Hirn-Computer-Schnittstelle

Neurowissenschaftler wollen umfassenden Daten-Schutz für Infos aus dem Hirn

Neurotechnologen und Experten für Künstliche Intelligenz treiben die Entwicklung voran und machen große Versprechungen zu dem, was sie mit ihren Erfindungen der Menschheit bieten können. Jetzt gerät die Datensicherheit in den Fokus.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Auch für Konsumenten gibt es schon Geräte, die die Hirnaktivität aufzeichnen.

Auch für Konsumenten gibt es schon Geräte, die die Hirnaktivität aufzeichnen.

© vege / fotolia.com

Therapeutisch werden Eingriffe ins Gehirn schon lange genutzt, etwa die tiefe Hirnstimulation (THS) mit hochfrequenten Impulsen bei M. Parkinson und Tremor, schon vor mehr als zwei Dekaden zur Therapie zugelassen und bei weltweit mehr als 80.000 Patienten angewandt.

Bei der THS werden die Hirnaktivitäten im Allgemeinen nicht gemessen. Im Prinzip werden die Impulse zur Stimulation von außen gegeben, auch durch Patienten selbst. Hirnaktivitäten werden nur zu Forschungszwecken registriert, wie etwa in einer aktuellen US-Studie, in der der Effekt einer THS des Subthalamus bei Parkinsonpatienten auf den Frontalkortex untersucht wurde (Brain 2018; 141,1,: 205–216). Der Studie zufolge gelingt es offenbar, mithilfe der Stimulation die Kognition zu verbessern. Während der Tagung "Neuroscience 2017" vor Kurzem in Washington wurde sogar ein THS-System vorgestellt, das auch die Hirnstromaktivität messen und anhand der Aktivitäten im Zusammenhang mit einer Dyskinesie die elektrische Stimulation von Kerngebieten anpassen kann.

Weiter als gedacht

Neurotechnologen sind heute schon weiter, als manch einer denkt. Forscher an der Universität Freiburg weisen zum Beispiel darauf hin, dass es sogar bereits für Konsumenten erste Geräte gibt, die die Hirnaktivität aufzeichnen. Solche Systeme werden den Angaben der Universität zufolge wie ein Kopfhörer angewendet und sollen den Nutzern helfen, ihre Konzentrationsfähigkeit zu steigern und Stress abzubauen. Erst vor Kurzem haben US-Neurowissenschaftler eine EEG-Haube entwickelt, die mit 128 Elektroden eine viel bessere räumliche Auflösung hat als bisherige Hauben (Sci Rep 2017; 7 (1), online 24. November). Damit ließen sich vom visuellen Kortex viel mehr Informationen über Gehirnaktivitäten gewinnen als mit bisherigen EEG-Systemen.

Auch das Militär engagiert sich stark in der Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen, das US-Militär zum Beispiel in mehreren Projekten etwa zur Anwendung bei Patienten mit Depressionen, Manien oder bipolaren Störungen. Forscher von DARPA (US Defense Advanced Research Projects Agency) testen derzeit ein System, das auf Grundlage von Gehirnaktivitätsdaten bei Patienten mit affektiven Störungen elektrische Impulse abgibt und so automatisch therapiert, heißt es in einer Mitteilung der US-Behörde. Und die DARPA-Forscher haben weitere ambitionierte Pläne. Darunter wollen sie im NESD-Programm (Neural Engineering System Design) eine implantierbare drahtlose Schnittstelle entwickeln, mit der sich nicht nur ein paar Dutzend Neuronen "belauschen" lassen, sondern eine Million. Damit ließe sich die Auflösung drastisch verbessern.

Doch wie wird künftig mit den Daten von Gehirnaktivitäten umgegangen, vor allem wenn solche Mensch-Maschine-Schnittstellen Teil des Alltags werden? Es ist zu begrüßen, dass 25 Wissenschaftler und Philosophen schon heute in diesem sehr frühen Stadium der Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen – implantierten und nicht invasiven – sowie der Künstlichen Intelligenz fordern, ethische und rechtliche Fragen zu thematisieren.

Es geht auch um Verantwortung und Identität

Das internationale Forscherteam hat Vorschläge dazu unterbreitet, welche Themenkomplexe in der Diskussion über Hirn-Computer-Schnittstellen und Künstliche Intelligenz ihrer Ansicht nach unbedingt berücksichtigt werden müssen (Nature 2017; 551: 159–163). Einziger Forscher in dieser Gruppe aus Deutschland ist der Neurologe Dr. Philipp Kellmeyer vom Medizinischen Zentrum der Uni Freiburg. "Wir brauchen dringend eine gesellschaftliche Debatte, wie Hirndaten genutzt werden dürfen, bevor die Konzerne Fakten schaffen", wird er in einer Mitteilung der Universität zitiert. Es geht in diesem Aufruf nicht nur um Datenschutz bei der Anwendung solcher Schnittstellen, also um ein Verbot des Handels solcher Daten, sondern etwa auch um das Thema Verantwortung und Identität.

So berichtete 2016 zum Beispiel ein Patient nach THS wegen Depressionen, dass er das Gefühl hatte, im Umgang mit anderen nicht wie sonst zu reagieren, sondern – im Nachhinein betrachtet – zum Beispiel etwas gesagt zu haben, was unangemessen war. Wie die Forschergruppe berichtet, war sich der Patient nicht sicher, ob dies Folge der THS oder der Depression oder etwas Tiefgründigeres war. Er habe letztlich nicht gewusst, wer er war. Kellmeyer und seine Kollegen fordern, Manipulationen der Hirnaktivität außerhalb medizinischer Therapien zu verhindern und dazu die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte um einen Passus zum Schutz der Hirnaktivität zu erweitern.

In Anbetracht der militärischen Forschungsvorhaben im Bereich der Neurotechnologie empfiehlt die Gruppe zudem, dafür strenge Regularien anzuwenden. Dabei haben sie zum Beispiel im Blick, dass es in USA Pläne für Projekte gibt, in denen Soldaten mithilfe der Neurotechnik mit verbesserten Kognitionsfähigkeiten ausgestattet werden sollen. Schließlich setzt sich die Gruppe dafür ein, dass es bei der Auswertung der Hirnaktivitätsdaten durch maschinelles Lernen aufgrund einer nicht neutralen Datenbasis nicht zu Verzerrungen kommt, etwa zu geschlechtsspezifischen Diskriminierungen.

Angesichts der rasanten Entwicklung in der Neurotechnologie ist es nicht zu früh, auf mögliche Risiken der Anwendungen von Gehirn-Computer-Schnittstellen hinzuweisen und auf entsprechende Vorkehrungen hinzuarbeiten. Schon früh hatte etwa der Deutsche Ethikrat den Blick auf mögliche ethische und rechtliche Herausforderungen bei Eingriffen in das Gehirn gelenkt, und zwar während seiner Jahrestagung 2009. Dass sich Wissenschaftler und Philosophen nun auch um die Datensicherheit sorgen, ist notwendig – und nur konsequent.

peter.leiner@springer.com

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