Wer ausschert, riskiert groben Behandlungsfehler
Der Bundesgerichtshof hat die Möglichkeit für Patienten, Schadenersatz zu fordern, erleichtert: Verstößt ein Arzt gegen Behandlungsstandards, trägt er die Beweislast.
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Ärzte sollten sich an die Behandlungsstandards halten, ansonsten droht Ärger.
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KARLSRUHE (mwo). Ärzte, die sich nicht an bewährte Behandlungsregeln halten, müssen sich einen groben Behandlungsfehler vorwerfen lassen. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe mit einem kürzlich schriftlich veröffentlichten Urteil entschieden.
Als Konsequenz kehrt sich die Beweislast zu Lasten der Ärzte um, so dass sie einfacher auf Schadenersatz verklagt werden können.
Im Streitfall litt ein 54-Jähriger abends beim Sport an Schmerzen im Brustraum, Atemnot, Schwindel und Erbrechen. Der Notarzt machte ein EKG, diagnostizierte einen Myokardinfarkt und wies den Mann in eine Klinik ein.
Dort bestätigten kurz nach Mitternacht die Untersuchungen die erste Diagnose. Die Ärztin setzte aber auf eine spontane Wiedereröffnung der verschlossenen Gefäße und verordnete keine Medikamente zur Fibrinolyse. Erst am kommenden Morgen holte der Oberarzt dies nach.
Der Patient starb zehn Tage später. Seine Tochter und Alleinerbin verlangt Schadenersatz und Schmerzensgeld. Das Landgericht Limburg und das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main bestätigten zwar, eine sofortige Fibrinolyse sei "zwingend indiziert" gewesen. Es lasse sich aber nicht sicher feststellen, dass dies zu einem besseren Verlauf geführt hätte.
Urteile aufgehoben
Der BGH hob beide Urteile auf. Das OLG soll nun prüfen, ob nicht zugunsten der Tochter eine Umkehr der Beweislast greift. Die Karlsruher Urteilsgründe legen dies nahe. Dann müssten umgekehrt die Ärztin und ihre Klinik beweisen, dass der Patient trotz Fibrinolyse gestorben wäre.
Diese Beweislastumkehr tritt nach ständiger BGH-Rechtsprechung ein, wenn Ärzte einen "groben Behandlungsfehler" begehen, der "aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf".
Ob ein solcher grober Fehler vorliegt, müssen nach dem BGH-Urteil die Gerichte selbst prüfen; sie dürfen darin nicht blind ihrem Sachverständigen folgen. Der hatte im konkreten Fall der Ärztin zwar einen klaren Fehler attestiert, dies aber dennoch für verständlich gehalten, weil sie einem eigenen Behandlungskonzept gefolgt sei.
Der BGH ließ dies nicht gelten. Es komme auf einen "objektiven" Fehler an und nicht auf dessen "subjektive Vorwerfbarkeit". Denn die Beweislastumkehr sei keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden. Sie gelte, weil dem Patienten "wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers" für den Krankheitsverlauf ein Kausalbeweis nicht mehr zumutbar sei.
Az.: VI ZR 139/10
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