Zyto-Rezepturen
Rabattvertrag hat Vorrang vor Apothekenwahl
Zur Versorgung mit Zytostatika-Rezepturen dürfen Krankenkassen sowohl Patienten als auch Onkologen die Versorgung durch die günstigste Apotheke vorschreiben. Sogar wenn die in einer ganz anderen Stadt liegt, urteilt das BSG.
Veröffentlicht:KASSEL. Krebspatienten dürfen ihre Apotheke für die Lieferung von Zytostatikazubereitungen nicht frei wählen.
"Zur Hebung von Wirtschaftlichkeitsreserven" dürfen die gesetzlichen Krankenkassen über eine Ausschreibung die Versorgung durch die preisgünstigste Apotheke sicherstellen, befand jetzt das Bundessozialgericht (BSG).
Es bestätigte damit einen sogenannten Selektivvertrag der AOK Hessen. Nach einer Ausschreibung hatte die Kasse die Zytostatikaversorgung an zwölf Apotheken vergeben. Als Folge können laut BSG auch Onkologen nicht mehr selbst entscheiden, von welcher Apotheke sie die Zubereitungen beziehen wollen.
Einsparungen in Millionenhöhe?
Die AOK Hessen spart dadurch nach eigenen Angaben mehrere Millionen Euro jährlich. Hochgerechnet ergibt sich daraus bundesweit für alle gesetzlichen Kassen ein Sparpotenzial von mehreren hundert Millionen Euro pro Jahr.
Ähnliche Ausschreibungen, allerdings unter stärkerer Einbeziehung der Ärzte, gab es bislang nur bei der AOK Nordost.
Nur etwa 300 der bundesweit 21.000 Apotheken liefern Zytostatikazubereitungen. Dabei stellen auch sie die Fertigarznei-Mischungen nur teilweise selbst her; zu großen Teile lassen sie sie auf Anforderung der Ärzte industriell anfertigen.
Wegen ihrer Toxizität und Instabilität werden Zytostatikazubereitungen in der Regel von der Apotheke direkt an die Arztpraxis geliefert.
Der nun vor dem BSG klagende Apotheker aus Darmstadt beliefert seit Jahren eine onkologische Praxis im selben Haus. Die AOK Hessen hatte die Versorgung für Darmstadt jedoch einer Mannheimer Apotheke übertragen.
Dem Darmstädter Apotheker teilte sie mit, dessen Lieferungen künftig nicht mehr zu bezahlen. Die Onkologen wollten allerdings weiterhin mit der ortsnahen Apotheke zusammenarbeiten.
Sie ließen daher Patienten ein Formular unterschreiben, wonach sie weiterhin eine Belieferung durch die Apotheke im selben Haus wünschen. Gestützt darauf kooperierten Apotheke und Praxis wie gehabt.
Schließlich dürften die Patienten ihre Apotheke frei wählen, so das Argument des Apothekers vor dem Bundessozialgericht. Die Apotheke sei dann sogar zur Lieferung verpflichtet.
Im Dezember 2013 wurden so 38 AOK-Versicherte behandelt. Für die Zytostatikazubereitungen stellte die Apotheke der AOK Hessen 70.500 Euro in Rechnung. Die AOK meint, sie müsse dies nicht bezahlen. Denn die Apotheke sei zur Versorgung nicht mehr berechtigt gewesen. Der Kontrahierungszwang betreffe nur Verordnungen, die die Patienten selbst einreichen.
Knackpunkt ist die Lieferkette
Das BSG gab der Krankenkasse recht. Das Apothekenwahlrecht greife hier schon faktisch nicht. Das Gesetz sehe die Direktbelieferung onkologischer Praxen ausdrücklich vor.
Daher sei es üblich, dass die Ärzte mit einer bestimmten Apotheke zusammenarbeiten, ohne dass die Patienten hierauf einen Einfluss haben. Vor diesem Hintergrund "haben die Patienten kein rechtlich geschütztes Interesse an der Wahl einer bestimmten Apotheke", befand das BSG.
Zudem erlaube das Sozialgesetzbuch ausdrücklich die Ausschreibung von Zytostatikazubereitungen. Um Preisnachlässe erzielen zu können, sei es wichtig, dass die Kassen der günstigsten Apotheke durch eine "zumindest prinzipielle Exklusivität der Lieferbeziehungen" bestimmte Mengen zusagen können.
Das führe dann zwingend zu einem Lieferverbot durch andere Apotheken, so das BSG. Ausnahmen könne es nur in Einzelfällen geben, wenn Patienten besondere Gründe für die Wahl einer bestimmten Apotheke haben und zudem bereit seien, Mehrkosten selbst zu tragen.
Im Streitfall muss die AOK die gelieferten Zytostatikazubereitungen nicht bezahlen, urteilte der 3. BSG-Senat. Der Apotheker habe alle Umstände vorab gekannt und könne sich daher auf Vertrauensschutz nicht berufen.
Verweis auf Wirtschaftlichkeitsgebot
Eine "Retaxierung auf Null" wegen der fehlenden Versorgungsberechtigung sei daher gerechtfertigt. BSG: Versorgungsqualität nicht gefährdet. Bereits in der mündlichen Verhandlung hatte der Vorsitzende Richter auf das Wirtschaftlichkeitsgebot in der gesetzlichen Krankenversicherung verwiesen.
Betroffen von dem Streit seien daher nicht nur die Krebspatienten, sondern auch andere Versicherte, "die einfach nur niedrige Beiträge bezahlen wollen". Die Ausschreibungen seien daher legitim, solange die Qualität der Versorgung darunter nicht leide. Hier sei die Versorgungsqualität durch die Verträge ausreichend gesichert.Vor dem BSG hatte der Apotheker hier insbesondere auf die angeblich große Bedeutung einer raschen "Ad-hoc-Versorgung" verwiesen.
Nach Überzeugung der Kasseler Richter ist diese aber nur in wenigen Einzelfällen notwendig. Schließlich habe sich der Darmstädter Apotheker selbst bei der AOK für die Versorgung Frankfurts beworben.
Wie berichtet hatte vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots der 6. BSG-Senat im Mai auch einen Regress von 16.312 Euro gegen eine Ärztin bestätigt (Az.: B 6 KA 18/14 R), die die ebenfalls direkt in die Praxen gelieferten Blutermedikamente nicht wie von der Kasse gefordert direkt beim Hersteller, sondern über eine Apotheke bezogen hatte.
Urteil des Bundessozialgerichts Az.: B 3 KR 16/15 R