Interview mit Pädiater und Reisemediziner Dr. Wagner
Das gilt es bei Reisen mit Kleinkindern zu beachten
Auch junge Familien reisen im Urlaub gerne ins nichteuropäische Ausland. Sind die Kinder noch sehr klein, sollten Eltern einiges beachten, betont der Pädiater und Reisemediziner Dr. Mathias Wagner im Interview mit der "Ärzte Zeitung".
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Dr. Wagner, Sie sagen, dass Reisen während der Elternzeit mit teils sehr kleinen Kindern immer beliebter würden...
Dr. Mathias Wagner: Das ist mein Eindruck als Pädiater, der in unserer Gemeinschaftspraxis in Berlin auch reisemedizinische Beratungen anbietet. Bestätigt wird das von Kollegen wie Professor Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des Centrum für Reisemedizin (CRM) in Düsseldorf.
Gesicherte Daten gibt es dazu meines Wissens nicht. Das Phänomen ist sicher der neuen Flexibilität der Elternzeit und der finanziellen Unterstützung des Staates zu danken, von dem ja auch Paare, die recht gut verdienen, profitieren. So kann das Elterngeld zwei Monate lang überlappend für jedes Elternteil gleichzeitig gezahlt werden.
Das nutzen nicht wenige Eltern für eine intensive gemeinsame Urlaubszeit mit dem Kind, unter Umständen in Verbindung mit einer langen Reise, die bislang an mangelnden Urlaubstagen oder am fehlenden Geld gescheitert war.
Wohin wird denn gerne gereist?
Wagner: Natürlich soll es bevorzugt in warme Regionen gehen. Manche Eltern sind da ziemlich blauäugig und wollen etwa nach Kenia, Indien oder Thailand reisen.
Mein Hinweis ist dann, dass es in tropischen und subtropischen Ländern viele Erkrankungen gibt, die von Mücken oder anderen Insekten übertragen werden. Davor lassen sich kleine Kinder kaum ausreichend schützen.
Wie alt sind die Kinder, wenn die Eltern wegen einer reisemedizinischen Beratung zu Ihnen kommen?
Wagner: Das ist sehr verschieden, aber die meisten wollen am Ende des ersten Lebensjahres verreisen, also zu einem Zeitpunkt, in dem erhebliche Entwicklungen des Kindes stattfinden. Diese lassen sich zum Zeitpunkt der Reisebuchung oft noch gar nicht voraussehen: Kann das Kind zum Zeitpunkt der Reise bereits laufen oder krabbelt es noch? Ist es ein ruhiges oder sehr lebhaftes Kind? Entspannt am Strand zu liegen ist in letzterem Fall wohl nicht drin.
Auch die Ernährung verändert sich: Breiige Nahrung wird zunehmend abgelöst von fester Nahrung. Das geeignete Nahrungsangebot außerhalb Europas kann, je nach Reiseland, schwer zu finden sein, wenn wir an Gewürze oder an hygienische Standards denken.
Was wäre also wichtig, bei der Auswahl des Reiselandes zu beachten?
Dr. Mathias Wagner
Aktuelle Position: Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Berlin-Wilmersdorf, Referent der Akademie des Centrum für Reisemedizin (CRM)
1991: Promotion
1996: Facharzt für Pädiatrie
Seit 2001: Mitglied der Akademie des CRM
Wagner: Es sollte eine gute Infrastruktur vorhanden sein, sowohl was Einkaufsmöglichkeiten und sichere Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung angeht, als auch in Bezug auf die potenziell notwendige medizinische Versorgung. Je entwickelter das Land, desto besser ist im Allgemeinen die Infrastruktur.
Ich rate bis zum Alter von fünf Jahren dringend von Reisen in Malaria-tropica-Endemiegebiete ab. Das sind Zentralafrika, das Amazonas-Becken und einige Regionen Asiens.
Abzuraten ist außerdem von Aufenthalten in Höhen von über 2500 Metern über dem Meeresspiegel mit Übernachtung. Eine Tour über die Altiplano-Hochebene in Südamerika ist einfach nichts für Kleinkinder.
