ADHS
"Risikokinder" schon im Kindergarten identifizieren
Heute weiß man, dass die ADHS vor dem siebten Lebensjahr beginnt. Durch Identifikation von Risikokindern hofft man, nicht nur die Eltern zu entlasten, sondern auch spätere Probleme der Kinder zu vermeiden.
Veröffentlicht:MÜNCHEN. Im Kindergarten- und im Vorschulalter seien ADHS-Symptome noch schwer von alterstypischem Verhalten abzugrenzen, sagte die Kinderpsychiaterin Katja Becker von der Philipps-Universität Marburg beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in München.
Zumal altersspezifische Diagnosekriterien häufig fehlen. Viele Eltern berichten über Zappeligkeit, Rededrang, Ablenkbarkeit und häufiges Unterbrechen, aber oft sind kindliche Verhaltensweisen in diesem Alter situationsabhängig und die Symptome unspezifisch.
Trotzdem erfüllen der deutschen KIGGS-Studie zufolge bereits 1,5 Prozent der 3- bis 6-Jährigen die Kriterien einer "einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung". Auch komorbide Probleme wie oppositionelle Störungen (33,7 Prozent), Sprach- (7,6 Prozent) oder Angststörungen (4,4 Prozent) sind schon häufig, wie die PATS-Studie belegt.
Andererseits erfüllt jedes zweite dieser Kinder mit Erreichen des Grundschulalters die ADHS-Diagnosekriterien nicht mehr.
Defizite in der Motorik
Heute weiß man, dass ADHS vor dem siebten Lebensjahr beginnt. Typisch sind unter anderem wenig kreatives Spielen, Entwicklungsverzögerungen, grob- und feinmotorische Defizite, eine verminderte Frustrationstoleranz, Schwierigkeiten beim Einhalten von Regeln sowie ein geringes Durchhaltevermögen.
Der Aufbau stabiler Freundschaften bereitet Probleme, in der Familie eskalieren Auseinandersetzungen mit Eltern und Geschwistern schnell. Die Risikofreudigkeit der Kinder führt zu gehäuften Unfällen und Verletzungen.
Die Folge sind überforderte, hilflose Eltern mit inkonsequentem Erziehungsverhalten.
Altersgerechte Diagnostik wichtig
Durch frühzeitige Identifikation von Risikokindern hofft man, nicht nur die Eltern zu entlasten, sondern auch spätere Probleme der Kinder zu vermeiden. Besonders wichtig sei eine altersgerechte Diagnostik, so Becker. Zudem sollten außer den Eltern auch Erzieher in den diagnostischen Prozess einbezogen werden.
Neben Anamnese und Verhaltensbeobachtung seien Rating-Verfahren und Leistungsdiagnosen angebracht. Außerdem müssten die Entwicklung, eventuelle Risikofaktoren, aktuelle Belastungen sowie Komorbiditäten oder andere Ursachen für das Verhalten mit berücksichtigt werden.
Therapeutisch bewährt habe sich im Kindergartenalter in erster Linie ein Elterntraining (z. B. das Präventionsprogramm für Expansives Problemverhalten für Eltern und Erzieher), erklärte Becker. Die damit erreichte verbesserte Interaktion beeinflusst das kindliche Verhalten positiv und reduziert die Symptome.
Medikamente erst ab sechs Jahren
Daneben sind immer Beratung und Psychoedukation erforderlich. Auch spezifische Interventionen im Kindergarten haben Erfolg gezeigt.
Die medikamentöse Therapie ist erst ab einem Alter von sechs Jahren zugelassen. Eine Off-label-Therapie, so Becker, solle nur erfolgen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, und auch nur bei sehr stark betroffenen Kindern.