Junge Ärzte

"Allgemeinmedizin – ist aus sich heraus attraktiv"

Medizinstudium, Weiterbildung, der Schritt in die Niederlassung: Welche Erfahrungen eint junge Allgemeinmediziner – und welche Wünsche haben sie? Die "Ärzte Zeitung" hat vier Vertreter der neuen Generation zum Gespräch gebeten.

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Was muss sich in Aus- und Weiterbildung ändern? Eine Diskussion in der Redaktion der "Ärzte Zeitung" mit (von links) Helmut Laschet, Florian Staeck, Dr. Christian Schulze, Jana Kötter, Lara Xanthopoulos, Dr. Sofia Reincke, Dr. Kai-Alexander Dähmlow und Anne Zegelman.

Was muss sich in Aus- und Weiterbildung ändern? Eine Diskussion in der Redaktion der "Ärzte Zeitung" mit (von links) Helmut Laschet, Florian Staeck, Dr. Christian Schulze, Jana Kötter, Lara Xanthopoulos, Dr. Sofia Reincke, Dr. Kai-Alexander Dähmlow und Anne Zegelman.

© Michaela Illian

Die Fragen stellten Helmut Laschet, Florian Staeck, Anne Zegelman und Jana Kötter.

Ärzte Zeitung: Was haben Sie im Medizinstudium als besonders hilfreich, was als hinderlich für Ihre spätere berufliche Tätigkeit wahrgenommen?

Lara Xanthopoulos: Ehrlich gesagt halte ich mich nicht für gut vorbereitet, um Verantwortung für Leben zu übernehmen. Man bekommt viel spezialisiertes Wissen in der Klinik vermittelt. Ich hatte beispielsweise Innere Medizin intensiv nur in einem Semester.

In diesen sechs Monaten habe ich 13 Fächer abgehakt. Alles wurde an einem einzigen Tag in einer Klausur abgefragt. Entsprechend wenig kann man sich auf die einzelnen Fächer einlassen. Das ist klassisches "Bulimie-Lernen".

Dr. Sofia Reincke: Bei mir ist die Bilanz des Studiums gemischt: Ich erinnere mich an eine gute Famulatur, die mich beflügelt hat. Etwa, wenn man das erste EKG oder eine andere Untersuchung machen durfte. Mentoren und Lehrer, die Lust haben, Studenten etwas zu zeigen, das ist wichtig!

Die "kleinen" Fächer sind bei mir im Studium viel zu kurz gekommen. Auch die Klausurfragen waren für die spätere Praxis nicht relevant. Letztlich war erst das PJ für mich die intensivste Lernzeit.

Xanthopoulos: Hinzu kommt, dass im Studium leider Vorlesungen stark überwiegen. In Seminaren, wo ein Gespräch entstehen kann, lernt man meiner Erfahrung nach besser.

Dr. Christian Schulze: Ich habe es als absurd wahrgenommen, dass völlig überlastete Assistenzärzte auch noch für die Ausbildung der Studenten zuständig sein sollen.

Warum finanziert man diesen Ärzten nicht wenigstens eine Fortbildung, bei der sie didaktische Grundfertigkeiten vermittelt bekommen?

Ärzte Zeitung: Hat jemand von Ihnen im Studium Erfahrungen im Ausland sammeln können?

Reincke: Ich bin erst als Postdoc in den USA gewesen. Meine Erfahrung ist: Dort kommen Studenten viel früher in Kontakt mit Patienten als in Deutschland.

Schulze: Ich war im Studium in Südafrika. Wer dort Interesse zeigt und sich beispielsweise für Nachtdienste einträgt, der wird an Patienten rangelassen. Die Hierarchien im Krankenhaus sind weniger ausgeprägt als in Deutschland.

Xanthopoulos: Meiner Erfahrung nach hängt es hierzulande stark vom jeweiligen Assistenzarzt ab, ob man praktische Erfahrungen sammeln kann oder nicht.

