Messe conhIT
Neue Software öffnet Klinik nach außen
Am Dienstag hat die Messe conhIT begonnen, bei der Innovationen aus der Health-IT vorgestellt werden. Mit dabei ist auch das Uniklinikum Freiburg, das mit einer Modernisierung seines IT-Systems künftig ganz große Sprünge machen will.
Von Hauke Gerlof
FREIBURG. Wenn ein großer, voll beladener Tanker seine Richtung ändern oder gar anhalten will, dann ist viel Energie nötig, um das Schiffsmanöver auszuführen - und es dauert seine Zeit.
So ähnlich ist es auch mit einem Informationssystem eines großen Universitätsklinikums, erst recht, wenn es um eine langjährige Eigenentwicklung geht.
Veranstaltungstipp zur conhIT
Dr. Christian Haverkamp, Neurologe und Leiter der Stabsstelle IT-Prozesse am Universitätsklinikum Freiburg, spricht während des Kongresses zur conhIT zum Thema „Flexible Kommunikationsprozesse auf Basis einer modularen KIS-Architektur“
Termin: Donnerstag, 16. April, 9:50 bis 10:10 Uhr
Ort: Berlin, Messegelände, Kongresssaal
Der Wechsel auf eine neue Software braucht viel Zeit und Vorbereitung sowie ein gutes Gespür für das, was in der Klinik-IT in Zukunft wichtig wird.
Im Universitätsklinikum Freiburg (UKF) fiel die grundsätzliche Entscheidung, weg von der Eigenentwicklung zu gehen, vor gut drei Jahren. Das selbst entwickelte System war nach über 20 Jahren am Ende des Software-Lebenszyklus angekommen.
Es musste also eine Entscheidung getroffen werden, wie es weitergehen soll. Zudem wandelten sich die Anforderungen.
Die Gründung des Universitäts-Herzzentrums Freiburg Bad Krozingen 2012 als Zusammenschluss der Herzabteilungen der Uniklinik mit dem Herzzentrum in Bad Krozingen machte einen Austausch von Patientendaten über mehrere Kliniken notwendig.
"Für uns war dieser Strategiewechsel auch eine Frage der Risikominimierung", erläutert Dr. Christian Haverkamp, Leiter der Stabsstelle IT-Prozesse am Klinikumsvorstand.
Wenn die drei bis vier führenden Köpfe der Entwicklungsmannschaft mal gemeinsam zu einem Kongress nach Heidelberg fahren, "dann darf dabei nichts passieren, wenn die Weiterentwicklung der IT gesichert bleiben soll", so Haverkamp.
Schnittstellen sind entscheidend
Es folgten Besuche eines interdisziplinären Teams aus Ärzten, Pflege- und IT-Experten aus dem Klinikrechenzentrum in anderen Universitätskliniken.
Das Ziel: sich andere Lösungen anzusehen und zunächst die Grundentscheidung zu treffen, ob ein umfassendes Klinik-IT-System anzuschaffen ist, oder der Ansatz "Best of Breed" für das Klinikum besser passt.
Das heißt, für die Einzelbereiche jeweils die optimale Software zu suchen und über gute Schnittstellen alle Module so miteinander zu verknüpfen, als ob es ein umfassendes System ist.
Da auch die großen Systeme nicht alles gleichermaßen gut abdeckten, was eine Universitätsklinik benötigt, so Haverkamp, fiel die Entscheidung zugunsten der Einzelmodule.
"Das ist wie ein Fertighaus mit vorgefertigten Einzelteilen, die zusammenpassen, die dann aber bei uns im UKF IT-technisch zusammengebaut werden", beschreibt Haverkamp das Grundprinzip.
Ende 2013 legte das Klinikrechenzentrum dann der IT-Kommission und dem Klinikumsvorstand ein umfassendes Konzept für den Umbau des Freiburger KIS vor. Als erstes wurde das Teilprojekt Befundkommunikation und Befundarchivierung in Angriff genommen.
Nach einer europaweiten Ausschreibung fiel der Zuschlag auf den österreichischen Anbieter synedra information technologies GmbH mit der Software synedra AIM sowie auf die als Subunternehmer auftretende InterComponentWare AG (ICW) mit ihrem Professional Exchange Server (PXS).
Weitere Einzelteile des gesamten Vorhabens sind Patientenmanagement und Abrechnung sowie der Klinische Arbeitsplatz.
