Ärztekammern erhalten Zugang zu Routinedaten

Auch die Ärzte dürfen an die Daten der Kassen ran. Das hat das Gesundheitsministerium klar gestellt. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung kritisierte unterdessen die Wege, die die Versichertendaten nehmen sollen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Ran an die Patientendaten dürfen jetzt auch die Bundes- und Ärztekammern.

Ran an die Patientendaten dürfen jetzt auch die Bundes- und Ärztekammern.

© Thomas Perkins/fotolia.com

BERLIN. Die Ärztekammern fühlten sich übergangen, als das Gesundheitsministerium den Kreis der Nutzungsberechtigten der Routinedaten der Kassen erweiterte. Jetzt hat das Ministerium gegenüber der "Ärzte Zeitung" klargestellt: Bundes- und Landesärztekammern sind dabei.

Namentlich genannt sind sie im Entwurf des Versorgungsstrukturgesetzes allerdings nicht. Deshalb hatten die Kammern zuvor in mehreren Stellungnahmen auf den Zugang zu den Daten gedrängt. Sie seien für die Steuerung der ärztlichen Weiterbildung wichtig, lautete ihr Argument.

Datensammlung soll Versorgungsanalysen ermöglichen

Der Entwurf sieht vor, dass die Morbi-RSA-Daten, die die Kassen an das Bundesversicherungsamt übermitteln, mehr Akteuren im Gesundheitswesen als bisher zu klar definierten Forschungszwecken zur Verfügung gestellt werden sollen.

Nach den Vorstellungen des Gesundheitsministeriums soll eine Datensammlung entstehen, die über längere Zeiträume Versorgungsanalysen ermöglicht.

Die Bundesärztekammer (BÄK) hält die in Frage kommenden Daten allerdings für nicht ausreichend, um Unter-, Über- oder Fehlversorgung zu ermitteln. Dies geht aus einer Stellungnahme der BÄK vom 29. Juni hervor.

Es fehlten beispielsweise Informationen zu im Krankenhaus vorgenommenen stationären und ambulanten Prozeduren, abgerechneten EBM-Ziffern in der kassenärztlichen Versorgung sowie ein Regionalkennzeichen, das kleinräumige Analysen ermögliche.

Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich bezieht 80 Krankheiten ein. Eine breitere Aufstellung wäre aussagekräftiger, sagte KBV-Vorstand Carl-Heinz Müller am Dienstag der "Ärzte Zeitung".

Schaar regt Änderungen des Versorgungsstrukturgesetzes an

Unterdessen regt der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Peter Schaar, Änderungen im Entwurf des Versorgungsstrukturgesetzes an. Die Erleichterungen bei der Versorgungsforschung könnten "datenschutzfreundlicher" gestaltet werden, teilte Schaar der "Ärzte Zeitung" auf Anfrage mit.

Schaar kritisiert vor allem die Wege, die die Versichertendaten bis zur Übergabe an mögliche Nutzer nehmen sollen.

Das Gesundheitsministerium will dabei ausschließen, dass die Daten bis zu den Versicherten zurückverfolgt werden können. Hier hakt der Datenschutzbeauftragte ein: "Allerdings sind die Einzelheiten hinsichtlich des erforderlichen Datenumfangs und des Verfahrens in den Vorschriften aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht hinreichend bestimmt geregelt", übermittelte Schaar der "Ärzte Zeitung".

Leistungsdaten und Pseudonymen

Die Bestimmungen legten nahe, dass eine "Vertrauensstelle" die gesamten Daten aus dem Morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) erhalte, die dem Bundesversicherungsamt vorliegen. Diese Datensätze bestehen aus den Leistungsdaten der Versicherten und aus ihren Pseudonymen.

Dies sei aus datenschutzrechtlicher Sicht nur zulässig, wenn gewährleistet sei, dass die Vertrauensstelle Leistungsdaten und die Pseudonyme der Versicherten voneinander trenne. Von einer Pseudonymisierung spricht das Bundesdatenschutzgesetz, wenn Namen oder andere Identifizierungsmerkmale durch ein Kennzeichen ersetzt werden, um die Reidentifizierung auszuschließen oder wesentlich zu erschweren.

Getrennte Übermittlung wäre datenschutzfreundlicher

Datenschutzfreundlicher wäre ein Verfahren, das eine getrennte Übermittlung der Leistungsdaten vom Bundesversicherungsamt an die Datenaufbereitungsstelle und der Pseudonyme an die Vertrauensstelle vorsehe, heißt es in der Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten. Dieser Datenfluss müsse gesetzlich geregelt werden.

