Pro & Contra

Sind angestellte die besseren Ärzte?

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Sind angestellte Ärzte produktiver als selbstständige, weil sie mit Verwaltung nichts zu tun haben? Oder holen Selbstständige mehr aus sich heraus, weil Autonomie motiviert? Für beide Positionen gibt es gute Argumente, wie unser Pro & Contra mit zwei Ärzten zeigt.

NEU-ISENBURG. Pro und Contra Arzt-Anstellung - das ist in Gemeinschaftspraxen oder Medizinischen Versorgungszentren keine Frage. Doch wie effizient arbeiten angestellte Mediziner?

Wenn die Praxis gut organisiert ist, das Prozessmanagement stimmt, dann können Angestellte in der gleichen Zeit mehr leisten als ihre Einzelkämpfer-Kollegen, ist Dr. Volker Kielstein überzeugt. Der Hausarzt aus Erfurt weiß, wovon er spricht; er betreibt seit Jahren ein MVZ mit neun Praxisstandorten.

Für die Gegenposition steigt Dr. Klaus Reinhardt in den Ring. Der Hausarzt mit Niederlassung in Bielefeld ist Bundesvorsitzender des Hartmannbundes.

Er ist der Überzeugung, dass freiberuflich tätige Ärzte kundenorientierter gepolt sind und deshalb besser auf die Bedürfnisse ihrer Patienten eingehen können. (cw)

  • Pro: Angestellte Ärzte sind nur Ärzte, sonst nichts
  • Contra: Selbstständige Ärzte sind motivierter
Dr. Volker Kielstein, Allgemeinmediziner und MVZ-Inhaber.

Dr. Volker Kielstein, Allgemeinmediziner und MVZ-Inhaber.

© privat

Über 30 angestellte Ärzte, neun Praxisstandorte und 110 Mitarbeiter: Die Dr. med. Kielstein Ambulante Medizinische Versorgung GmbH kann sich sehen lassen.

2007 wurde als Vorläufer des heutigen MVZ eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft von Mutter und Sohn an zwei Praxissitzen gegründet, ursprünglich mit rein hausärztlicher Ausrichtung. Kontinuierliche regionale Wachstumsimpulse und die Freude an unternehmerischen Herausforderungen ließen die Umfirmierung zum MVZ konsequent erscheinen.

Heute ist der Allgemeinmediziner Dr. Volker Kielstein alleiniger Gesellschafter des Versorgungszentrums, das in Erfurt und acht weiteren Städten Thüringens ein Schwergewicht der ambulanten Versorgung bildet. Pro Quartal werden, so Kielstein, Patienten "in fünfstelliger Größenordnung" versorgt. Sieben Fachbereiche werden abgedeckt: Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Augenheilkunde, Diabetologie, Pädiatrie, Neurologie und ärztliche Psychotherapie.

Kielstein ist von den Größenvorteilen und der Effizienz seines zentral geführten Praxisverbunds überzeugt: "Ich behaupte, dass meine angestellten Kollegen in viel weniger Zeit genauso viele Patienten versorgen wie ein Selbstständiger, da keine Zeit für administrative und Abrechnungsvorgänge verschwendet werden muss und das führt zur Steigerung der Qualität am Patienten". Auch gebe es bei den angestellten Ärzten keine Motivation, technische Untersuchungen zu machen, nur um Geräte besser auszulasten. Hier zählten lediglich medizinische Notwendigkeiten.

Eine straffe Praxisorganisation mit ausgefeilter EDV-Unterstützung halte den Kollegen den Rücken frei von jeglicher Verwaltung. Beispielhaft nennt Kielstein die Blankoformularbedruckung, die an sämtlichen Arbeitsplätzen im MVZ möglich ist und für einen weitgehend papierlosen Betrieb sorgt. Wofür man früher bis zu 15 Minuten gebraucht habe - das richtige Formular herauszusuchen, auszufüllen beziehungsweise zu bedrucken -, das sei mit modernen Laserdruckern und digital abgelegten Formatvorlagen eine Sache von einer Minute.

Eine elektronische Patientenakte ist im Kielstein-MVZ ebenso selbstverständlich wie geschulte MFA, die als VERAH-Schwestern Hausbesuche absolvieren und damit die Ärzte entlasten. Ein weiterer organisatorischer Pluspunkt sei die standortübergreifend identische Einrichtung aller Arbeitsplätze. Weil die Abläufe in jeder der neun MVZ-Praxen gleich sind, ließen sich die Mitarbeiter flexibel einsetzen. Umgekehrt gelte aber auch, dass erst die Größe eines MVZ Strukturen schaffe, in denen sich organisatorisch Effizienzgewinne heben ließen.

