Für und Wider

Diskussion um Folsäure und Krebs hält an

Die Supplementierung mit Folsäure erhöht offenbar nicht wie befürchtet das Krebsrisiko - reduziert es aber wohl auch nicht. Die Diskussion geht weiter.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Lohnen sich Folsäure-Präparate für jedermann? Binnen fünf Jahren ließ sich kein wesentlicher Effekt auf die Krebsinzidenz herauslesen.

Lohnen sich Folsäure-Präparate für jedermann? Binnen fünf Jahren ließ sich kein wesentlicher Effekt auf die Krebsinzidenz herauslesen.

© somenski / Fotolia.com

OXFORD. In den vergangenen Jahren hat es in klinischen Studien uneinheitliche Ergebnisse zum Schaden oder Nutzen einer Supplementierung von Folsäure gegeben.

Für größeren Wirbel sorgte 2007 eine Studie, die in den USA und Kanada just zu dem Zeitpunkt einen Anstieg der Kolorektal-Ca-Inzidenz feststellte, als Nahrungsmittel mit Folsäure angereichert wurden. Danach sank die Inzidenz wieder.

Gesundheitswissenschaftler um den Epidemiologen Professor Sir Richard Peto von der Universität Oxford schauten sich deshalb in einer Metaanalyse 13 randomisierte Studien an und prüften, ob Folsäure-Supplementierung über einen vergleichsweise kurzen Zeitraum von im Mittel 5,2 Jahren (1,8 bis 7,4 Jahre) das Krebsrisiko hebt oder senkt (Lancet 2013; online 25. Januar).

Daten von 50.000 Teilnehmern

Von den fast 50.000 Studienteilnehmern hatten mehr als 2600 in insgesamt drei Studien vor Studienbeginn ein kolorektales Adenom. Knapp 47.000 Studienteilnehmer hatten ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen.

In allen außer einer Studie wurde der Effekt mit dem einer Supplementierung mit Placebo verglichen. Die tägliche Folsäuredosis lag zwischen 0,5 mg und 5 mg. Nur in einer Studie erhielten die Studienteilnehmer 40 mg Folsäure pro Tag.

Im Median betrug die Folsäurekonzentration im Plasma 57,3 nmol/l, in den Placebogruppen 13,5 nmol/l. Bei hochdosierter Supplementierung war die Plasmakonzentration 100-fach höher.

Innerhalb des Studienzeitraums erkrankten 3713 Teilnehmer an Krebs, und zwar 1904 (7,7 Prozent) in der Gruppe mit Folsäure-Supplementierung und 1809 (7,3 Prozent) in der Vergleichsgruppe - ein nicht signifikanter Unterschied. Es handelte sich vor allem um Darm-, Lungen-, Brust- und Prostatakrebs.

Beim Vergleich der Inzidenzraten ergab sich ein RR-Wert (rate ratio) von 1,06 (95%-Konfidenzintervall zwischen 0,99 und 1,13; p = 0,10). Peto und seine Kollegen konnten zudem keinen zunehmenden Einfluss von Folsäure mit der Dauer der Supplementierung erkennen, noch nicht einmal in der Studie mit Einnahme von 40 mg Folsäure pro Tag.

Womöglich ein Effekt nach Jahren

Die Epidemiologen betonen, dass aufgrund der begrenzten Dauer der Studien noch immer unklar bleibt, ob die Supplementierung viele Jahre nach Studienende nicht doch einen positiven oder negativen Effekt haben wird. Sinnvoll sei es, dies Jahrzehnte später zu überprüfen.

Darauf weisen auch Professor Joshua W. Miller von der Rutgers-Universität in New Brunswick und Professor Cornelia M. Ulrich vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg in ihrem Kommentar zur Metaanalyse hin.

Darüber hinaus beträgt der RR-Wert (rate ratio) beim Prostata-Ca. 1,15 (99%-Konfidenzintervall zwischen 0,94 und 1,41). Mit einem p-Wert von 0,07 bedeute das, dass der Unterschied fast signifikant sei, so Miller und Ulrich, zumal der gewöhnlich verwendete Grenzwert von p = 0,05 bei der Beurteilung der Signifikanz recht willkürlich sei.

Allerdings ist auch zu bedenken, dass die in den Studien aufgenommene Folsäuremenge etwa zehnfach höher ist als die durch die Anreicherung von Lebensmitteln.

Sollte das leicht erhöhte Krebsrisiko tatsächlich existieren, würde das daher eher bei Menschen zum Tragen kommen, die deutlich erhöhte Mengen an Folsäure aufgrund der Anreicherung plus der Supplementierung aufnehmen, wie die beiden Wissenschaftler vermuten. Immerhin bis zu 4 Prozent der US-Bevölkerung würden mehr als die empfohlene Höchstmenge an Folsäure (1 mg/Tag) zu sich nehmen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Vitamin mit zwei Gesichtern

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 17.02.201312:27 Uhr

Infantil-regressives Denken in der Medizin?

Wie kommt man eigentlich auf die Idee, dass eine derart komplexe, vielschichtig, multimodal und extrem variabel verlaufende Systemerkrankung eines Krebstumors mit seinen morphologisch-zellulär unterschiedlichsten Facetten durch ein e i n z i g e s Spurenelement Folsäure ("Vitamin B 9") e n t s c h e i d e n d beeinflusst werden könne? Genauso gut könnte man das Tragen von Plastiktüten für die Krebs-Verursachung oder vielleicht gleichzeitig fürs Auslösen von ADHS verantwortlich machen?

Da bemühen sich zig Millionen Forscherinnen und Forscher, Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflege- und Rehabilitations-Fachkräfte auf der ganzen Welt, die Ursachen von komplexen Krebserkrankungen zu erforschen, Diagnostik, Therapie und Prävention zu verbessern und eine erfolgreiche Rehabilitation sicherzustellen. Und trotzdem sind manche Epidemiologen und gesundbetende Gesundheitsbehörden ernsthaft naiv zu glauben, dass eine einzige "Wundersubstanz" wie die Folsäure in der Lage wäre, alles Krebsübel von dieser Welt zu entfernen? Und befassen sich nicht mit weitaus wichtigeren Hypothesen und Fragestellungen.

Wenn auch nur irgendetwas an einer "universellen Folsäurehypothese" dran wäre, müssten Regionen mit traditionell Kichererbsen- und Leber-haltiger Ernährung nahezu k r e b s f r e i sein. Aber auch dort treten z. B. trotz extrem Folsäure-haltiger Ernährung Neuralrohrdefekte auf, weil dabei ebenfalls k e i n monokausales Geschehen vorliegt. Bisherige Folsäure-Erkenntnissuche bewegt sich wissenschaftstheoretisch weit u n t e r halb der Ebenen des "Naiven Empirismus".

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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