Neue Drogen
"Zombie"-Ausbruch in New York geklärt
Über 30 Menschen torkelten stöhnend und geistesabwesend an einem Julitag durch Brooklyn, brachen immer wieder zusammen oder wurden plötzlich aggressiv. Die Ursache war ein hochpotentes synthetisches Cannabinoid.
Veröffentlicht:SAN FRANCISCO. Die Rettungssanitäter fanden schnell einen passenden Begriff: Zombies. Was sie da sahen, kannten sie sonst nur aus Hollywood-Horrorfilmen. Gut drei Dutzend Menschen torkelten am 12. Juli des vergangenen Jahres brabbelnd und stöhnend durch die Straßen von Brooklyn, brachen immer wieder zusammen, lehnten sich an Autos, Hydranten, Hauseingänge, fingen plötzlich an zu schreien oder wurden aggressiv, als Passanten und Sanitäter sie ansprachen – gerade so, als seien sie von einem hirnzersetzenden Virus befallen
Letztlich hatten sie sich jedoch mit einer neuen Designerdroge vergiftet, ein synthetisches Cannabinoid mit der Bezeichnung AMB-Fubinaca, berichten Toxikologen um Dr. Axel Adams von der Universität in San Francisco in einer aktuellen Analyse der Vorfälle (N Engl J Med 2017; 376:235-242).
Das Cannabinoid ist gut 85-mal so potent wie der Cannabis-Hauptwirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC). 18 der Betroffenen mussten notfallmäßig in einer Klinik behandelt werden, alle überlebten ohne bleibende Schäden.
Dass illegale Drogen und keine Zombieviren zu dem Schauspiel führten, war den Ärzten in New York rasch klar – sie hatten schon öfter mit Intoxikationen durch synthetische Cannabinoide zu tun. Solche Substanzen werden unter der Bezeichnung "K2" oder "Flakka" oder "Spice" vertrieben und sind oft für einen Dollar pro Rausch zu haben. Entsprechend finden sich viele Arme und Obdachlose unter den Konsumenten.
Was genau sie da rauchen, wissen jedoch die wenigsten, schließlich gibt es unzählige künstlich hergestellte Cannabinoide mit sehr unterschiedlicher Potenz und Wirkung. Auch die Dealer haben nicht immer den Überblick.
An jenem Julitag 2016 musste sich jemand gewaltig mit der Dosis vertan haben. Der sogenannte "Zombie-Ausbruch" zog daher eine intensive Untersuchung nach sich.
"Zombiehaftes" Stöhnen durch ZNS-Depression
Wie das Team um Adams nun berichtet, waren alle 18 medizinisch betreuten Betroffenen männlich, acht von ihnen gaben an, obdachlos zu sein.
Die Auswirkungen des Drogenrausches beschreiben die Mediziner im Detail bei einem 28-jährigen Mann, der als Erster in der Klinik eintraf. Bei der Aufnahme hatte er einen "leeren Blick", wirkte lethargisch, reagierte aber auf taktile Reize. Blutdruck, Körpertemperatur und Puls waren unauffällig, das Bewusstsein jedoch leicht eingeschränkt – der Wert auf der Glasgow Coma Scale lag bei 13 von maximal 15 Punkten.
Abstriche gab es hier bei der sprachlichen und motorischen Reaktion: Der Mann wirkte verwirrt und fiel immer wieder in ein als "zombiehaft" beschriebenes Stöhnen mit langsamen mechanischen Arm- und Beinbewegungen.
Er hatte noch vor der Klinikaufnahme Sauerstoff erhalten und wurde kardial überwacht. Nach neun Stunden hatte sich sein Zustand wieder normalisiert und er konnte entlassen werden.
Kräuterpräparat war die Ursache
Als Drogenquelle konnte ein Kräuterpräparat mit der Bezeichnung "AK 47 24 Karat Gold" identifiziert werden, das als "legal high" zur Aromatherapie vertrieben wurde.
