Gen-Editieren

Die Keimbahntherapie ist nur noch eine Frage der Zeit

Die Entwicklung in der Gentechnik verläuft so rasant, dass sich Forscher immer intensiver mit den – auch gesellschaftlichen – Folgen auseinandersetzen müssen. In einem aktuellen US-Report haben sie es getan – und rücken dabei von einem "Verbot der Keimbahntherapie für alle Zeiten" ab. In fünf bis zehn Jahren könnte diese Therapieform Realität werden.

Peter LeinerVon Peter Leiner Veröffentlicht:
Die CRISPR-Technik könnte die Keimbahntherapie erleichtern.

Die CRISPR-Technik könnte die Keimbahntherapie erleichtern.

© ibreakstock / Fotolia.com

Ein Jahr haben sich Wissenschaftler unter anderem der US National Academies of Sciences (NAS) in Washington Zeit genommen, um nach dem internationalen Gipfeltreffen zum "Human Gene Editing" Ende 2015 dem Stand der Dinge bei der Anwendung moderner Gentechnikmethoden auch bei Menschen noch mehr auf den Grund zu gehen. Der umfangreiche Report mit seinen Empfehlungen als Teil der Human Gene-Editing Initiative liegt nun seit wenigen Tagen vor. Und er hat es in sich, denn eine Option, die die modernen gentechnischen Methoden wie CRISPR-Cas9 möglich machen könnten, wird nicht mehr kategorisch ausgeschlossen: die Veränderung der menschlichen Keimbahn. Schon heißt es denn auch in manchen Internetkommentaren zur Veröffentlichung des Reports: "Daumen hoch für Designer-Babys". In Deutschland steht der künstlichen Veränderung der menschlichen Keimbahn das Embryonenschutzgesetz entgegen. Sowohl die Veränderung selbst als auch die Verwendung veränderter Keimzellen für die künstliche Befruchtung sind strafbar.

Die Entdeckung 2012, dass das in Bakterien gefundene CRISPR-Cas9-System sich als einfache, kostengünstige und schnelle Gentechnikmethode nutzen lässt, hat nach Angaben von Professor Richard O. Hynes, Kovorsitzender des international besetzten NAS-Komitees, zu einer Explosion wissenschaftlicher Aktivitäten auf diesem Gebiet geführt. Inzwischen sei es möglich, CRISPR so genau zu steuern, dass nur ein einziger Baustein im Erbgut verändert werde, so der Molekularbiologe vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge bei der Vorstellung des Berichts in Washington. Und man könne damit gezielt Gene ein- und ausschalten. "Das Gene Editing ist ziemlich genau." Ungewollte Veränderungen, also "off-target"-Reaktionen, seien wohl seltener als vor einem Jahr noch befürchtet. Ganz gelöst sei das Problem jedoch noch nicht.

Geneditieren ist im klinischen Alltag angekommen

Modernes Geneditieren wird längst in klinischen Studien zur Veränderung somatischer Zellen genutzt, etwa um autologe T-Zellen so zu verändern, dass sie effektiver als ohne diese Unterstützung Leukämiezellen attackieren. Selbst CRISPR-Cas 9 wurde bereits in einer chinesischen Studie bei Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom genutzt. Bei der genetischen Veränderung somatischer Zellen legt das NAS-Komitee Wert auf die Feststellung, dass klinische Studien oder individuelle Therapien nur der Behandlung oder Prävention von Krankheiten dienen sollen. Auch hier sei mit Blick auf Sicherheit und Therapieerfolg zwischen Nutzen und Risiko abzuwägen. Die Wissenschaftler empfehlen, die Öffentlichkeit in die Diskussion darüber und über ethische Aspekte der neuen Techniken einzubeziehen. Ein entsprechendes Engagement der Öffentlichkeit sei wichtig, weil dadurch Risiken, denen sich die wissenschaftliche Community gar nicht bewusst ist, möglicherweise erkannt werden können, wie Komitee-Mitglied Professor Dietram Scheufele von der University of Wisconsin in Madison betonte.

Wogegen sich die US-Initiative derzeit strikt ausspricht, ist die Verbesserung des menschlichen Körpers, das sogenannte Enhancement. So unterstützt sie zwar die somatische Gentherapie zur Stärkung der Muskelkraft bei Patienten mit Duchennescher Muskeldystrophie. Sie lehnt sie aber ab bei Gesunden, wo das Ziel ausschließlich die Stärkung der Muskelkraft als persönliche Aufwertung wäre. Regulierungsbehörden sollten ihrer Empfehlung zufolge derzeit keine klinischen Studien zulassen, in denen das Geneditieren nicht ausschließlich zur Therapie oder Krankheitsprävention angewandt wird.

Bei dieser Empfehlung schließt das Komitee Studien zur Keimbahntherapie durchaus mit ein. Bisher waren sich die meisten Wissenschaftler weltweit einig, keine genetischen Veränderungen von Keimzellen zur Prävention von Krankheiten vorzunehmen, weil solche Veränderungen an die folgenden Generationen weitergegeben werden können – und damit auch mögliche Genfehler. Die Wissenschaftler der NAS-Initiative haben aber in den vergangenen Jahren Fortschritte in der Forschung wahrgenommen, die es ihrer Ansicht nach erlauben, diesen Aspekt des Geneditierens neu zu bewerten. Als Beispiel dafür, wo künftig eine Keimbahntherapie sinnvoll sein könnte, nennt die Initiative den autosomal dominant vererbten Morbus Huntington, wenn ein Patient homozygot für das Merkmal ist. Eine Präimplantationsdiagnostik etwa sei hier nicht sinnvoll. Andere Beispiele sind Mukoviszidose und Sichelzellanämie.

Klinische Studien frühestens in fünf Jahren

Bei der Entwicklung von Keimbahntherapien verlangt das NAS-Komitee allerdings ein äußerst umsichtiges Vorgehen. Deshalb sieht es den Beginn erster klinischer Studien frühestens in fünf bis zehn Jahren, wie Hynes sagte: "Aber wir müssen uns darauf vorbereiten." Das NAS-Komitee unter dem Vorsitz der Rechts- und Bioethik-Professorin Dr. Alta Charo von der University of Wisconsin ist sich einig: Zwar sei Vorsicht unabdingbar, aber das bedeute noch lange kein Verbot dieser Therapieoption.

Wer gehofft hatte, dass sich die Forscher auch weiterhin in Anlehnung an die deutsche Gesetzgebung fast geschlossen der Keimbahntherapie verweigern, sieht sich in diesem Punkt durch den US-Report enttäuscht. Er macht klar, wohin die Reise in Sachen Gentherapie geht. Das wird wohl auf den geplanten Folgetreffen der Wissenschaftler demnächst in Peking und in Großbritannien noch deutlicher zutage treten. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Vielleicht sollte sich die Öffentlichkeit stärker als bisher einmischen.

peter.leiner@springer.com

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