Angestellte Ärzte mit einem 30-Stunden-Vertrag würden bei ihm auf 900 bis 1000 Scheine im Quartal kommen, versichert Kielstein. "Und zwar ohne Überstunden - darauf wird geachtet". Dagegen summiere sich die Wochenarbeitszeit eines Einzelkämpfers in eigener Praxis nicht selten auf 60 bis 80 Stunden. Davon entfielen meist 50 Prozent auf organisatorische Tätigkeiten, rechnet Kielstein aus eigener, früherer Erfahrung vor. "Bei mir ist ein angestellter Arzt nur Arzt, sonst nichts". Als Niedergelassener in Eigenregie sei ein Arzt "Hausmeister, Buchhalter, Kaufmann, IT-Verantwortlicher, Qualitätsbeauftragter und Personalreferent". (cw)

Dr. Klaus Reinhardt, Hausarzt in Bielefeld und Vorsitzender des Hartmannbundes.

Dr. Klaus Reinhardt, Hausarzt in Bielefeld und Vorsitzender des Hartmannbundes.

© Michael Dedeke

Für Dr. Klaus Reinhardt ist klar: Die meisten wirtschaftlich selbstständigen Ärzte sind motivierter als ihre angestellten Kollegen. Das wirkt sich nicht nur positiv auf den Ertrag der Ärzte aus, auch die Patienten profitieren vom größeren persönlichen Einsatz. "Angestellte Ärzte schöpfen ihr volles Potenzial nicht immer aus", sagt Reinhardt. Ob der Staat, ein Großinvestor oder ein anderer Arzt der Arbeitgeber ist, spiele dabei keine Rolle.

Freiberuflich tätige Ärzte sind darauf angewiesen, dass die Patienten sich gut bei ihnen aufgehoben fühlen und wiederkommen. Deshalb gehen sie auf die Patienten ein, hören zu und erklären viel - auch wenn es mal länger dauert, argumentiert er. "Bei angestellten Ärzten ist die Belastungsgrenze eher erreicht." Die Erfahrungen in staatlichen Gesundheitssystemen wie der DDR oder dem englischen NHS untermauern seiner Meinung nach, dass freiberuflich tätige Ärzte besser auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen.

Der Bundesvorsitzende des Hartmannbundes und Kammer-Vize von Westfalen-Lippe ist in Bielefeld als Hausarzt niedergelassen. Er betreibt mit zwei Kollegen eine Gemeinschaftspraxis, die wiederum eine Apparategemeinschaft mit fachärztlichen Kollegen im selben Stockwerk hat. Alle sind wirtschaftlich selbstständig. Reinhardt beschäftigt wegen seiner berufspolitischen Aktivitäten eine Entlastungsassistentin.

Die freiberufliche Tätigkeit ist nicht zwangsläufig mit der Arbeit des Arztes in einer Einzelpraxis gleichzusetzen, betont Reinhardt. "Die Selbstständigkeit schließt größere Zusammenschlüsse nicht aus." Diese Kooperationen könnten über eine gute Praxisorganisation vergleichbare Effizienz- und Produktivitätsgewinne erzielen wie ein MVZ mit angestellten Ärzten, ist er überzeugt. Die bessere Kostenstruktur erlaube die Beschäftigung von Mitarbeitern für die Entlastung der Ärzte von bürokratischen Tätigkeiten. Zudem seien Selbstständige in ihrer Arbeitsgestaltung autonomer - ein wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

"Auch in größeren Strukturen ist die Selbstständigkeit ein wichtiger Motivationstreiber", glaubt Reinhardt. Die Autonomie des niedergelassenen Arztes trage zum wirtschaftlichen Erfolg der Arbeit bei. In Kooperationen begegneten sich die einzelnen Ärzte auf Augenhöhe, anders als im Verhältnis von Angestellten und Chef. Der selbstständige Arzt hat Mitbestimmungsrechte und ist an den Gewinnen beteiligt. Auch das wirkt sich positiv auf die Produktivität aus. "Es ist motivierend, wenn ein größerer Einsatz auch mehr bringt."

Bei angestellten Ärzten schöpft der Arbeitgeber den Mehrwert ab. Zwar trägt der Chef dafür das wirtschaftliche Risiko. Aber auch da stellen sich die Freiberufler nicht unbedingt schlechter. "In größeren Gemeinschaften teilen die niedergelassenen Ärzte das Risiko", so Reinhardt. Hinzu komme: "Für niedergelassene Ärzte ist das wirtschaftliche Risiko in allen Fachgruppen überschaubar."

Für manche Ärzte könne es verlockend sein, wenn sie sich als Angestellte um nichts anderes als die eigentliche Tätigkeit kümmern müssen. Reinhardt: "Aber wer sich um nichts kümmern muss, kümmert sich vielleicht auch nicht mit der gleichen Intensität um die Patienten wie der, der verantwortlich ist." (iss)

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