Aufsuchend aufklären
Strategien gegen Impfmüdigkeit gesucht
Mit kaum einer Maßnahme haben Ärzte in der Vergangenheit so viel erreicht wie mit Impfungen. Doch in Deutschland gibt es in allen Altersstufen und Regionen große Impflücken. Warum eigentlich?
Veröffentlicht:BERLIN. Verschließt der Gesetzgeber beim Thema Impfen die Augen? Keineswegs, stellte Dr. Sabine Reiter aus dem Bundesgesundheitsministerium beim Hauptstadtkongress klar. Das Präventionsgesetz zum Beispiel fördere durch eine Reihe von Maßnahmen die Impfprävention. So können etwa Krankenkassen Bonus-Leistungen für Impfungen vorsehen. Auch Betriebsärzte haben inzwischen die Möglichkeit, Schutzimpfungen vornehmen. Bei der Aufnahme eines Kindes in die Kita muss ein Nachweis über eine ärztliche Impfberatung vorgelegt werden. Und beim Auftreten von Masern zum Beispiel in Kitas und Schulen können die zuständigen Behörden ungeimpfte Kinder vorübergehend ausschließen.
"Im Verhältnis zum Nutzen zu hoch" sind die Preise aus Sicht der Patientenvertreterin Dr. Ulrike Holtkamp von der Stiftung Deutsche Leukämie- & Lymphom-Hilfe. "Bei diesen Preisen würde ich erwarten, dass das Medikament einen Patienten heilen kann", sagte sie. Sie berichtete, dass Patienten zunehmend Probleme hätten, die Kosten erstattet zu bekommen.
Grau ist alle Gesetzestheorie, doch was passiert an der Basis? Beim Satellitensymposium von MSD Deutschland zum Thema "Strategien zur Verbesserung der Impfraten in Deutschland" stellte Catharina Maulbecker-Armstrong vom Hessischen Gesundheitsministerium in Wiesbaden ein erfolgversprechendes Impfprojekt zur HPV-Prävention vor.
In Hessen nehmen nur etwa 22 Prozent der Frauen die Chance einer vollständigen HPV-Impfung wahr. Ein im Herbst 2015 gestartetes Modellprojekt an der Bergstraße soll dazu beitragen, aufzuklären, um durch ein Impfangebot vor Ort bereits in den Grundschulen die Impfquoten zu steigern. Das Modell setzt bei Grundschülerinnen der vierten Klassen an. Bei Elternabenden informieren niedergelassene Ärzte ausführlich über die Impfung. Interessierte Eltern können ihre Töchter anschließend an einem Impftag in der Schule von den Ärzten impfen lassen. Die Evaluation zeige, dass das Konzept von Eltern akzeptiert und gut angenommen wird, sagte Maulbecker-Armstrong. Es soll jetzt ausgeweitet werden.
Professor Norbert Brockmeyer vom Universitätsklinikum in Bochum zeigte sich überzeugt, dass bei HPV die aufsuchende, niedrigschwellige Aufklärung dringend erforderlich sei. Mit Blick auf eine wirksame HPV-Prävention forderte er, Aufklärung breiter anzulegen und die Themen Impfen und sexuelle Gesundheit stärker miteinander zu verknüpfen. Tabus müssten abgebaut werden, das Sprechen über Sexualität sei intim und mache Angst. Brockmeyer: "Es gibt in Deutschland keine allgemeingültige Sprache für alles, was sich unterhalb der Unterhose befindet."
Dr. Klaus Schlüter von MSD Deutschland forderte, die Impfmüdigkeit generell ins Zentrum von Präventionspolitik zu stellen. Er wies darauf hin, dass das Impfen auch einen wirksamen Beitrag zur Überwindung von Antibiotikaresistenzen leisten kann. (fuh)