Tag des Cholesterins
Eine geballte Dosis Fakten gegen die "Cholesterin-Lüge"
Das Märchen von der "Cholesterin-Lüge" wird immer wieder neu erzählt. Wissenschaftler setzen Daten aus 200 Studien mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern, über 20 Millionen Personenjahren sowie 150.000 kardiovaskulären Ereignissen dagegen.
Veröffentlicht:Zufall oder nicht? Seit 15 Jahren wird im Juni der "Tag des Cholesterins" begangen. Und 15 Jahre ist es her, dass ein emeritierter Professor der Chirurgie sein Buch von der "Cholesterin-Lüge" auf den Markt brachte.
Das Buch hat es – in offenbar unbearbeiteter Form – zum Evergreen in x-ter Auflage geschafft, die griffige Vokabel aus dem Titel ebenso. Insofern setzt der von der Lipid-Liga (Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen, DGFF) ausgerufene "Tag des Cholesterins" alljährlich einen Kontrapunkt zum in Publikumsmedien immer und immer wieder aufgewärmten Märchen von der "Lüge".
Konsenspapier der EAS
In diesem Jahr fällt das Datum außerdem zusammen mit der Veröffentlichung eines Konsenspapiers der Europäischen Atherosklerose-Gesellschaft (EAS): Ein international zusammengesetztes Autorenteam trägt darin die geballte Evidenz der vergangenen Dekaden zum Kausalzusammenhang zwischen LDL-Cholesterin und der Entwicklung atherosklerotisch bedingter kardiovaskulärer Krankheiten zusammen: 200 Studien mit mehr als zwei Millionen Teilnehmern, über 20 Millionen Personenjahre sowie 150.000 kardiovaskuläre Ereignisse umfassend (Eur Heart J 2017, online 24. April).
In einem zweiten Papier, das noch nicht erschienen ist, sollen die Erkenntnisse eingeordnet werden in das heutige Verständnis der Pathophysiologie der Atherosklerose und ihrer Folgen. Wird das die Skeptiker überzeugen? Wohl nur jene, die offen sind für Argumente.
"Die Zusammenhänge sind jenseits jeden Zweifels", macht Professor Peter Grützmacher vom Vorstand der Lipid-Liga im Gespräch mit "Springer Medizin" klar und verweist auf epidemiologische Studien, randomisierte genetische Studien und randomisierte Interventionsstudien.
"Je höher das LDL-Cholesterin im Blut ist, desto höher ist auch die Ereignis- und Komplikationsrate bei Herzkreislauf-Erkrankungen", erklärt der Lipidologe aus Frankfurt am Main.
Die Autoren der EAS-Publikation um Dr. Brian Ference von der Wayne State University in Detroit im US-Staat Michigan führen unter anderem an, dass in allen untersuchten Säugetierspezies die experimentell induzierte Erhöhung des Plasma-LDL und anderer ApoB-haltiger Lipoproteine zur Atherosklerose geführt habe.
Eindeutig sind auch die Zusammenhänge bei Menschen mit familiärer Hypercholesterinämie, also genetisch bedingt stark erhöhten LDL-Cholesterin-Werten: Unbehandelt treten sehr früh im Leben kardiovaskuläre Ereignisse auf.
Auf der anderen Seite gibt es Menschen mit Loss-of-Function-Mutationen im PCSK9-Gen, sie haben sehr niedrige LDL-Cholesterinkonzentrationen im Blut, ihr kardiovaskuläres Risiko ist klein.
LDL zu senken nützlich
Werden Menschen mit erhöhtem LDL-Cholesterin behandelt, sinkt das Risiko umso mehr, je stärker es gelingt, das LDL zu senken. Diese Dosisabhängigkeit spricht ebenfalls für Kausalität.
In epidemiologischen Studien wurde der lineare Zusammenhang zwischen absoluter LDL-Exposition und dem Ausmaß des kardiovaskulären Risikos über lange Zeiträume sichtbar gemacht. In Studien mit Mendelscher Randomisierung gibt es einen kumulativen Effekt dauerhaft erhöhten LDL-Cholesterins.
Kurz: Wenn es so etwas wie konsistente Evidenz gibt, dann beim Zusammenhang zwischen LDL-Erhöhung und Atherosklerose. Das LDL-Cholesterin sei "nicht bloß ein Biomarker", schlussfolgern Ference und Kollegen, es sei tatsächlich ein Kausalfaktor.
Angesichts der Fülle von Beweismaterial fragt es sich, warum dazu in der Öffentlichkeit und zum Teil selbst in Fachkreisen noch Unklarheiten bestehen. Grützmacher erklärt dies damit, dass in der Vergangenheit dem Cholesteringehalt in der Ernährung eine zu große Bedeutung für die Therapie beigemessen wurde: "Das Frühstücks-Ei löst noch keine atherosklerotische Erkrankung aus.
"Wesentlich entscheidender sei, wie der Körper das aufgenommene Nahrungs-Cholesterin verstoffwechselt. Darüber hinaus standen bis Mitte der 90-iger Jahre nur wenig potente Medikamente mit geringerem Cholesterin-senkenden Effekt, aber erheblichem Nebenwirkungspotential zur Verfügung.
"Dieses Bild hat sich deutlich gewandelt, stehen doch in der modernen Therapie hochwirksame, meist sehr gut verträgliche Medikamente zur Verfügung", so Grützmacher. Damit ließen sich Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern.
Problem: Cholesterin-Entsorgung
Unverändert ist dagegen das Stoffwechselpotential des im Nahrungsüberfluss lebenden Industriemenschen: Es entspricht dem des Neandertalers. Unser Körper ist auf eine sehr knappe Nahrungscholesterin-Zufuhr eingestellt. Nahezu jede Zelle unserer Körpers kann selbst Cholesterin produzieren und damit die Eigenversorgung decken, ohne auf Nahrungscholesterin angewiesen zu sein.
Grützmacher: "Unser Problem ist Cholesterin los zu werden, wenn wir es im Überfluss haben." Während Triglyceride im Fettgewebe gespeichert werden können, muss überschüssiges Cholesterin über die Leber entsorgt werden. Letzteres ist problematisch, daher zirkuliert es lange im Blut und richtet Schäden in den Gefäßen an.
"Ein Gesamtcholesterin von 120 mg/dl ist unproblematisch, ein LDL-Cholesterin von 60 mg/dl völlig ausreichend", sagt der Lipidologe. Diese Konzentrationen oder sogar deutlich weniger finden sich bei Kindern, bei Naturvölkern und bei Säugetieren.
Und zwar ohne dass Mangelzustände auftreten. "Wenn wir etwas in den vergangenen Jahren gelernt haben, dann wie wenig Cholesterin im Blut der Mensch wirklich braucht."