Symptome einer Malaria oder einer Höhenkrankheit können bei Kleinkindern unspezifisch sein und sehr rasch zu irreversiblen Schäden oder gar zum Tode führen.
Wo können reiselustige Eltern mit Kleinkind dann hinfahren?
Wagner: Nun, die finanziellen Ressourcen vorausgesetzt, kann man spannende und sichere Urlaube mit Vorschulkindern unter anderem in den USA, in Neuseeland oder in Australien machen, eventuell auch in Südafrika. Natürlich muss man sich im Klaren sein, dass der Zeitzonenwechsel vom Kind verkraftet werden muss. Rundreisen mit häufigen Ortswechseln sind ebenfalls eher ungeeignet. Reisen mit einem Wohnmobil dagegen können gut funktionieren.
Nun gibt es international vernetzte Familien, die auch aus nichttouristischen Gründen Reisen antreten...
Wagner: Außer den beruflich Reisenden sind das Mitbürger, die wir in reisemedizinischen Fachkreisen als VFRs (Visiting Friends and Relatives) bezeichnen. Sie haben einen Migrationshintergrund, leben mit ihren Familien in Deutschland, wollen aber die Familie im Heimatland besuchen.
Diese Familien reisen oft ohne Beratung, oft kurzfristig, um günstige Flüge zu nutzen und häufig mit sehr kleinen Kindern, die zum Beispiel der Familie vorgestellt werden sollen. Und sie besuchen häufig entlegene Gegenden.
Bei der Beratung solcher Familien in der Praxis müssen wir wirklich sehr genau die Region anschauen, in die die Reise gehen soll. Das ist ziemlich beratungsintensiv. Meine erste Frage ist stets: Können Sie die Reise nicht noch ein wenig verschieben? Zumindest die Grundimmunisierung der Kinder mit den von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen sollte abgeschlossen sein.
Welche weiteren Impfungen sollten in Betracht gezogen werden?
Wagner: Das kommt auf die Region an, in die es gehen soll. Immer wenn diese östlich der Oder und südlich der Alpen gelegen ist, gibt es ein Risiko für Hepatitis A.
Diese Impfung ist bei Kindern ab einem Jahr möglich. Auch auf die regionale Tollwut-Gefahr ist zu achten. Für die präexpositionelle Impfung gibt es keine Altersbeschränkung.
Das sind zwar drei Impfungen, aber für kleine Kinder ist das Risiko, von Tieren gebissen zu werden, deutlich höher als für Erwachsene, weil sie sich anders verhalten und „auf Augenhöhe“ mit Hunden oder anderen Tieren sind. Postexpositionelle Impfungen vor Ort sind nicht überall sicher oder zum Teil gar nicht erhältlich.
Soll es in den Meningitis-Gürtel von Afrika gehen, kann bereits ab sechs Wochen gegen die dort häufig vorkommenden Serotypen der Meningokokken geimpft werden. Ansonsten schaue ich mir die regionalen Risiken für Typhus, japanische Enzephalitis, Cholera und anderes mehr an.
Die Gelbfieber-Impfung kann je nach Reiseland oder -route unter Umständen eine Pflichtimpfung sein. Manchmal entscheidet die Art und Weise der Reise mit darüber, ob das Kind gegen dies oder jenes geimpft werden muss oder ob darauf verzichtet werden kann.
Und die medikamentöse Malariaprophylaxe...?
Wagner: ...ist ab fünf Kilogramm Körpergewicht möglich. Für die Anwendung beim Kind sollte man den Eltern praktische Tipps an die Hand geben, wie das Zerkleinern der Tabletten und das Mischen mit der Nahrung.
Sind Repellents zum Schutz vor Insekten für Kleinkinder verträglich?
Wagner: Offiziell sind bei uns gut wirksame Repellents mit DEET (Diethyltoluamid) erst ab einem Alter von zwei Jahren zugelassen. Repellents mit Eukalyptus- oder Zitronellaölen, die bei jüngeren Kindern erlaubt sind, wirken meist nur kurz und unzureichend.
