WHO
Zahl der Masernfälle in Europa explodiert
So viele Menschen wie seit zehn Jahren nicht mehr haben sich 2018 in der Europa-Region der WHO mit Masern angesteckt. Besonders viele Infizierte gab es in der Ukraine.
Veröffentlicht:KOPENHAGEN. In Europa werden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr Kinder gegen Masern geimpft als je zuvor. Trotzdem sind im vergangenen Jahr in der europäischen WHO-Region die Zahlen der Masernkranken explodiert.
Die 2018 gemeldeten 82.596 Betroffenen sind ein absoluter Höchststand in den letzten zehn Jahren, dreimal so viele wie im Vorjahr und sogar 15 Mal mehr als 2016 (siehe nachfolgende Tabelle).
Auch das von Impfgegnern häufig bemühte Bild von Masern als harmloser Kinderkrankheit wurde erneut widerlegt: In den Ländern, die der WHO Daten über Krankenhauseinweisungen geliefert haben, wurden 2018 fast zwei Drittel der Patienten stationär behandelt. 72 Menschen sind zudem bei den Ausbrüchen im letzten Jahr gestorben, im Vergleich zu 42 Masern-Todesfälle im Jahr davor.
Impflücken verantwortlich
Der Anstieg der Masernzahlen ist letztlich auf Impflücken zurückzuführen. Der Fokus der Masernausbrüche lag im vergangenen Jahr in der Ukraine, die mit 53.218 gemeldeten Fällen den Löwenanteil der Masernkranken in der Region ausmachten. Hier waren in den vergangenen Jahren die Impfraten bedingt durch Krieg und Wirtschaftskrise stark zurückgegangen.
Zu den fünf Ländern mit den den meisten Masernkranken gehören zudem Serbien (5076 Betroffene), Israel (2919), Frankreich (2913) und Italien (2517).
In Deutschland waren 2018 die Erkrankungszahlen rückläufig; mit 532 Masernfällen (2017: 929) sind wir aber immer noch weit von dem Eliminationsziel von weniger als 80 Fällen pro Jahr entfernt.
Und: Durch die zentrale Lage in Europa und Ausbrüchen in Nachbarländern ist Deutschland besonders vulnerabel für die Einschleppung von Erregern und längere Transmissionsketten, vor allem in Ballungsräumen wie Berlin oder dem Ruhrgebiet.
Fortschritte verschleiern die Impflücken
Der sprunghafte Anstieg der Zahl der Masernfälle folgte auf ein Jahr, in dem die Europäische Region nach Schätzungen die bisher höchste Durchimpfung mit zwei Dosen Masernimpfstoff (2017: 90 Prozent) erreichte, berichtet die WHO in einer Mitteilung.
2017 erhielten danach mehr Kinder als je zuvor die zweite Dosis rechtzeitig gemäß den Impfplänen der Länder. Die Durchimpfung für die erste Dosis des Impfstoffs stieg auch leicht auf 95 Prozent an, den höchsten Wert seit 2013.
Doch Fortschritte in der Europäischen Region dank Erfolgen auf der Länderebene können leicht Lücken verschleiern, die oft erst nach Krankheitsausbrüchen entdeckt werden.
„Das Bild von 2018 verdeutlicht, dass die gegenwärtigen Fortschritte bei der Erhöhung der Impfraten nicht ausreichen, um eine Zirkulation der Masernviren zu unterbinden“, wird WHO-Regionaldirektorin für Europa, Dr. Zsuzsanna Jakab, in der Mitteilung zitiert.
Die Daten zeigten einerseits außergewöhnlich hohe Impfraten auf Ebene der Europäischen Region, andererseits aber auch eine Rekordzahl von Erkrankungen und Todesfällen aufgrund von Masern. „Das bedeutet, dass Lücken auf lokaler Ebene dem Virus immer noch Tür und Tor öffnen“, so Jakap.
„Wir können nicht weltweit die Gesundheit der Bevölkerung verbessern, wie in der Vision der WHO für die nächsten fünf Jahre versprochen, wenn wir nicht auf der lokalen Ebene ansetzen. Um jeden Einzelnen vor leicht vermeidbaren Krankheiten zu schützen, müssen wir mehr tun und wirksamer handeln.“
Die WHO ruft die Länder Europas daher eindringlich dazu auf, ihre Interventionen gezielt auf jene Orte und Gruppen zu richten, in denen Impflücken bestehen.
Deutschland ist „high priority country“
Deutschland hat hier besonderen Nachholbedarf. Wir gehören (seit 2017 wieder) zu den letzten zehn der 53 Staaten in der WHO-Region Europa, in denen die jetzt bis 2020 angestrebten Eliminations-Ziele verfehlt werden.
Dazu gehört eine Inzidenz von weniger als einem Fall pro einer Million Einwohner und die Unterbrechung der Transmission eingeschleppter Virusvarianten binnen zwölf Monaten. Die WHO stuft Deutschland daher beim Masernschutz als „high priority country“ ein.
Um die Eliminations-Ziele zu erreichen, reichen die aktuellen Impfraten nicht aus. Zwar waren 2016 bereits 92,9 Prozent der Schulanfänger zweimal gegen Masern geimpft, berichtet das Robert Koch-Institut (RKI).
Viele Kinder erhalten den Schutz aber nicht zeitgerecht: Nur 73,9 Prozent des Geburtsjahrgangs 2014 hatten am Ende des zweiten Lebensjahres gemäß den STIKO-Empfehlungen rechtzeitig die zweite Impfdosis erhalten, so das RKI. Auch gibt es extreme Unterschiede bei den Impfquoten in einzelnen Landkreisen.
Außerdem: Sowohl in Deutschland als auch in den meisten europäischen Ländern treten Masern inzwischen vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf. Für das Eliminationsziel müssten daher besonders die großen Impflücken in diesen Altersgruppen geschlossen werden. Dazu gibt es aber kaum Bemühungen.
Nicht hilfreich ist offenbar Zwang: In Italien wurde 2017 eine Impfpflicht für Kinder eingeführt. In Folge gab es Großdemonstrationen und Protestaktionen, berichtet der „Impfbrief online“. Der Effekt auf die Impfraten ist unbekannt.
Wir haben den Beitrag aktualisiert am 08.02.2019 um 15:45 Uhr.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Masern-Impflicht hilft nicht weiter