Reincke: Das ist immer auch typabhängig. Was traue ich mir zu in einer bestimmten Situation? Man wird meistens ins kalte Wasser geworfen – das ist nicht meine Sache. Das langsame Heranführen beispielsweise an eine bestimmte Untersuchungstechnik hat es bei mir nicht gegeben.

Ärzte Zeitung: Grundmotto der Politik ist seit Jahren, dass die Allgemeinmedizin im Studium gestärkt werden soll. Welches Bild dieses Fachs ist Ihnen vermittelt worden?

Xanthopoulos: Ich habe das Glück gehabt, dass mir schon bei der Berufsfelderkundung die Allgemeinmedizin von einem sehr charismatischen Professor vorgestellt wurde.

An meiner Universität in Frankfurt macht die Allgemeinmedizin auch eine gute Lehre. Ich weiß aber aus Gesprächen mit Kommilitonen, dass an anderen Unis die Allgemeinmedizin nicht diesen Stellenwert hat.

Ärzte Zeitung: Wie wird denn von Vertretern anderer Fächer über die Allgemeinmedizin geredet?

Xanthopoulos: Oftmals schlecht. "Wollen Sie nicht etwas Richtiges lernen?" – diese Frage habe ich mehrfach von Dozenten gehört.

Kein Wunder, dass viele Studenten immer noch glauben, es handele sich um ein langweiliges Fach, das sich primär mit Husten, Schnupfen und Heiserkeit beschäftigt.

Reincke: Die mich betreuende Ärztin war entsetzt, als ich ihr sagte, dass ich Allgemeinmedizin machen will. "Sie, mit Ihrer Qualifikation?", das war ihre Antwort.

Ärzte Zeitung: Unterstellt wird immer: Bringt man Studierende früh mit der Allgemeinmedizin in Kontakt, dann steigt auch der Anteil derer, die sich dafür begeistern können. Ist das plausibel?

Schulze: Allgemeinmedizin ist schon bisher im Studium recht gut vertreten: Das Blockpraktikum über zwei Wochen, die einmonatige Pflichtfamulatur.

Ich wäre skeptisch, im PJ noch ein Pflichtquartal Allgemeinmedizin zu integrieren. Da gäbe es Probleme alleine schon mit Blick auf die Ausbildungskapazitäten.

Die Zahl der Hausärzte in Rheinland-Pfalz nimmt laufend ab. Wo soll ich da noch die Zeit hernehmen, mich um die Ausbildung der PJ'ler zu kümmern?

Dr. Kai-Alexander Dähmlow: Ich habe teilweise in Österreich studiert, wo die Allgemeinmedizin im PJ vertreten ist. Aber das war die am schlechtesten besuchte Vorlesung. Das Fach hat leider noch immer einen schlechten Ruf im Studium.

Ärzte Zeitung: Kommt es also nur auf die positiven Rollenbilder an und die politischen Vorgaben sind zweitrangig?

Schulze: Es kommt auch auf die Manpower an. An vielen Fakultäten gibt es doch nur Lehrbeauftragte für Allgemeinmedizin.

Wie will man denn da mit der Inneren Medizin konkurrieren? Man kann sich eine "Aufrüstung" der Allgemeinmedizin vornehmen – aber das ist ein Projekt für mindestens eine Dekade.

Ärzte Zeitung: Der Masterplan Medizinstudium 2020 sieht mit dem Pflichtquartal in der ambulanten Versorgung und der Allgemeinmedizin als Teil der Prüfung im abschließenden Staatsexamen auch verpflichtende Elemente vor. Macht Zwang das Fach Allgemeinmedizin nicht zusätzlich unattraktiv?

Reincke: Das ist das Problem. Es geht darum, dass die Studierenden mit dem Fach in einer frühen Phase positiv in Kontakt kommen. Hier hängt viel von der Qualität der Lehre ab!

Xanthopoulos: Natürlich ist eine intrinsische Motivation immer besser. Aber seien wir doch ehrlich: Ohne Pflicht läuft im Medizinstudium aktuell nichts.

