Projekt CORD-M
Mehr Durchblick bei Seltenen Erkrankungen dank Digitalisierung?
20 Universitätskliniken und weitere Partner haben sich im Projekt CORD-MI (Collaboration on Rare Diseases) deutschlandweit zusammengeschlossen, um die Patientenversorgung sowie die Forschung im Bereich der Seltenen Erkrankungen zu verbessern.
Veröffentlicht:Berlin. Oft dauert es Jahre, bis Patienten mit Seltenen Erkrankungen die richtige Diagnose erhalten. Hinzu kommt dann oft, dass eine wirksame Therapie in den meisten Fällen fehlt und Forschung aufgrund der geringen Fallzahlen nur beschränkt möglich ist.
Das wollen 20 Universitätskliniken unter Leitung des Berlin Institute of Health (BIH) nun ändern – und zwar mittels Digitalisierung. Sie haben sich laut BIH mit weiteren Partner im Projekt CORD-MI (Collaboration on Rare Diseases) deutschlandweit zusammengeschlossen, um die Patientenversorgung sowie die Forschung im Bereich der Seltenen Erkrankungen zu verbessern.
Forschungsministerium schießt sechs Millionen Euro zu
Seit Februar fördere das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) CORD-MI mit knapp sechs Millionen Euro für zwei Jahre. Das Projekt baut, so das BIH, auf den Infrastrukturen der Medizininformatik-Initiative (MII) des BMBF auf und hat das Ziel, alle bundesweit anfallenden Informationen zu Seltenen Erkrankungen aus Diagnostik, Behandlung und Forschung gemeinsam datenschutzkonform nutzen zu können.
Informationen zu den verschiedenen Orphan Diseases gibt es viele. Denn: Viele Unikliniken haben in den letzten Jahren auf der Basis des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE) Zentren für Seltene Erkrankungen gegründet, in denen Betroffene Hilfe finden.
Doch manch Seltene Erkrankung sei so selten, dass selbst in diesen spezialisierten Zentren nur ganz wenige Fälle jeweils einer Krankheit aufträten. Umso wichtiger sei es, die wenigen vorhandenen Daten zu einer Seltenen Erkrankung effizient zu nutzen. Und genau da setze CORD-MI an. „Wir kümmern uns darum, dass die Strukturen der Medizininformatik-Initiative und andere Digitalisierungsfortschritte auch den Zentren für Seltene Erkrankungen an den Universitätskliniken zugutekommen“, verdeutlicht Dr. Josef Schepers, stellvertretender Leiter der Core Unit E-Health und Interoperabilität im BIH und Koordinator von CORD-MI.
„Gerade bei medizinischen Diagnosen, die in ganz Deutschland vielleicht nur hundertmal vorkommen, kann die digitale Vernetzung äußerst hilfreich sein“, ergänzt er.
Übliche Diagnose-Codes versagen
„In komplexen Systemen kann man nur verbessern, was man messen kann. Und hier stockt es bei den ‚Waisenkindern der Medizin‘ schon, weil sie mit den üblichen Diagnose-Codes nicht richtig gezählt werden können“, klagt Schepers. Es sei dringend notwendig, dass die Seltenen Erkrankungen mit Orpha-Kennnummern in der normalen klinischen Versorgung differenziert dokumentiert würden, damit die Patientendaten standortübergreifend und datenschutzkonform genutzt werden könnten.
„Die angemessene Dokumentation und die digitale Vernetzung der Zentren für Seltene Erkrankungen sollen dabei helfen, die ‚Orphan Diseases‘ sichtbar zu machen und damit die Diagnosestellung für die Betroffenen zu beschleunigen, adäquate Therapien zu entwickeln und die Forschung an Seltenen Erkrankungen zu fördern“, so Schepers weiter.
Konzentration auf wenige Seltene
CORD-MI konzentriert sich laut BIH auf eine Auswahl Seltener Erkrankungen, darunter die Mukoviszidose. „Unter den Seltenen Erkrankungen ist die Mukoviszidose relativ häufig. Entsprechend groß ist das Datenmaterial, das bereits über einen langen Zeitraum erfasst wurde. Eine perfekte Grundlage also, den Mehrwert standortübergreifender innovativer Datenanalysen aufzeigen zu können“, verdeutlicht Professor Helge Hebestreit, beteiligter Kliniker vom Universitätsklinikum Würzburg.
„Wir wollen den Mehrwert der Medizininformatik aber auch für Menschen mit besonders seltenen Seltenen Erkrankungen aufzeigen. So haben wir auch Erkrankungen im Fokus, an denen in Deutschland möglicherweise nur zehn Menschen leiden“, ergänzt Professor Reinhard Berner vom Universitätsklinikum Dresden.
Einheitliche Dokumentation notwendig
Die Core Unit E-Health & Interoperabilität des BIH wirkt an Konzepten mit, die eine einheitliche Datenhandhabung in möglichst vielen Universitätskliniken vorsehen. „In fast allen deutschen Universitätskliniken werden im Rahmen der Medizininformatik-Initiative Datenintegrationszentren aufgebaut, die gemeinsam Konzepte entwickeln, wie Daten dokumentiert und gemeinsam datenschutzkonform genutzt werden können. Diese Chance sollte auch für Menschen mit Seltenen Erkrankungen genutzt werden“, umreißt Professorin Sylvia Thun, Leiterin der Core Unit E-Health & Interoperabilität, die anstehende Aufgabe.
Hierzu sollen die Beteiligten die FAIR-Prinzipien für wissenschaftliche Daten einführen: Findable, Accessible, Interoperable, Reusable. Damit trage CORD-MI auch zum Gesamtergebnis der Medizininformatik-Initiative bei, indem beispielsweise innovative und datenschutzkonforme Ansätze zur Verknüpfung und Auswertung von Daten erprobt werden.
Künstliche Intelligenz soll für Durchblick sorgen
Anlässlich des diesjährigen Tages der Seltenen Erkrankungen am 29. Februar setzt auch der Verband der Diagnostica-Industrie (VDGH) viel Hoffnung in die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bei der Diagnostik der Orphan Diseases, etwa bei genomdiagnostischen Verfahren wie dem Next Generation Sequencing (NGS).
„Verfahren wie das Hochdurchsatz-Screening (HTS) ermöglichen eine immer schnellere Suche nach geeigneten Wirkstoffen und beflügeln die Entwicklung neuer Arzneimittel“, erläutert VDGH-Geschäftsführer Dr. Martin Walger laut Mitteilung des Verbandes.
Dabei werde auf gigantische Datenmengen zurückgegriffen, die nicht nur adäquat gespeichert, sondern auch mithilfe intelligenter Softwarelösungen abgeglichen und ausgewertet werden müssten. Laut jüngster Befragung der In-vitro-Diagnostika-Industrie (IVD)sehen schon jetzt 56 Prozent aller im VDGH befragten IVD-Unternehmen großes Potenzial in „Big Data“-Anwendungen.
Jeder Mensch, der heute in Deutschland geboren werde, könne bereits nach wenigen Tagen auf Seltene Erkrankungen getestet werden, hebt er hervor. Für das „Neugeborenen-Screening“ würden Babys vier Tropfen Blut aus der Ferse entnommen, die im Labor auf inzwischen 15 Seltene Erkrankungen getestet werden. „Das frühzeitige Erkennen dieser Erkrankungen beeinflusst die Behandlung und den Verlauf entscheidend“, so Walger.