Noch hat das Ministerium nicht bestimmt, welche öffentlichen Ämter die Rolle der Vertrauensstelle beziehungsweise der Datenaufbereitungsstelle wahrnehmen könnten. In der Begründung zum Gesetz heißt es dazu nur vage, dass das Bundesversicherungsamt für beide in Betracht komme.

Gleichzeitig müsse aber eine räumliche, organisatorische und personelle Eigenständigkeit der Datenaufbereitungsstelle gewährleistet sein.

Bereits seit 2004 waren die Kassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen dazu verpflichtet, eine Nutzung der Daten für die Versorgungsforschung zu organisieren. Dies habe die Selbstverwaltung nicht umgesetzt, moniert das Gesundheitsministerium.

Deshalb solle das Gesundheitsministerium nun per Rechtsverordnung dazu ermächtigt werden, das Verfahren in die Hand zu nehmen.

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Kommentare
Dr. Jürgen Schmidt 16.08.201123:12 Uhr

Viel Lärm um ....

Es bleibt den Präsidenten der Ärztekammern vorbehalten, sich gegen Formulierungen, wie "nachgeordnete Bereiche der Bundes- und Länderbehörden" als einer Klassifizierung der Ärztekammern zur Wehr zu setzen, die den Justitiaren in der Ableitung von Funktionen der Ärztekammern aus den Heilberufegesetzen ganz geläufig ist und keineswegs anstößig erscheint.

In Praxi füllen die Kammern Ihre Spielräume jedoch mit großer Autonomie aus und haben eigentlich wenig Grund an der Kette zu zerren.

Das SGBV regelt die Behandlung der Versorgungsdaten in mindestens 10 Paragrafen, meistens für die verschiedenen und von verschiedenen Stellen wahrgenommenen Maßnahmen zur Qualitätssicherungen.

Ob nun "Möglichkeiten zur Systemverbesserung" (für die Versorgungs-forschung und kleinste Bereiche der QS) "unsinnig verheizt" worden wären, wenn man die Ärztekammern von der gigantischen Datenzirkulation ausgeklammert hätte, erschließt sich nicht. Viele Ergebnisse, nicht die einzelnen Rohdaten, die nun von den Ärztekammern aufwändig und kostspielig verarbeitet werden sollen, könnte man von den KVen beziehen -wenn man denn untereinander Vertrauen hätte.

Dr. Günther Jonitz 16.08.201117:18 Uhr

Rechtsverordnung oder der politische Bankrott

Das BMG ist bereits nach geltendem SGB V aufgefordert, per Rechtsverordnung eine Regelung zur Nutzung der Routinedaten zu gewährleisten, falls sich die Vertragspartner nicht einig werden. Die Vertragspartner wurden sich nicht einig. Das BMG unter Dr. Rösler hat schriftlich dargelegt, dass eine Rechtverordnung nicht erlassen würde, da sich die Vertragspartner nicht einig wurden. Das war die Bankrotterklärung, erster Teil.

Das BMJ hat das Anliegen der Ärztekammern, angeführt von der Ärztekammer Berlin, übrigens voll und ganz unterstützt, auch per Brief gegenüber dem vormaligen Minister.

Die Auskunft des BMG gegenüber Anno Fricke ist erfreulich. Glückwunsch! Allerdings wären bei bestehender Formulierung die Ärztekammern entweder "nachgeordnete Bereiche der Bundes- und Länderbehörden" oder "Spitzenorganisationen zur Vertretung materieller Interessen der Leistungserbringer" (!!!). Beides befände sich am Rande der politischen Ignoranz oder Frechheit.

Die Kammern belegen seit Jahrzehnten durch erfolgreiche Qualitätssicherungsverfahren (Peri-, Neonatologie, Diabetes mellitus in Sachsen, Herzinfarktregister in Berlin...), dass sie gemeinwohlorientiert, übergreifend und umfassend die Patientenversorgung verbessern.

Wenn jetzt trotz mehrfacher schriftlicher und mündlicher Anfrage um Gleichbehandlung ("Gerechtigkeit", ein nicht nur liberaler Wert) erst auf Druck der Öffentlichkeit eine mäßig positive Regung des BMG-neu erfolgt, ist dies ziemlich nahe an der Bankrotterklärung, zweiter Teil.

Entschuldigung, es ist einfach furchtbar mitzuerleben, welche Möglichkeiten zur Systemverbesserung unsinnig verheizt werden.

Dr. med. Günther Jonitz
Präsident der Ärztekammer Berlin
Vorsitzender der QS-Gremien der Bundesärztekammer
ehem. Vorsitzender und Gründungvorstand des Aktionsbündnisses Patientensicherheit

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