Debatte um Impfprogramme
USA stellen Impfung gegen Polio auf den Prüfstand
Die Rückkehr der Eisernen Lunge? Seit 70 Jahren wird in den USA gegen Polio geimpft. Unter dem neuen Gesundheitsminister Kennedy wackelten die Impfprogramme zuletzt. Zwei tragische Fälle könnten die Wende bringen.
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Ein Kind erhält im September 2024 eine Dosis des Polio-Impfstoffs im Flüchtlingslager Al-Maghazi im Gazastreifen. Im Februar dieses Jahres wurden rund 600.000 Kinder im Gazastreifen gegen Polio geimpft.
© Marwan Dawood/XinHua/dpa
Washington. Robert F. Kennedy Jr. gehört zweifellos zu den umstrittensten Berufungen von US-Präsident Donald Trump in sein Kabinett – und das will etwas heißen. Der Spross der berühmten Kennedy-Familie präsentiert sich mit seinen 71 Jahren gern als topfit, gesund und vor allem: ganz natürlich.
Letzteres klingt erstmal positiv, geht bei Kennedy aber einher mit einer strikten Ablehnung großer Teile der modernen Medizinforschung, besonders von Impfungen. Diese seien unter anderem verantwortlich für eine wachsende Zahl an Autismus-betroffenen Kindern im Land – eine immer wieder widerlegte und doch extrem langlebige Falschbehauptung.
Nun ist Kennedy tatsächlich US-Gesundheitsminister geworden – trotz großer Proteste auch aus Trumps republikanischem Lager. Der neue Minister hatte schon im Wahlkampf, in dem er zunächst als unabhängiger dritter Kandidat auftrat, keinen Hehl daraus gemacht, dass er Impfprogramme auf den Prüfstand oder sogar ganz abstellen wollte. Darunter fällt auch die Impfung gegen das Polio-Virus. Das hat eine besondere Tragik, jährt sich in diesem Jahr doch die Zulassung der Polio-Impfung in den USA zum 70. Mal.
Polio-Impfstoff 1955 eingeführt
Am 12. April 1955 gab die damalige US-Regierung unter Präsident Dwight D. Eisenhower den von Jonas E. Salk entwickelten Polio-Impfstoff frei. Der Mediziner hatte zuvor jahrelang geforscht und sich auf Impfstoffe gegen Influenza, Masern und eben Polio fokussiert. Im Labor in Pittsburgh experimentierte er vor allem an Totimpfstoffen.
In einer bis dahin beispiellosen Studie mit über einer Million Teilnehmern gelang es Salk zu belegen, dass auch tote Polio-Viren eine Immunisierung bewirken können – im Gegensatz zu den bis dahin gebräuchlichen Lebendimpfstoffen, bei denen lediglich abgeschwächte Erreger verabreicht wurden. Anfang 1955 veröffentlichte er seine Forschung, kurz darauf wurde der Impfstoff zugelassen.
Der Kampf gegen Polio war zur Zeit von Salks Forschung noch auf dem Höhepunkt. Erst 1952 hatte sich die bis dahin größte Polio-Epidemie in den USA abgespielt, mit fast 58.000 gemeldeten Fällen und über 3.000 Todesopfern; auch in Deutschland brach sich die Infektionserkrankung in diesem Jahr ungeahnt Bahn. Vor allem auf Kinder steckten sich an. Die sogenannte Eiserne Lunge, ein monströses medizinisches Gerät, in dem nur der Kopf der Erkrankten frei blieb und diesen das Weiteratmen ermöglichte, war damals ein allzu gewohnter Anblick.
Mit Salks Entdeckung setzte dann die Kehrtwende ein, wobei der große Durchbruch erst sechs Jahre später mit Einführung der Schluckimpfung gelang. Innerhalb kürzester Zeit sanken die gemeldeten Polio-Fälle praktisch gen Null; die Industrienationen gelten bereits seit Jahren offiziell als poliofrei.
Global ausgerottet ist Polio immer noch nicht
Dennoch, global ausgerottet ist die Krankheit noch nicht. Die Globalen-Polio-Eradikations-Initiative GPEI meldete zuletzt Fälle von Erkrankungen mit den gefährlichen Wild-Polioviren in Afghanistan und Pakistan sowie von Lebendimpfstoff abgeleitete Fälle in fast allen Staaten Afrikas und in Indonesien. Sorgen bereitet zudem Gaza, wo seit dem israelischen Gegenschlag in Folge des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023 nach Jahren wieder Polio-Erkrankungen gemeldet wurden.
Experten warnen nun, dass ein möglicher Rückzug der USA aus Impfprogrammen weltweit schwerwiegende Konsequenzen haben würde. Die internationale Impfallianz Gavi wäre etwa besonders stark getroffen, sollte die US-Regierung wie geplant ihre Mittel für die Entwicklungsbehörde USAID streichen. Die Bekämpfung von Polio ebenso wie von HIV würde dadurch erhebliche Rückschläge erleiden, die von anderen Staaten kaum kompensiert werden könnten.
Zwar hat das Oberste US-Bundesgericht nun zunächst mit knapper Mehrheit verfügt, dass bereits bewilligte Gelder für Auslandshilfen freigegeben werden müssen. Die zukünftige Gestaltung der Entwicklungshilfe ist aber weiter offen und unsicher.
Kurswechsel nach Masern-Todesfällen?
Derweil könnten nun zwei tragische Todesfälle einen Kurswechsel des Ministers auslösen. Anfang der Woche starb in Texas ein zweites Kind an Masern nach einem ersten Todesfall im Februar – der erste tödliche Masernverlauf in den USA seit zehn Jahren. Kennedy schlug daraufhin andere Töne an: Die Impfung sei „der effektivste Weg, um die Masernausbreitung zu vermeiden“, erklärte er auf der Plattform X.
Selbst wenn es hauptsächlich öffentlicher Druck ist und weniger innere Überzeugung, die dem Umschwung des Ministers zu Grunde liegen – auch für die Fortführung der Polio-Impfung könnte sich daraus neue Hoffnung ergeben. (KNA)