jemanden möglichst genau zu kopieren. Wir sind Menschen mit sehr individuellen Stärken und Schwächen und sollten versuchen, damit den besten Weg zu finden.
Sehen Sie die Notwendigkeit einer bundesweiten Einheitlichkeit der Weiterbildung?
Baum: Absolut. Es ist ein Unding, dass Kollegen bei Wechsel des Bundeslandes eine Menge Bürokratie bewältigen müssen oder auch teilweise Schleifen einlegen oder Stellen absagen müssen, weil Details in verschiedenen KV-Bereichen unterschiedlich ausgelegt werden. Wir hatten das Beispiel, dass ein Kollege bei einem Wechsel von Bayern nach Stuttgart die bereits geleisteten und in Bayern anerkannten Notfalleinsätze im anderen Bundesland nicht anerkannt bekommen hätte, weil er einen bestimmten Kurs noch nicht absolviert hatte, der in Bayern beliebig terminiert werden kann, in Baden-Württemberg aber obligat vor den Notfalleinsätzen liegen muss.
Abschließend noch ein Rat aus Ihrer Erfahrung: Was möchten Sie jungen Medizinern mit auf den Weg geben?
Baum: Allgemeinmedizin ist ein spannendes Fach, das nie langweilig wird. Neben der Vielfalt ist es vor allem die gute und langfristige Beziehung zu unseren Patienten, die eine schöne und lohnende Aufgabe darstellt. Und auch die Arbeit im Praxis-Team und mit all den anderen Akteuren wie Pflegediensten, Angehörigen, Physiotherapeuten, Sozialarbeitern ist immer wieder interessant und bereichernd.