Das im Masterplan erwogene verbindliche PJ-Quartal in der ambulanten Medizin sehe ich als eine riesige Chance, Studenten von der Qualität der allgemeinmedizinischen Ausbildung und des Faches zu überzeugen – besonders im direkten Vergleich zu anderen ambulanten Fächern.

Schulze: Es hat einen faden Beigeschmack, über Zwang junge Ärzte für das Fach begeistern zu wollen. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sagen: Allgemeinmedizin ist aus sich heraus attraktiv: finanziell und auch mit Blick auf die Vielfalt der Möglichkeiten, die sie bietet.

Ärzte Zeitung: Die Politik hat die vermeintliche Zauberformel schon gefunden: die Landarztquote, also die sehr frühe Verpflichtung im Studium, sich auf eine spätere Hausarzttätigkeit auf dem Land festzulegen. Ein sinnvolles Instrument?

Schulze: Ja, aber ich könnte mir das nur als Option für Studienanwärter vorstellen, die mit einer schlechten Abiturquote einen Medizinstudienplatz haben wollen.

Dähmlow: Ich hätte mir schon im Studium vorstellen können, als Landarzt zu arbeiten.

Xanthopoulus: Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, mich so früh auch nur auf ein Fach festzulegen. Viele Kommilitonen wissen bis heute nicht, auf welches Fachgebiet sie sich spezialisieren wollen, und die stehen am Ende des Studiums.

Was ich mir vorstellen könnte, dass sich ein Studienanwärter – anstatt der Wartezeit – auf drei bis fünf Jahre verpflichtet, auf dem Land zu arbeiten.

Ärzte Zeitung: Wenn Studium und PJ endlich geschafft sind: Welche Faktoren oder Umstände prägen Ihrer Meinung nach dann die Wahl der Weiterbildung?

Xanthopoulos: Ganz klar die Arbeitsbedingungen. Für mich ist ein ganz großes Argument für die Allgemeinmedizin, dass ich humane Arbeitszeiten habe – und wenn ich später einmal Kinder habe, wird das in einer Gemeinschaftspraxis sicher deutlich einfacher sein als in der Klinik. Zumindest stelle ich mir das so vor.

Ärzte Zeitung: Frau Dr. Reincke, Sie haben zwei Kinder. Können Sie diese Vorstellung bestätigen?

Reincke: Die Arbeitszeiten in der Praxis sind wesentlich humaner als in der Klinik. Allein schon, weil der ganze Wochenenddienst und die Nächte und die 26-Stunden-Dienste wegfallen.

Ärzte Zeitung: Und wenn doch mal ein Kind krank wird?

Reincke: Das ist in der Klinik immer noch schwierig. Gerade im Fach Chirurgie trifft ein krankes Kind auf null Verständnis. Das ist schlicht nicht vorgesehen.

Schulze: Das sieht in der niedergelassenen Praxis anders aus: Wir haben eine Kollegin, die hat drei Kinder, eine andere vier – das alles ist in der Allgemeinmedizin sehr gut darstellbar.

Auch pünktliche Endzeiten sind machbar. Der Vorteil an einer eigenen Praxis ist, dass ich tun und lassen kann, was ich will. Da kann eine Kollegin, die gerade Mutter geworden ist, ihr Kind stillen, obwohl sie wieder arbeitet.

Ärzte Zeitung: Die Bundesärztekammer hat mehrfach die Qualität der Weiterbildung auswerten lassen. Es ließ sich immer, über alle Fachrichtungen hinweg, feststellen: Die ambulanten Abschnitte wurden besser bewertet als die stationären.

Reincke: Das ist auch das, was mir aufgefallen ist, als ich zum ersten Mal beim Weiterbildungskolleg in der Allgemeinmedizin in Hessen gewesen bin: Die Kollegen, die zu dem Zeitpunkt in Praxen gearbeitet haben, waren zufriedener im Vergleich zu denen, die im Krankenhaus gearbeitet haben.

Dähmlow: Was die Arbeitszeiten betrifft, stimme ich zu. Letztlich hängt viel davon ab, wie die Zusammenarbeit zwischen Niedergelassenen und Krankenhäusern funktioniert – und ob ich einen Patienten vertrauensvoll abgeben kann.

