Die Pioniere der Notfallrettung
Vor 40 Jahren verloren Siegfried und Ute Steiger ihren Sohn, da der Krankenwagen nicht rechtzeitig kam. Ihre Stiftung trägt den Namen ihres Sohnes und setzt sich bis heute für die Notfallhilfe ein.
Veröffentlicht:WINNENDEN. Keine Notfallhilfe, keine 112, mehrere Stunden Wartezeit, bis ein Krankenwagen kommt. Was heute kaum noch denkbar erscheint, ist für Ute und Siegfried Steiger 1969 schmerzhafte Realität. Sie verlieren ihren neunjährigen Sohn Björn nach einem Verkehrsunfall. Der Junge erleidet einen Schock und atmet nicht mehr. Der Krankenwagen kommt erst nach einer Stunde. "Björn wollte immer Gutes tun. Wir wollten ihm mit einer guten Tat gerecht werden", erinnert sich die Mutter. Es ist die Initialzündung für die "Björn Steiger Stiftung", die am 7. Juli 1969 in Winnenden gegründet wird und in 40 Jahren unzähligen Menschen das Leben rettet.
Funkgeräte kosten damals mehr als ein VW-Transporter
Die Steigers wollen eine Notfallhilfe in Deutschland aufbauen. Sie wenden sich an Hilda Heinemann, die Frau des damaligen Bundespräsidenten. Bewegt vom tragischen Verlust des Paares, sagt sie ihre Hilfe zu - ein Versprechen, das sie bis zu ihrem Tod hält. Wertvoll ist etwa eine Liste mit den Direktwahlnummern sämtlicher Minister. Sie öffnet Siegfried Steiger wichtige Türen. "Damals entschieden die Minister noch direkt, was gemacht wird", sagt er.
Die Ersparnisse des Architekten reichen nicht für eine Stiftung. Also sammelt das Paar mit Freunden bundesweit Altpapier. Der Erlös von damals 750 000 Mark ist das Startkapital. "Mir war schnell klar, dass die Kommunikation bei der Notfallrettung das Wichtigste ist", sagt der heute 79-Jährige. Die Stiftung bietet den Landkreisen Baden-Württembergs an, dass sie ein Drittel der Kosten für Funkgeräte übernimmt, wenn die Kreise den Rest zahlen. "Man muss wissen, dass die Geräte damals 7500 Mark kosteten - mehr als ein VW-Transporter." Es klappt, der erste große Schritt ist gemacht.
Es ist auch Siegfried Steigers Hartnäckigkeit, die zum Erfolg führt. Der Ruf eilt ihm voraus. Bei seinem ersten Treffen mit dem damaligen Verkehrsminister Georg Leber zeigt dieser ihm einen Zettel mit dem Hinweis: "Vorsicht! Steiger ist sehr aggressiv." Die beiden freunden sich an und bringen gemeinsam etwa die Notrufsäulen an den Autobahnen auf den Weg. 35 000 Kilometer Straße hat die Stiftung mit Notruftelefonen versorgt. Zwischendurch waren es mehr als 7500 Säulen. Heute sind es nur noch 3800, weil Handys einige überflüssig gemacht haben. Die restlichen stehen zum Teil in Funklöchern.
Auch die Nummern 110 und 112 organisieren sie
Meilensteine notärztlicher Versorgung starten in Winnenden. Basis ist ein 15-Punkte-Programm. Der 24-Stunden-Notarzt wird 1971 zunächst in Stuttgart, später flächendeckend eingerichtet. Ende 1971 bringt die Stiftung, die heute 23 Mitarbeiter zählt, den Rettungsdienst auf den Weg. Außerdem stiftet das Ehepaar mehrere Rettungshubschrauber und verpfändet dafür sogar sein Wohnhaus. 1972 stößt die Stiftung die Gründung der Deutschen Rettungsflugwacht an. Im Alleingang bringen die Steigers die Notrufnummern 110 und 112 auf den Weg. "Es hieß immer nur, das sei nicht finanzierbar. Darauf habe ich einfach mal nachgefragt, was es kostet", sagt der 79-Jährige.
Babynotarztwagen, Anti-Herztod-Aktionen, Rettungsunterricht an Schulen, Handyortung bei Notrufen - viele Projekte folgen. Ute Steiger, heute 75 sagt im Rückblick: "Es ist ablesbar: Als wir die Arbeit aufgenommen haben, ging die Zahl der Unfalltoten zurück." Starben 1969 in Westdeutschland 20 000 Menschen bei Verkehrsunfällen, sind es heute bundesweit noch 4500. Und doch erleben die Steigers, deren zwei Kinder sich ebenfalls in der Stiftung engagieren, auch schwarze Tage - etwa während eines Steuerstreits. Auf Empfehlung des Gerichts erlassen die Finanzbehörden zwar am Ende sämtliche Forderungen, doch die Gemeinnützigkeit scheint zeitweise in Gefahr, und das Projekt "Kampf dem Herztod" leidet massiv. Die Stiftung muss ihre Plattform für Handyortung an die Versicherungsgesellschaft Allianz abtreten.
Man kann auch anecken, wenn man Gutes tut
Siegfried Steiger weiß, dass man auch anecken kann, wenn man Gutes tun möchte. "Man bekommt manchmal Lob, aber immer Knüppel zwischen die Beine." Doch gibt es Momente, die den dreifachen Großvater entlohnen. Einer war, als ein Klo-Mann sein Volksfest-Trinkgeld - zwei Eimer voller Münzen - zur Stiftung brachte. Ein weiterer, als eine 19-Jährige zu ihm sagte: "Dass ich am Leben bin, verdanke ich Ihnen." Ein Baby-Notarztwagen der Stiftung rettete ihr das Leben. (dpa)
Internet: www.steiger-stiftung.de