Ethiker
Patientenfokussierung in Witten/Herdecke vorbildlich
Der Medizinethiker Maio sieht die Ausbildung an der Universität Witten/Herdecke als Paradebeispiel. Das Medizinstudium sei auf den Umgang mit Patienten ausgerichtet. Er appellierte an die Uni, dafür auch in Zukunft einzustehen.
Veröffentlicht:KÖLN. Die Universität Witten/Herdecke (UWH) sollte ihren ursprünglichen Idealen treu bleiben und in der Medizinerausbildung weiter auf die Patientenzentrierung und die Bedeutung der menschlichen Zuwendung setzen.
Das empfiehlt der renommierte Medizinethiker Professor Giovanni Maio von der Universität Freiburg der privaten Hochschule, die vor 31 Jahren gegründet wurde.
"Was Witten damals ausmachte, ist heute notwendiger denn je", sagte Maio bei einer Feier anlässlich der zehnjährigen Kooperation der UWH mit den Kliniken der Stadt Köln.
Die beiden Häuser sind seit 2004 Klinikum der UWH. Inzwischen gibt es dort elf Lehrstühle, 20 Prozent des klinischen Unterrichts der Wittener Studierenden erfolgen in Köln.
Ökonomie - Dienerin der Ärzte
"Man muss die Ärzte dazu erziehen, den Menschen in seiner Vielfalt anzuerkennen", forderte Maio. Dazu ist in seinen Augen gerade eine Einrichtung wie die UWH geeignet.
Ein guter Arzt ist für ihn ein Arzt, dem es gelingt, das fachliche Wissen und die Zwischenmenschlichkeit so unter einen Hut zu bringen, dass er dem einzelnen Patienten mit seinen konkreten Herausforderungen gerecht werden kann.
Es gehe ihm nicht darum, die Ökonomie zum Feindbild der Medizin zu machen, betonte er. Wirtschaftlicher Sachverstand sei notwendig, um Ressourcen sinnvoll einzusetzen und Verschwendung zu vermeiden. "Eine Medizin ohne Ökonomie ist nicht handlungsfähig."
Dabei müssten aber die Gewichte stimmen. Maio sieht die Ökonomie als Dienerin der Ärzte, die ihnen hilft, ihre Ziele in der Patientenversorgung umzusetzen.
Gefährlich werde es, wenn die ökonomische Rationalität die Bedingungen diktiert und Ärzten vorgibt, was sie tun müssen, damit die Zahlen stimmen. Der wirtschaftliche Ansatz, mit minimalem Aufwand ein möglichst großes Ergebnis zu erzielen, passe nicht in die Medizin. Er erfordere eine Verringerung des Personals und damit der Kontaktzeiten von Ärzten und Pflegenden mit den Patienten.
"In der Medizin ist die Minimierung von Zeit die Minimierung des Eigentlichen", betonte der Internist. Die Zeitökonomie halte Ärzte dazu an, alte Tugenden über Bord zu werfen. "Wir müssen rechtfertigen, dass wir uns Zeit nehmen."
Gebrauchsanweisung für Therapie
Maio sieht heute eine Abwertung der ärztlichen Erfahrung, weil sie sich nicht formalisieren lasse. Bei der Patientenbehandlung sollten inzwischen Algorithmen umgesetzt werden. "Durch Behandlung nach Gebrauchsanweisung kann man dem Patienten nicht gerecht werden."
Natürlich müssten in der Medizin die richtigen Verfahren angewendet werden. Aber um eine gute Versorgung zu realisieren, sei nicht nur die Prozessqualität wichtig, sondern auch die Beziehungsqualität.
"Wir müssen viel mehr in die Etablierung von Haltungen investieren", forderte er. Dafür stehe die Universität Witten/Herdecke und dafür müsse die Uni auch in Zukunft - entgegen allen modernen Tendenzen - eintreten.
Durch die Kooperation mit der UWH haben die Kliniken der Stadt Köln seiner Einschätzung nach die Chance, der Zuwendung zum Patienten wieder größeren Raum und Ärzten mehr verfügbare Zeit zu geben. Das erhöhe ihre Arbeitszufriedenheit.
Von der Investition in die Beziehungsqualität werden die Kliniken langfristig profitieren, erwartet Maio. Sie werden von den Patienten als Häuser wahrgenommen, in denen sie gut aufgehoben sind.
"Gerade eine Klinik, die Bestandteil von Witten ist, darf sich in dieser Identität nicht beirren lassen." (iss)