Die Toxikologen untersuchten sowohl den Inhalt der Kräutermischung als auch Blut und Urin von acht der Patienten auf Spuren diverser Drogen und ihrer Metaboliten. Die üblichen Drogentests hatten bei den "Zombies" zunächst nicht angeschlagen, es musste sich also um eine neue Substanz handeln.
In der Kräutermischung fanden die Forscher mit chromatografischen und spektrometrischen Methoden ein Signal, das dem synthetischen Cannabiniod AMB-Fubinaca entsprach. Die Konzentration in der Kräutermischung lag zwischen 14 und 25 mg/g.
Im Blut und Urin der Drogenkonsumenten konnten die Forscher um Adams das Cannabinoid nicht direkt detektieren, stattdessen stießen sie auf einen Metaboliten, der sich davon ableiten ließ. Dieser war in Konzentrationen von bis zu 640 ng/ml im Blut und bis zu 165 ng/ml im Urin nachweisbar.
Eine schnelle Hydrolyse sei sehr typisch für potente kurzwirksame psychoaktive Drogen, schreiben die Toxikologen. Die ursprüngliche Substanz lasse sich daher in den seltensten Fällen im Serum oder Urin aufspüren.
Forschungschemikalie wird zur Droge für Arme
AMB-Fubinaca leitet sich von AB-Fubinaca ab, einer Substanz, die 2009 als Cannabinoid-Rezeptor-Agonist vom Unternehmen Pfizer als Analgetikum synthetisiert und patentiert worden war. Der Wirkstoff wurde für die Humanmedizin nicht weiterentwickelt, tauchte jedoch bald als illegale Droge in verschiedenen Ländern auf.
Seit 2014 ist das Derivat AMB-Fubinaca in der US-Drogenszene im Umlauf, daneben erfreuen sich noch etliche weitere Fubinaca-Abkömmlinge einer gewissen Beliebtheit.
AMB-Fubinaca wirkt auf das ZNS stark sedierend. Die Substanz wird im Internet als Forschungschemikalie für rund 1700 Euro pro Kilogramm vertrieben, mit Kräutern gestreckt liegt der Straßenpreis bei über einer halben Million pro kg.
Die riesige Gewinnspanne ergibt sich nicht zuletzt durch die hohe Wirksamkeit: Für THC muss die Serumkonzentration bei 170 nmol/l liegen, bei AMB-Fubinaca genügen 2 nmol/l für einen Rausch. Manche synthetischen Cannabinoide wie ADP-Pinaca wirken bereits bei 0,5 nmol/l.
Ungewöhnlich für AMB-Fubinaca ist eine starke ZNS-Depression ohne Tachykardie, Arrhythmie, Hyperthermie und Anfälle. Auch Herz- und Nierenschäden scheinen bei AMB-Fubinaca seltener aufzutreten als bei anderen hochpotenten und hochdosierten Cannabinoiden.
Experten geben immer wieder zu bedenken, dass sich der Begriff "Cannabinoid" lediglich auf die Wirkweise an den Zielrezeptoren bezieht. Chemisch haben die Verbindungen nichts mit THC aus Cannabis gemein, entsprechend ist auch das Nebenwirkungsspektrum sehr unterschiedlich. Neben Herz- und Nierenschäden sind auch schon Todesfälle unter synthetischen Cannabinoiden aufgetreten.
Rund 200 künstliche Cannabinoide im Umlauf
Derzeit, so Adams und Mitarbeiter, sind knapp 200 künstlich hergestellte Cannabinoide im Umlauf. Viele werden inzwischen in Drogenlabors in Asien hergestellt und übers Darknet vertrieben. Kriminelle Banden präparieren Kräutermischungen mit Cannabinoidlösungen, die Kräuter werden anschließend wie Gras geraucht.
Massenvergiftungen wie im Juli sind zwar selten, der Konsum synthetischer Cannabinoide ist in New York jedoch zu einem ernsthaften Problem geworden.