Berechnung
So teuer kommen Spahns Gesetze
Bundesgesundheitsminister Spahn hat viele Gesetze angestoßen und ein Milliardenprogramm zur Mehrarbeit für Gesundheit und Pflege angeschoben. Mehr als seine Vorgänger steht er unter Druck, mit seinen Initiativen auch zu liefern.
Veröffentlicht:BERLIN. Wenn es derzeit etwas im Überfluss gibt, dann ist es öffentliches Geld, das nicht ausgegeben wird. In den ersten neun Monaten 2018 erzielten die gesetzlichen Krankenkassen einen Überschuss von 1,9 Milliarden Euro und hatten zusammen mit dem Gesundheitsfonds rund 27 Milliarden Euro Finanzreserven.
Sie dürften sich bis zum Jahreswechsel auf über 30 Milliarden Euro summiert haben. Geradezu gigantisch nehmen sich die Überschüsse der Gebietskörperschaften – Bund, Länder und Gemeinden – aus: Bereits im ersten Halbjahr betrugen sie 48 Milliarden Euro und könnten im Gesamtjahr 2018 die Hundert-Milliarden-Euro-Marke knacken.
Doch der glänzenden öffentlichen Finanzlage steht die dunkle Seite der öffentlichen Realwirtschaft gegenüber – und das gilt auch für das Gesundheitswesen: gravierende Personalknappheit in der Krankenhaus- und Altenpflege, unter Investitionsversäumnissen leidende Kliniken mit insuffizienten Strukturen und schließlich ein gravierender Rückstand in der Digitalisierung.
Eine Rechnung mit vielen Unbekannten
Wie kein anderer Gesundheitsminister vor ihm steht Jens Spahn unter dem Druck, die Leistungsfähigkeit von Medizin und Pflege zu sichern und spürbar zu verbessern – aber das ist weitaus schwieriger als gedacht.
Erstens deshalb, weil sich Leistungsverbesserungen weitaus schwerer messen lassen als Kostendämpfungserfolge, an denen die Minister Horst Seehofer und Ulla Schmidt in den 1990er und 2000er Jahren gemessen wurden.
Zum zweiten, weil Spahn mit seinen Gesetzen nur Rahmenbedingungen und Anreize setzen kann, die die Selbstverwaltung ausfüllen muss und auf die Ärzte und Pflegepersonal flexibel mit Mehrarbeit reagieren müssen. Das ist eine Rechnung mit vielen Unbekannten.
Tatsache ist: Spahn setzt auf viel Geld, geht dabei auch ein hohes Risiko ein. Für das teuerste seiner Projekte – das bereits verabschiedete Pflegepersonal-Stärkungsgesetz werden die Krankenkassen ab 2020 zwischen 2 und 2,5 Milliarden Euro mehr ausgeben müssen, so die aus der Gesetzesbegründung hervorgehenden Daten.
Schon dieses Jahr sind 640 Millionen Euro projektiert für das „Sofortprogramm Pflege“, mit dem rund 13.000 zusätzliche Fachkräfte für die Pflege in Heimen mobilisiert werden sollen.
Ferner sollen Tarifsteigerungen voll refinanziert werden. Aber: Der Arbeitsmarkt für Fachpflegekräfte ist leer gefegt. Ursächlich dafür ist auch eine verfehlte Tarifpolitik von Arbeitgebern und Gewerkschaften.
Vergleicht man Tarifforderungen und -abschlüsse der vergangenen Jahre, dann waren die Gewerkschaften wenig erfolgreich: Sie forderten Erhöhungen um bis zu sechs Prozent, um schlussendlich mit etwa zwei Prozent abgespeist zu werden.
In der Pflege wurde dabei auch noch eine „Sozialkomponente“ eingebaut, die dazu führte, dass die Gehaltszuwächse in unteren Lohngruppen prozentual doppelt so hoch ausfielen wie in den oberen Gehaltsklassen.
Die Tarifpolitik hat somit den Fachkräftemangel in der Pflege verschärft und keine Anreize für eine Höherqualifikation des noch bestehenden Potenzials aus dem Pflegehelferpersonal gesetzt. Im Gegenteil. Und die Tarifautonomie ist ein hohes, verfassungsrechtlich geschütztes Gut, auf das die Politik keinen Einfluss hat.
Bei Teilzeit: Lohnt sich die Aufstockung?
So bleibt die Hoffnung, dass mehr Arbeit in der Pflege durch Aufstockung von Teilzeit arbeitenden Pflegekräften geleistet wird. Auch dafür stehen die 640 Millionen Euro im Sofortprogramm zur Verfügung. Nur ist das keine hinreichende Bedingung für die Wirksamkeit des Programms, weil jede Pflegekraft für sich individuell kalkuliert, welcher Nettobetrag ihr als Folge von Mehrarbeit zufließen wird.
Das Ergebnis ist ernüchternd, weil in Rechnung gestellt werden muss, dass sehr viele Teilzeit-Pflegekräfte als hinzuverdienende Ehepartner ihr Gehalt in der Steuerklasse V versteuern müssen.
Hier addieren sich die zusätzlichen Sozialabgaben und Steuern auf eine Grenzbelastung von teils mehr als 60 Prozent. Es ist absurd: Was Spahn gibt, könnte zu mehr als der Hälfte wieder in öffentliche Kassen zurückfließen.
Das gilt im Prinzip auch für die Anreize, die Spahn mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz den Ärzten geben will, um ihnen jenseits der Budgetierung eine Refinanzierung von Mehrarbeit zu ermöglichen.
Die zusätzlichen Ausgaben kann das Ministerium aufgrund der Vielzahl von Faktoren nicht beziffern und schätzt einen „mittleren dreistelligen Millionenbetrag“. Das wären vielleicht 400 bis 600 Millionen Euro, also 1 bis 1,5 Prozent des Gesamthonorars zusätzlich zu vereinbarten Honorarsteigerungen.
Ob dies tatsächlich erarbeitet wird, hängt – ähnlich wie bei den Pflegekräften – von der Kalkulation eines jeden Arztes oder Psychotherapeuten ab. Zu bedenken ist, dass inzwischen mehr als 32.000 Ärzte im Angestelltenverhältnis und häufig in Teilzeit arbeiten. Auch hier könnte gelten: Was Spahn gibt, kassiert der Staat zum großen Teil wieder ein.
So zeigt sich das Dilemma eines Gesundheitsministers: Viel Geld ist nicht gleich viel Macht.