Immuntherapie mit Krebsmitteln

Kurskorrektur in der Alzheimerforschung?

Offenbar entzieht sich das Gehirn bei Morbus Alzheimer dem Immunsystem. Checkpoint-Hemmer aus der Krebstherapie könnten dies verhindern. Bei Mäusen klappt das schon.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Neuronen mit Amyloid-Plaques sind ein Merkmal von Morbus Alzheimer – doch längst nicht das einzige.

Neuronen mit Amyloid-Plaques sind ein Merkmal von Morbus Alzheimer – doch längst nicht das einzige.

© Juan Gärtner / Fotolia

CHICAGO. Bei Morbus Alzheimer läuft noch mehr schief als nur der Amyloidstoffwechsel. Nervenzellen sterben, Synapsen gehen zugrunde, Axone degenerieren, das Gehirn schlittert in einen chronisch entzündlichen Zustand. Viele solcher Prozesse lassen sich auch unabhängig von Beta-Amyloid triggern, nicht zuletzt über vaskuläre Faktoren, legen neue Daten nahe, die beim internationalen Alzheimerkongress in Chicago präsentiert wurden. Gibt es für all das eine gemeinsame Ursache?

Wenn sich die Erkenntnisse, die israelische Forscher aus Tierversuchen gewonnen haben, auf Menschen übertragen lassen, dann jedenfalls liegt der Schlüssel gegen Alzheimer in einer Immuntherapie. Mit Checkpoint-Hemmern oder ähnlichen immunregulatorischen Medikamenten aus der Krebsmedizin könnte das Immunsystem wieder die Kontrolle über das Gehirn zurückgewinnen und die Neurodegeneration nicht nur stoppen, sondern den Schaden zum Teil auch reparieren, erläuterte die Neuroimmunologin Professor Michal Schwartz vom Weizmann-Institut in Rehovot bei der Tagung.

Gehirn entzieht sich der Kontrolle

Denn offenbar laufen im Alter immunologische Prozesse aus dem Ruder, und das ist bei Mäusen nicht anders als bei Menschen. Die Forscher um Schwartz waren in den vergangenen 20 Jahren immer wieder auf einen Zusammenhang zwischen Immunsystem und Regeneration im Gehirn gestoßen. Mit stimulierten Makrophagen konnten sie Lähmungen bei Ratten zurückbilden, sie sahen zu, wie T-Zellen Neuronen nach dem Durchtrennen von Axonen vor dem Untergang bewahrten, und fanden heraus, dass eine systemische Immunsuppression die Lernfähigkeit von Nagern schmälerte, das Sozialverhalten beeinträchtigte und die Bildung neuer Nervenzellen unterband. Bei alternden Gehirnen war das ganz ähnlich – hier schienen die protektiven und restaurativen Immunzellen langsam aus dem Gehirn zu verschwinden.

Die Forscher um Schwartz fanden auch den Grund: Der Plexus choroideus macht seine Schotten für Immunzellen wie Monozyten und Makrophagen dicht. Die Blut-Liquor-Schranke wird für sie geschlossen. Für die normale Funktion dieses Übergangs sind vor allem zwei Signale wichtig: Zytokine wie TNF-alpha aus dem Gehirn signalisieren eine Notlage, T-Zellen im Plexus reagieren darauf und schütten Interferon-gamma aus. Darauf öffnet sich die Schranke und die Immunzellen gelangen ins Gehirn, erläuterte Schwartz. Im alternden Gehirn wird jedoch immer mehr Interferon-beta ausgeschüttet, und das Immunsystem produziert weniger Interferon-gamma, die Folge ist eine Dysfunktion des Plexus.

"Das Gehirn entzieht sich der Kontrolle des Immunsystems", so die Expertin. Neutralisierten die Forscher in ihren Experimenten den Interferon-beta-Pfad, konnten sie den Verkehr durch den Plexus wiederherstellen und auch die kognitive Leistung der Tiere verbessern.

Letzteres führte sie schließlich in die Alzheimerforschung. Was, wenn sich bei Alzheimerkranken das Gehirn ebenfalls der Immunkontrolle entzieht, so wie das Krebszellen tun, und als Folge seine regenerativen Fähigkeiten verliert? Dies könnte wiederum dazu führen, dass Beta-Amyloid- und Tau-Proteine akkumulieren und weitere neurodegenerative Prozesse in Gang kommen.