IHE-Welt sichert Interoperabilität
Voraussetzung für den Ansatz mit Teillösungen unterschiedlicher Hersteller ist die gute Interoperabilität der verschiedenen Programme. Mit der Entscheidung für synedra und ICW ist das UKF eingetaucht in die IHE-Welt.
IHE steht für Integrating the Healthcare Enterprise, eine Initiative von Anwendern und Herstellern mit dem Ziel, den Datenaustausch zwischen IT-Systemen im Gesundheitswesen zu standardisieren und zu harmonisieren.
Dabei werden in Abstimmung zwischen den Softwareherstellern die medizinischen Abläufe abgestimmt und Schnittstellen, Standards und Profile entwickelt, so dass die Programme die erforderlichen Daten problemlos austauschen und weiter verarbeiten können.
Im UKF soll das IHE XDS-Profil (Cross Enterprise Document Sharing) klinikintern zum Einsatz kommen und integraler Bestandteil innerhalb des Klinikinformationssystems sein, so Haverkamp.
Die Universitätsklinik sei aber auch vorbereitet, um mit anderen Krankenhäusern oder großen Zuweisern elektronisch Daten auszutauschen.
"Vorstellbar ist zum Beispiel eine elektronische Fallakte (EFA) bei gemeinsam behandelten Patienten", gibt der IT-Stabsstellenleiter einen Ausblick auf die zukünftigen Möglichkeiten des UKF. Weitere Bestandteile des Konzepts der Befundarchivierung und -kommunikation:
Ein datenschutzkonformes Berechtigungskonzept auf Basis des Behandlungszusammenhangs mit zentraler Umsetzung in der Befundkommunikationsplattform.
"Das ist IT-technisch weit komplexer abzubilden als die EFA, weil die Daten dort nur für einen konkreten Fall zusammengeführt werden", so Haverkamp.
Klinikintern geht es dagegen darum zu bestimmen, wer auf welche Daten zu einem Patienten im digitalen Archiv der Klinik zugreifen darf.
Strukturierte Befunddaten werden aus HL7-Nachrichten in strukturierte Dokumente im modernen CDA-Format (Clinical Document Architecture) überführt und revisionssicher archiviert.
Dokumente, Bilddaten und andere Multimediadaten werden in einem Universalarchiv gespeichert.
Der Zugang zum Universalarchiv erfolgt über einen für den medizinischen Einsatz optimierten Multiformat-Viewer, der als Medizinprodukt zugelassen ist.
Kaufmännische und ärztliche Leitung sehen sich bei den Prioritäten der IT-Umstellung auf einer Linie: "Die Behandlung von Patienten ist unser Kerngeschäft, entscheidend ist es daher, dass die Abläufe rund um die Patienten für Ärzte und Pfleger so reibungslos wie möglich gestaltet werden", betonen Professor Jörg Rüdiger Siewert, leitender ärztlicher Direktor der Uniklinik, und der Kaufmännische Direktor Bernd Sahner.
Die medizinischen Prozesse stünden in der Klinik-IT im Vergleich zu den Verwaltungsprozessen ohnehin zunehmend im Vordergrund.
Patienten im Zentrum der Prozesse
Die Umsetzung des neuen Konzepts für Archiv und Befundkommunikation mit Migration der Bestandsdaten werde das UKF "die nächsten zwei Jahre" beschäftigen, beschreibt Projektleiter Arnold Roesner den geplanten Ablauf.
Der Zuschlag sei erteilt, nach der conhIT gehe es nun richtig los. "Es wird keinen Big Bang geben, sondern wir werden schrittweise erst kleinere Bereiche umsetzen und dann die Komplexität langsam steigern", erläutert Dr. Michael Kraus, Leiter des Klinikrechenzentrums, das weitere Vorgehen.
Schließlich erfolgt die Umstellung wie eine Operation am offenen Herzen: Der Betrieb läuft weiter, der Zugriff auf alle Befunde aller Patienten muss immer gewährleistet sein, damit kein Patient gefährdet wird.
Im Spätsommer sollen zunächst nur die Fotos einer Abteilung im neuen System archiviert werden, später kommen weitere Abteilungen und dann auch Dokumentenarten hinzu. "Die ersten großen Änderungen kommen voraussichtlich in einem Jahr", so Kraus.
Dann wird der Tanker Klinik-IT in neuer Richtung unterwegs sein.