Dort, wo es krankheitsübertragende Mücken gibt, sprechen wir vom CRM uns für den Off-label-Gebrauch von DEET auch bei unter Zweijährigen aus.
Bislang gibt es aus Ländern mit Zulassung im Alter unter zwei Jahren keine Hinweise auf schädliche Wirkungen. Ansonsten sollten die allgemeinen Maßnahmen zum Schutz vor Insektenstichen ergriffen werden. Der beste Schutz ist immer die Kombination verschiedener Maßnahmen.
Welche Hinweise geben Sie Eltern, die einfach nur nach Spanien oder Italien reisen möchten?
Wagner: Natürlich ist der Sonnenschutz wichtig – das vergessen tatsächlich viele Eltern vor dem Hintergrund des Bewegungsdrangs kleiner Kinder. Die bleiben trotz elterlichen Wunsches eben nicht im Schatten. Es gibt Kleidung mit eingewebtem Sonnenschutzfaktor, empfehlenswert sind Mützen mit Nackenschutz.
Alle unbedeckten Körperpartien sollten mit Sonnencreme, Lichtschutzfaktor 30 bis 50 mehrmals täglich eingecremt werden – möglichst eine halbe Stunde, bevor es an den Sandstrand geht. Hat das Kind nach Sandkontakt erst einmal wie ein „Streuselkuchen“ ausgesehen, weil die Creme noch nicht eingezogen war, wird das Eincremen künftig schwieriger werden.
Die Sonnencreme sollte möglichst UV-A- und UV-B-Strahlung abdecken, noch besser zusätzlich auch die Infrarotstrahlung. Denn es gibt zunehmend Hinweise, dass diese ebenfalls schädlich sein kann. Die sonnenintensivste Tageszeit ist natürlich zu meiden.
Bei welchen Reisen ist generell eine reisemedizinische Beratung durch einen Arzt mit Zusatzbezeichnung zu empfehlen?
Wagner: Ich rate zur reisemedizinischen Beratung immer dann, wenn Europa verlassen werden soll. Auch für Reisen nach Ost- und Südosteuropa gibt es unter Umständen Beratungsbedarf.
Über die Homepage des CRM können entsprechend qualifizierte Ärzte in der Region leicht gefunden werden. Hinweise bietet das CRM-Handbuch „Reisen mit Risiko“, dessen Inhalte auch in der Reisemedizin-App des CRM enthalten sind.
Was gehört in die Reiseapotheke für Kinder, wenn man Europa verlässt?
Wagner: Das sind immer ein Fieberthermometer, ein Mittel gegen Fieber und Schmerzen, Nasentropfen, Sonnen- und Mückenschutz sowie Rehydrierungsmittel. Ein Paket zur Versorgung kleiner Wunden gehört ebenfalls dazu, mit Pinzette, Schere, Desinfektionsmittel und Verbandsmaterial.
Gegebenenfalls kann auch ein Breitbandantibiotikum mitgegeben werden, wenn die Eltern in der Lage sind, dies richtig einzusetzen. Wir bieten in unserer pädiatrischen Gemeinschaftspraxis den Eltern die Kontaktaufnahme aus dem Urlaub per E-Mail, über einen Messenger-Dienst oder Telefon an, sodass im Notfall Rücksprache mit uns gehalten werden kann.
Im Übrigen sollte die Reiseapotheke natürlich individuell auf den jeweiligen Patienten abgestimmt werden und zudem möglicherweise vorhandene Grunderkrankungen berücksichtigen.
Herr Dr. Wagner, Sie sind selbst Familienvater - wann sind Sie denn mit Ihrem Kind zum ersten Mal in ein außereuropäisches Land gereist?
Wagner: Noch gar nicht. Ich bin natürlich sehr reisefreudig und es kribbelt schon mächtig. Aber mein Sohn hat das dritte Lebensjahr noch nicht erreicht. Aus den genannten Gründen haben wir Eltern uns natürlich überlegt, was unser Sohn und wir selbst tatsächlich von so einer Reise hätten – und dann beschlossen, lieber noch ein wenig zu warten.