Immunsystem repariert Schäden

Das Team um Schwartz prüfte dies in einem Mausmodell mit fünf humanen Alzheimermutationen. Die Tiere zeigen in der Regel nach sechs Monaten erste Lernschwierigkeiten, etwa in Labyrinth-Tests. Bereits zwei Monate nach der Geburt beobachteten die Forscher anhand von Schlüsselmolekülen eine zunehmende Dysfunktion des Plexus choroideus. Gleichzeitig stieg der Anteil supprimierender T-Zellen deutlich an.

Wurden diese T-Zellen für kurze Zeit mit genetischen Tricks ausgeschaltet, öffnete sich die Blut-Liquor-Schranke wieder für Monozyten und Makrophagen, und die Amyloidpathologie bildete sich fast vollständig zurück. Auch die kognitiven Defizite waren dann weniger stark ausgeprägt.

Etwas eleganter als über Genmodifikationen lässt sich die Immunsuppression mit bereits vorhandenen Arzneien ausschalten, den Checkpoint-Hemmern aus der Onkologie. Die Forscher um Schwartz behandelten ihre Alzheimermäuse mit solchen Medikamenten. Der Effekt war verblüffend: Konnten unbehandelte Mäuse sich den Weg aus einem Labyrinth nicht merken, gelang dies solchen mit PD-1- oder PD-L1-Hemmer fast ebenso gut wie normalen Tieren.

Die Mäuse lagerten zudem deutlich weniger Beta-Amyloid im Gehirn ab, es gingen weniger Neurone zugrunde und auch die Gliose war deutlich schwächer ausgeprägt. Zudem fanden die Wissenschaftler eine verstärkte Aktivierung von Gliazellen neben den Amyloidplaques und mehr Monozyten im Hirnparenchym. Es schien, als habe das Immunsystem begonnen, die Schäden im Hirn zu reparieren und die Neurodegeneration zu stoppen.

Davon ausgehend, dass ein solcher Mechanismus nicht nur überschüssiges Beta-Amyloid beseitigt, machten die Forscher um Schwartz ähnliche Experimente mit Mäusen, die aufgrund von Genmutationen übermäßig Tau ablagern. Hier zeigten sich ähnliche Effekte: Auch die Tau-Pathologie ließ sich durch eine Behandlung mit Checkpoint-Hemmern beheben.

Wurden hingegen Monozyten gezielt deaktiviert, nützten die Medikamente nichts. Dies alles nährt den Verdacht, so Schwartz, dass eine altersbedingte Dysfunktion des Immunsystems und des Plexus choroideus neurodegenerative Krankheiten begünstigen. Ein gezielter Eingriff ins Immunsystem könnte das Problem vielleicht lösen.Noch werfen die Forschungen aber einige Fragen auf. Warum entzieht sich das Gehirn dem Immunsystem, statt auf dessen heilende Kräfte zu setzen? Zumindest im Mausmodell scheint die Amyloidpathologie die Abschottung des Gehirns zu triggern, andererseits sprechen die Resultate dafür, dass die Plexus-Dysfunktion die Amyloidablagerung ankurbelt. Möglicherweise bedingen sich beide Prozesse gegenseitig. Auch ist noch nicht klar, in welcher Weise sich die Beobachtungen bei Mäusen auf das alternde Gehirn von Menschen übertragen lassen.

Immerhin können Forscher die Hypothese recht einfach testen, nach der aktivierte Immunzellen auch bei Menschen im Gehirn den Müll abräumen und die Neuronen vor dem Untergang bewahren. Man darf also auf die ersten klinischen Studien mit Checkpoint-Hemmern gegen Alzheimer gespannt sein.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Nicht nur auf Amyloid schauen!

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 20.08.201814:13 Uhr

Morbus Alzheimer und fehlende Immun-Repair-Mechanismen im Gehirn

Die Alzheimer-Demenz ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung und keine einfache, monokausale Stoffwechselerkrankung des Gehirns. Neben der spezifischen Pathologie mit Ablagerung von Amyloid Aß42, Tau-Aggregation und Neurodegeneration spielen auch konventionelle Gefäßrisikofaktoren wie Alter, Dyslipidämie, Inflammation und oxidativer Stress eine Rolle. Nicht zuletzt spielt auch die Immunologie der Blut-Hirn-Schranke eine wesentliche Rolle im ursächlichen Krankheitsgeschehen.

Etwa 30 Prozent des Alzheimer-Risikos lassen sich durch sieben Risikofaktoren erklären:
Diabetes,
Hypertonie,
Adipositas,
Depression,
körperliche Inaktivität,
Rauchen und
geringe Bildung.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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