Ärzte Zeitung: In der Verbundweiterbildung gibt es einen strukturierten Weiterbildungsplan mit klaren Rotationen. Ist es richtig, dass das nach wie vor nicht die Regel ist?

Reincke: Ich bin quereingestiegen, habe in der Unfallchirurgie angefangen, von daher war es mit der Planbarkeit nicht so weit her. Ich sehe aber bei vielen jungen Kollegen, dass es funktioniert. Ich glaube, die Verbundweiterbildung ist in diesem Kontext ein wichtiger Schritt.

Ärzte Zeitung: Handelt es sich bei den Verbundweiterbildungen lediglich um Leuchtturmprojekte oder strahlt das in die Fläche aus?

Reincke: Ich denke, das geht schon in die Fläche, weil es auch attraktiver geworden ist, Allgemeinmediziner auszubilden.

Früher durfte man gar nicht sagen, dass man Allgemeinmedizin machen möchte. Das ist heute nicht mehr so. In meinem Fall war der Kontakt von meiner Klinikstelle in die Praxis schon im Vorfeld gut.

Schulze: Wie stark die Leuchttürme ausstrahlen, ist regional verschieden. In Baden-Württemberg und Bayern gibt es die meisten Verbundweiterbildungen, man kann sagen flächendeckend. In Rheinland-Pfalz dagegen gibt es lediglich regionale Kooperationsgemeinschaften einzelner Akteure.

Dähmlow: Allerdings ist auch in Baden-Württemberg nicht alles Gold, was glänzt. Ich höre auch von Kollegen, und zwar in Klinik und Praxis, die mir erzählen, dass bei ihnen nicht alles rund läuft. Entscheidend scheint mir zu sein: Bilden sich die Weiterbilder selber fort? Das scheint in den Kliniken noch nicht überall angekommen zu sein.

Ärzte Zeitung: Frau Xanthopolous, für Sie liegt die Weiterbildung noch vor Ihnen. Was sind Ihre Wünsche und Forderungen?

Xanthopoulos: Ich würde mir gerne aussuchen können, welche Fächer ich genau mache, in welcher Reihenfolge und wo ich sie absolviere – und wenn möglich auch in Teilzeit, wenn ich Kinder bekomme.

Ärzte Zeitung: Mit dem Anteil der Teilzeitarbeit steigt auch die Weiterbildungsdauer. Die liegt schon bisher in der Allgemeinmedizin bei 9,6 Jahren....

Xanthopoulos: Ja, das spielt schon eine Rolle. Ich möchte den Weiterbildungsabschnitt in der Klinik möglichst schnell am Stück hinter mich bekommen. Danach arbeitet man in einer Praxis und ist schon ein Stück weit am Ziel. Wenn es dann länger dauert, bis ich den Facharzttitel habe, dann würde ich das in Kauf nehmen.

Dähmlow: Hinzu kommt: In der Praxis bedeutet Teilzeit, von neun bis zwölf Uhr zu arbeiten, und zwar fünf Tage die Woche. Da bekommt man im Vergleich zur Gesamtarbeitszeit schon relativ viel mit.

Schulze: In der Tat macht Teilzeitarbeit einen Unterschied: Meine Kollegin ist zwei Jahre älter als ich. Und während ich kurz nach meinem 31. Geburtstag die Facharztprüfung gemacht habe, war sie dann 37 Jahre – sie hat drei Kinder.

Ärzte Zeitung: Halten Sie die Weiterbildung inhaltlich für überfrachtet?

Schulze: Ich bin ein Gegner dieser ganzen Subspezialisierungen im Weiterbildungsabschnitt. Um zum Beispiel einen geriatrischen Patienten abrechnen zu können, muss ich eine geriatrische Zusatzqualifikation nachweisen. Was soll das? Wenn ich Allgemeinmediziner bin, habe ich den ganzen Tag mit alten Patienten zu tun, die eine geriatrische oder palliativmedizinische Versorgung brauchen.

