Künstliche Intelligenz
Warum die Uniklinik Essen auf KI setzt
Die Universitätsmedizin Essen entwickelt Anwendungen mit künstlicher Intelligenz, um die Patientenversorgung deutlich zu verbessern. Dabei geht es um mehr als um Effizienzgewinne.
Veröffentlicht:Essen. Ein nephrologischer Patient hat eine Lungenarterien-Embolie. In der Klinik wird eine Computertomographie gemacht. Bis ein Radiologe die Aufnahme auswertet, die Erkrankung erkennt und die Information bei den Kollegen von der Kardiologie landet, vergeht einige Zeit. Eine auf künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software könnte das Ergebnis einer Datenanalyse dagegen sofort an alle betroffenen Fachrichtungen schicken. In der Kardiologie könnten die notwendigen Maßnahmen zeitnah eingeleitet werden.
Das ist eines von vielen Beispielen, mit denen der Radiologe Professor Felix Nensa von der Universitätsmedizin Essen das große Potenzial von KI-Anwendungen in der Medizin unterstreicht. Nensa hat den Schwerpunkt KI und leitet die Arbeitsgruppe „Datenintegration und KI in der Radiologie“ des Institute for Artificial Intelligence in Medicine (IKIM) an der Uniklinik.
„Viele Dinge sind heute schon möglich, wenn wir die Daten nutzen würden, die wir haben“, sagte Nensa beim Besuch von Dr. Gottfried Ludewig, Leiter der Gesundheitssparte bei der Telekom-Tochter T-Systems. Ludewig schaute sich in Essen verschiedene Bereiche des Projekts SmartHospital.NRW an, darunter den KI-Showroom des IKIM.
Verschiedene KI-Anwendungen sind in der Entwicklung
Um die Fülle an Daten für möglichst viele Bereiche nutzbar machen zu können, setzt das Uniklinikum auf den Fast Healthcare Interoperability Resource-Standard (FHIR). Es hat nach eigenen Angaben mit mehr als 1,5 Milliarden Ressourcen Mitte 2023 den größten FHIR-Server in Deutschland.
In der Klinik kommen bereits einige KI-Anwendungen zum Einsatz, andere befinden sich noch in der Entwicklung. An mehreren Arbeitsplätzen wird das „WisperMED“-Tool eingesetzt: Es wandelt gesprochene in geschriebene Sprache um – und zwar in mehreren Sprachen – und kann auch fremdsprachige Dokumente in die deutsche Sprache übertragen. Die Essener nutzen es bei der sprachlichen Erfassung von medizinischen Dokumenten, bei Bedarf inklusive der Übersetzung in Deutsch, als Übersetzungstool bei der Arzt-Patienten-Kommunikation und zur beschleunigten Dokumentation, etwa beim Verfassen von Befunden.
In der Testphase befindet sich das KI-Modell „Speech2Metrics“. Das ist ein Algorithmus, der es ermöglicht, den FHIR-Datenbestand über gesprochene oder geschriebene natürliche Sprache abzufragen. Fragen die Ärztin oder der Arzt „Welche Medikation hat der Patient in der vergangenen Woche erhalten?“, liefert der Algorithmus die entsprechenden Informationen in strukturierter Form.
Die Forscher brauchen Partner-Unternehmen
Die KI-Applikation „Body and Organ Analyzer“ liefert eine 3D-Segmentierung von Organen und Gewebe im CT und ermöglicht die Berechnung des Volumens in Milliliter. Die Anwendung wird zurzeit in Forschungsprojekten eingesetzt.
„Viele Tools stehen bereits an den Arbeitsplätzen zur Verfügung, vor allem diejenigen, die Sprache in Text umwandeln“, berichtet Nensa. Bei Eigenentwicklungen, die unter das Medizinproduktegesetz fallen, brauchen die Wissenschaftler Partner-Unternehmen, um sie in der Versorgung einsetzen zu können. „Das übersteigt, was wir als Forschungsinstitut leisten können.“
Bei den KI-Anwendungen ist nach seiner Erfahrung ein breiter Fokus notwendig. „Man muss offen sein und die Dinge nicht nur aus einer Fachrichtung sehen, sondern im Blick haben, wie das Krankenhaus als Ganzes funktioniert.“ Eine KI-basierte Software zum Erkennen von Frakturen sei in Essen etwa bei Radiologen auf wenig Gegenliebe gestoßen, in der Unfallchirurgie aber auf große Resonanz.
„KI ist ein extrem mächtiges Instrument, um diverse Probleme zu lösen“, betonte er. Im Moment seien viele Anwendungen auf Effizienzgewinne ausgerichtet: Die Menschen werden von langweiligen Tätigkeiten entlastet, ihnen bleibt wieder mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten. Künftig wird es laut Nensa verstärkt darum gehen, mit Hilfe der KI neue medizinische Erkenntnisse zu gewinnen.
„Ein qualitativer Sprung hin zu einer menschlicheren Medizin“
„Künstliche Intelligenz klingt technisch, ist aber die Grundlage für eine menschlichere Medizin“, sagte T-Systems-Manager Ludewig, der früher Leiter der Abteilung Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium war. KI sei viel mehr als eine weitere technische Entwicklung, sondern sie ebne den Weg in eine bessere Medizin, betonte er. „Wenn wir nicht verstehen, dass dies der Kern moderner Medizin ist, dann gehen wir in die falsche Richtung.“
KI helfe, ein besseres Verständnis von Krankheiten zu bekommen, eine genauere Therapie zu entwickeln und den Menschen unnötige Behandlungen zu ersparen. „Es ist ein qualitativer Sprung hin zu einer menschlicheren Medizin“, findet Ludewig.
Wenn sich Kliniken auf diesem Gebiet nicht engagieren, riskieren sie ihre Konkurrenzfähigkeit, sagte der Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin Essen, Professor Jochen Werner. „Wenn wir bei der datenbasierten Medizin nicht aktuell bleiben, geht die Schere zu den Spitzenzentren weltweit immer weiter auf.“
Das wäre vor allem für die Patienten schlecht, ist Werner überzeugt. Die Auswertung der vorhandenen Daten könne nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Therapie leisten, sondern auch zur Fehlervermeidung und zur Prävention und Früherkennung von Krankheiten. „Ich glaube, in zehn Jahren wird die Medizin deutlich sicherer und transparenter sein.“