Screening
Mit diesen fünf Fragen erkennen Sie Zwangsstörungen
Früher diagnostizieren und behandeln – das könnte vielen Patienten mit Zwangsstörungen das Leben retten, denn die Mortalität ist recht hoch. Ein Screening mit fünf Fragen unterstützt die Diagnostik.
Veröffentlicht:MAINZ. Zwangsstörungen zählen mit einer Zwölf-Monats-Prävalenz von 3 bis 4 Prozent zu den häufigeren psychischen Störungen, allerdings auch zu denjenigen mit der geringsten Behandlungsrate. Dies liege auch daran, dass sie selbst von Nervenärzten und Psychiatern oft nicht erkannt werden, sagte Professor Ulrich Voderholzer von der Klinik für Psychosomatik in Prien am Chiemsee.
Das Problem: Die Patienten versuchen, ihre Zwänge zu verheimlichen und so lange wie möglich zu leugnen. Sie suchen ärztliche Hilfe meist aus anderen Gründen. Fragen Ärzte nicht explizit danach, werden sie die Störung häufig nicht bemerken.
Untersuchungen hätten ergeben, dass als Folge ein Großteil der niedergelassenen Therapeuten nur selten Patienten mit Zwangsstörungen therapiert. "Angesichts der Häufigkeit von Zwangsstörungen gibt es zu wenige, die darauf spezialisiert sind oder solche Patienten gerne behandeln", erläuterte Voderholzer.
Der Psychiater verwies beim "Psychiatrie Update" in Mainz auf die geltende S3-Leitlinie zu Zwangsstörungen. Danach sollten Ärzte Patienten mit psychischen Störungen stets explizit nach Zwängen fragen.
Mit fünf Fragen zur Diagnostik
Ein solches Screening kann mit fünf simplen Fragen erfolgen:
- Waschen und putzen Sie sehr viel?
- Kontrollieren Sie sehr viel?
- Haben Sie quälende Gedanken, die Sie loswerden möchten, aber nicht können?
- Brauchen Sie für Alltagstätigkeiten sehr lange?
- Machen Sie sich Gedanken um Ordnung und Symmetrie?
Wird mindestens eine der Fragen mit "Ja" beantwortet und beeinträchtigen die Zwangshandlungen das Alltagsleben, dann ist eine Störung wahrscheinlich. In Studien konnten diese fünf Fragen eine Zwangsstörung mit einer Sensitivität von 94 Prozent und einer Spezifität von 85 Prozent erfassen, im deutschsprachigen Raum sind die Werte offenbar etwas schlechter, schreiben die Leitlinienautoren.
Sie sehen aber dennoch einen großen Nutzen des Screenings, da eine verzögerte Diagnose die Chronifizierung begünstigt. Bei einem positiven Screening können Ärzte die Diagnose mit spezifischen Tools erhärten.
Schnelle Diagnostik nötig
Eine rasche Diagnose und eine spezifische Behandlung hält Voderholzer auch deshalb für sehr wichtig, weil sonst die Lebensqualität der Patienten oft stark beeinträchtigt und die Lebenszeit verkürzt ist. So ist die Wahrscheinlichkeit, in einem bestimmten Zeitraum zu sterben, nach dänischen Registerdaten bei einer alleinigen Zwangsstörung rund 1,9-fach höher als in der Allgemeinbevölkerung (JAMA Psychiatry 2016; 73: 268-74).
Bei häufigen Begleiterkrankungen wie Ängsten, Depressionen und Substanzabusus vervielfacht sich das Risiko, vor allem das für einen unnatürlichen Tod. So ist die Gefahr, bei einer begleitenden Depression oder Angststörung an Unfällen oder Gewalthandlungen zu sterben, siebenfach erhöht, kommt noch eine Suchtproblematik hinzu, steigt sie um das 25-Fache. Für Voderholzer ist daher der Wiederaufbau positiver und sozialer Aktivitäten ein wichtiger Therapieaspekt.
Zur Behandlung wird in der Leitlinie primär eine Psychotherapie empfohlen. Zu einem ähnlichen Schluss kommen die Autoren einer Metaanalyse von 53 Studien (Health Technol Assess 2016; 20: 1-392). Danach haben Psychotherapien einen wesentlich stärkeren Therapieeffekt als Arzneien.
Mit Verhaltenstherapien und kognitiven Therapien sank der Wert auf der Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS) im Mittel nur um rund 3,5 Punkte, mit den Psychotherapien ging er in den einzelnen Studien um 8 bis 10 Punkte zurück. Zur Erinnerung: Patienten mit klinisch relevanten Zwangsstörungen liegen zwischen 16 und 30 Y-BOCS-Punkten.
Kombi-Therapie im Vorteil
Die Kombination von SSRI und Psychotherapie scheint zumindest bei schweren Zwangsstörungen etwas wirksamer zu sein als die Monotherapien, so Voderholzer. Ein Problem all dieser Studien sei jedoch die kurze Dauer. So lasse sich kaum sagen, welche Therapien langfristig am besten wirkten.
Derzeit sei jedoch die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) mit Exposition und Reaktionsmanagement am besten validiert und daher Mittel der Wahl bei Zwangsstörungen. Die Pharmakotherapie hält der Experte vor allem dann für eine Option, wenn die KVT abgelehnt wird, nicht zur Verfügung steht oder dadurch die Bereitschaft für eine KVT erhöht wird.
Voderholzer erinnerte bei der Veranstaltung an einige wichtige Aussagen der Leitlinie zur KVT. Danach ist eine Exposition in Begleitung eines Therapeuten wirksamer als ohne. Die Exposition sollte zudem außerhalb des Therapiezimmers im häuslichen Umfeld der Patienten erfolgen, vor allem, wenn die Zwangshandlungen im klinischen Setting nicht reproduzierbar sind. Für eine Exposition sind mindestens zwei Stunden einzuplanen, auch können Angehörige eingebunden werden, damit sie die Zwangshandlungen nicht unterstützen.
Für den Therapieerfolg ist es nach Ansicht des Experten besonders relevant, dass die Patienten möglichst jegliche Zwangshandlungen zwischen den Expositionen unterlassen. Dabei könnten Stichtagsvereinbarungen mit den Patienten helfen.
Helfen Online-Therapien?
Da nicht alle Betroffenen zeitnah eine Psychotherapie bekommen können, werden auch Online-Angebote erprobt. Sie könnten in Zukunft eine größere Bedeutung haben, erläuterte Voderholzer. Bei Verfahren wie dem metakognitiven Training geht es etwa um die Neubewertung von Zwangsgedanken, um die Defusion von Gedanken und Ereignissen sowie die Fusion von Gedanken und Handlungen oder um die richtige Einschätzung von Gefahren.
In Studie ließen sich damit Zwänge im Vergleich zu Kontrollgruppen zwar signifikant abbauen, der Effekt war jedoch nicht allzu groß. Nach Ansicht des Psychiaters sind solche Methoden vor allem für sehr motivierte Patienten geeignet.
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