Dähmlow: Gerade was die Zusatzbezeichnungen geriatrische und palliativmedizinische Versorgung betrifft, stimme ich zu. Die Inhalte begegnen uns Ärzten in der Praxis täglich – dabei lernt man mehr als in jedem Kurs. Wenn es zudem notwendige Zusatzinhalte gibt, sollte man die in die Weiterbildung integrieren.

Ärzte Zeitung: Gab es darüber hinaus Inhalte oder Vorgaben, die Sie unnötig fanden?

Dähmlow: Ja, Untersuchungen, von denen der Weiterbildungsarzt sich eine bestimmte Anzahl bescheinigen lassen muss. Dumm nur, dass manche Untersuchungen in einer Hausarztpraxis extrem selten sind. Irgendwann bescheinigt der Weiterbilder sie dann trotzdem – einfach so.

Schulze: Proktoskopien!

Dähmlow: Ja, zum Beispiel.

Reincke: Genau! Weil die in Hausarztpraxen so gut wie nicht durchgeführt werden.

Ärzte Zeitung: Gibt es umgekehrt Themen, die in Ihren Augen in Studium und Weiterbildung zu kurz kommen?

Dähmlow: Gerade zum Themenkomplex Abrechnung wäre ich vorher gerne umfassender informiert worden.

Schulze: Das Führen eines Anamnese-Gesprächs sollte vom ersten Semester an vermittelt werden, genauso wie Untersuchungstechniken. Das kommt mir momentan zu kurz. Die Weiterbildung sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Reincke: Ich wünsche mir mehr Fokus auf Patientenmotivation und Gesprächsführung.

Dähmlow: Manchmal erscheint die KV wie ein schwarzer Tunnel, in den wir als Ärzte nur wenig Einblick bekommen. Dazu hätte ich in der Weiterbildung gern mehr erfahren.

Ärzte Zeitung: Welche Bilder vermitteln Ihnen ältere Kollegen zum Thema Niederlassung?

Schulze: Oft keine besonders guten. Aber niedergelassene Ärzte beklagen sich meiner Meinung nach auf einem sehr hohen Niveau.

Reincke: Meine Chefinnen vermitteln ein sehr positives Bild, sie sind mit der Praxis, der Work-Life-Balance und ihrem Einkommen zufrieden. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit der Niedergelassenen so denkt.

Doch es gibt auch negative Stimmen: Ich kenne eine Oberärztin, die von der Klinik in die Praxis wechselte und die nun in die Klinik zurückgeht, weil sie mit den Arbeitsbedingungen in der ambulanten Versorgung unzufrieden war.

Ärzte Zeitung: Wie sieht es aus, wenn die Entscheidung für oder gegen die Niederlassung ansteht: Gibt es dann ausreichend Beratungsangebote? Und in welchen Bereichen bestehen Sorgen?

Reincke: Von der KV gibt es hier in Hessen gute Angebote. Für das Doc's Camp etwa werden alle Ärzte in Weiterbildung angeschrieben, hier ist auch eine sehr nette Gruppe zusammenkommen.

Ich persönlich habe mich nie um das wirtschaftliche Risiko gesorgt – ich glaube, das ist eher gering, wenn man nicht totalen Mist baut. Mir geht es eher um die feste Bindung.

Wenn ich eine eigene Praxis habe, kann ich nicht mehr einfach alles stehen und liegenlassen, wenn etwas passiert – eine Trennung in der Familie etwa. Da sitze ich dann plötzlich da mit einer Praxis und kann nicht einfach gehen, das macht Angst.

Xanthopolous: Richtig, eine Praxis nimmt ein Stück weit die Flexibilität. Gleichzeitig wird aber gerade diese immer gefordert, auch in der Gesellschaft oder unter Kommilitonen.

Die Alternative wäre, sich anstellen zu lassen. Das ist gerade am Anfang sicher auch attraktiv, weil man viel lernen kann, ohne das eigene unternehmerische Risiko zu tragen.

Aber langfristig finde ich persönlich eine eigene Praxis, in der ich meine Wünsche umsetzen kann, wesentlich attraktiver. Ich bin mir sicher, dass ich irgendwann zumindest in einer Gemeinschaftspraxis niedergelassen sein möchte. Passiert dann so ein einschneidendes Erlebnis, kann man die Praxis ja immer noch abgeben oder zur Not verkaufen.

Reincke: Wobei die Nachfolge ja oft fehlt…

Schulze: Gleichzeitig kommt man relativ günstig in die Niederlassung, sodass man keine Angst vor großen Verlusten haben muss.

Man muss das auch noch einmal anders sehen: Diese Flexibilität, die verloren geht, ist gleichzeitig auch Sicherheit. Als niedergelassener Hausarzt weiß ich, dass es mir immer gutgehen wird.

Ärzte Zeitung: Lassen Sie uns alle Phasen von Aus- und Weiterbildung zum Schluss noch einmal in den Blick nehmen: Wenn Sie einem Kultusminister raten könnten, wie er Aus- und Weiterbildung reformieren sollte – was wäre Ihr wichtigster Hinweis?

Dähmlow: Die öffentliche Kommunikation muss positiver werden. Aktuell wird – ganz nach dem Motto "Bad news is good news" – vor allem auf das Negative fokussiert. Ich würde mir eine Art "Ja, wir schaffen das" für die ärztliche Versorgung wünschen.

Reincke: Für das Studium brauchen wir mehr Studienplätze und eine bessere Ausstattung. Für den Studienablauf wünsche ich mir höhere Praxisanteile – sowohl in den Untersuchungen als auch in der sprechenden Medizin.

Schulze: Ich würde eine Verdopplung der Studienplätze und einen Zugang ohne Numerus Clausus fordern, darüber hinaus eine Gleichverteilung männlich – weiblich. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch im Familienmodell genug Nachwuchs in der Versorgung ankommt.

Xanthopolous: Mehr Work-Life-Balance. Das bedeutet nicht, dass junge Ärzte jeden zweiten Tag frei haben möchten.

Aber Politiker sollten sich selbst einmal eine Woche lang in den Versorgungsalltag begeben, 24-Stunden-Schichten übernehmen und danach noch versuchen, Verantwortung für Leben zu tragen. Wir brauchen bessere Arbeitszeiten, sowohl in Aus- und Weiterbildung als auch im Beruf selbst.

 

Sehen Sie die jungen Ärzte im Video:

Dr. Christian Schulze

Alter: 42 Jahre

Aktuelle Position: Niedergelassen als Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin in Winterburg (Rheinland-Pfalz) seit 2005; bis zu zwei Ärzte in Weiterbildung werden beschäftigt.

Werdegang: Studium in Greifswald, Berlin, während des Praktischen Jahres Auslandsaufenthalte in Kapstadt, London und Zürich; 1999 Approbation; 2000 Promotion an der Berliner Charité

Dr. Christian Schulze hat einen eigenen Youtube-Kanal: tinyurl.com/hycac3g

 

Dr. Sofia Reincke

Alter: 44 Jahre

Aktuelle Position:: Ärztin in allgemeinmedizinischer Weiterbildung im ambulanten Abschnitt

Werdegang: Studium und zweifache Promotion in Frankfurt/ Main: Chemie (1991- 1997) und Medizin (2002-2009); dazwischen tätig als wissenschaftliche Assistentin bzw. Postdoc; 2009 Approbation

 

Lara Xanthopoulos

Alter: 26 Jahre

Aktuelle Position: Medizinstudentin in Frankfurt/Main im 11. Fachsemester; Vorbereitung auf Examen im April 2017

Werdegang: 2009 Abitur; 4 Semester Biowissenschaften

 

Dr. Kai-Alexander Dähmlow

Alter: 34

Aktuelle Position: Niedergelassen als Facharzt für Allgemeinarzt in Murrhardt (Baden-Württemberg)

Werdegang: Medizinstudium in Innsbruck, Assistenzarztausbildung in Mutlangen; 2009 Approbation

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