Selbstbehalte in den USA: ein Sparmodell mit Tücken

Immer mehr US-Amerikaner versuchen, steigende Krankenversicherungsprämien mit hohen Selbstbeteiligungen zu kompensieren. Die Quittung kommt bei Krankheit: Bevor die Versicherung auch nur einen Cent zahlt, steht der Patient schon fast vor dem Ruin.

Von Claudia Pieper Veröffentlicht:
Vorkasse im wahrsten Sinne des Wortes: Selbstbehalte machen bei Krankheit auch noch arm.

Vorkasse im wahrsten Sinne des Wortes: Selbstbehalte machen bei Krankheit auch noch arm.

© Medica / photos.com

WASHINGTON. Jahr für Jahr werden US-Amerikaner mit einer unerfreulichen Statistik konfrontiert: Ihre Krankenversicherungskosten steigen stärker als ihre Einkommen. In der Vergangenheit haben Arbeitgeber diese Kosten zumeist übernommen.

Doch jüngste Studien zeigen, dass inzwischen eine kritische Grenze überschritten ist: Mehr und mehr Arbeitgeber belasten ihre Mitarbeiter zumindest mit einem Teil des Kostenwachstums. Viele betroffene Versicherte entscheiden sich dann für Versicherungspolicen mit hoher Selbstbeteiligung.

In den letzten vier Jahren hat sich die Zahl der US-Bürger verdreifacht, die eine Krankenversicherung mit einem Selbstbehalt ("Deductible") von mindestens 1000 US-Dollar haben. Der Vorteil dieser Policen: Die Prämien sind deutlich niedriger als die traditioneller Versicherungen.

Der Nachteil ist, dass ein "Deductible" kein prozentualer Selbstbehalt ist, sondern dass die Versicherung erst einspringt, wenn der Versicherte den gesamten jährlich festgesetzten Beitrag aus eigener Tasche beglichen hat.

Mit anderen Worten: Für alles, was unter dem oft mehrere tausend Dollar betragenden "Deductible" liegt, ist der Versicherte selbst verantwortlich: Arztbesuche, Labortests, Medikamente.

Viele Experten raten zu den "High Deductible"-Policen - unter der Bedingung, dass die Versicherten gleichzeitig ein Gesundheitskonto einrichten, auf dem für die reguläre Gesundheitsversorgung gespart wird.

Das Problem ist, dass sich viele Amerikaner aus Kostengründen für eine Versicherung mit hohem Selbstbehalt entscheiden, aber kein Sparkonto für Routinebehandlungen haben. Das hat eine Studie in Kalifornien bestätigt.

Von 32 Millionen Bürgern hatten zwischen 2003 und 2007 immerhin drei Millionen eine Versicherung mit hohem Selbstbehalt. Von diesen drei Millionen antworteten über eine halbe Million, sie hätten Arztbesuche hinausgezögert oder vermieden. Die Hälfte gab Kosten als den Hauptgrund an.

Kein Wunder: Ein alarmierender Anteil der Versicherten mit "High Deductible"-Policen hatte kein Gesundheitskonto, aus dem sie Versorgungsausgaben bestreiten konnten.

69 Prozent der Versicherten, die nur die Inanspruchnahme definierter Leistungserbringer bezahlt bekommen, hatten kein Sparkonto angelegt. Unter den HMO-Versicherten (Gatekeeper-Prinzip) war der Anteil mit 80 Prozent noch höher.

"Viele Kalifornier können sich Versicherungen mit höheren Monatsbeiträgen nicht leisten, besonders im momentanen Wirtschaftsklima", sagte der Hauptautor der Studie, Dylan Roby, Forscher am UCLA Center for Health Policy Research.

"Versicherungen mit hohem Selbstbehalt kosten zwar zunächst weniger, belasten die Betroffenen aber oft mit Tausenden von Dollar, wenn sie Leistungen in Anspruch nehmen müssen. Wenn so viel Geld auf dem Spiel steht, wird aus einer Gesundheitskrise schnell eine Finanzkrise."

Begrenzte Hilfe ist absehbar: Ab 2014 schreibt die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama vor, Selbstbehalte in neuen Versicherungspolicen auf 2000 US-Dollar für Einzelpersonen (4000 für Familien) zu begrenzen.

Außerdem gibt es dann Finanzhilfen für Versicherte mit niedrigem Einkommen. Bestimmte Vorsorgeleistungen, wie Impfungen, Mammografien und Koloskopien, dürfen in neuen Policen schon seit Oktober 2010 nicht mehr unter den Selbstbehalt fallen.

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Kommentare
Helmut Karsch 14.01.201112:03 Uhr

Informationen und Details

Wer sich für die gesundheitliche Lage und die sozialen Umstände des Krankenversicherungsschutzes in den USA interessiert, kommt um die Ergebnisse des "National Health Interview Survey (NHIS)" nicht herum - und kann in Deutschland nur von etwas Vergleichbarem träumen!
Dieser haushaltsbezogene Survey wird jährlich vom U.S. Census Bureau for the Centers for Disease Control and Prevention und vom National Center for Health Statistics durchgeführt.

Für den aktuellen und gerade veröffentlichten Survey für das Jahr 2009 wurden mit 88.446 Personen in 33.856 Haushalten umfangreiche Interviews durchgeführt. Die Antwortrate der Haushalte betrug 82,2 %.

In der Fülle der mit dem NHIS gewonnen Ergebnissen finden sich etwa folgende wichtigen Informationen:

• Die selbstwahrgenommene gesundheitliche Lage, ein immer mehr anerkannter valider und reliabler Indikator, hängt bei den Erwachsenen über 25 Jahre hochsignifikant vom Bildungsabschluss ab: Von den Personen mit einem Bachelor- oder höheren Abschluss gaben mehr als doppelt so viele (74,1 %) an, ihr Gesundheitszustand sehr exzellent oder sehr gut wie die Befragten mit einem Bildungsabschluss unterhalb des High school-Abschlusses (38,3 %). Genau umgekehrt sah es bei denjenigen aus, deren Gesundheitszustand aus eigener Sicht schlecht war.
• 2 % der Befragten, das entspricht 4 Millionen Personen benötigten 2009 im täglichen Leben die Hilfe einer anderen Person.
• Über 7 % aller Kinder erhielten eine gesundheitlich bedingte spezielle Erzielung oder mussten frühinterventive Dienste in Anspruch nehmen.
• Schließlich gaben 18 % aller US-AmerikanerInnen unter 65 Jahren an, aus Kostengründen oder wegen eines Arbeitgeberwechsels ganzjährig oder zeitweise keinen Krankenversicherungsschutz gehabt zu haben.
• Über 30,4 Millionen US-BürgerInnen (10 % der Gesamtbevölkerung) verschleppten 2009 die Suche nach medizinischer Behandlung aus Kostengründen und 20,9 Millionen (7%) erhielten benötigte Behandlungen aus Kostengründen überhaupt nicht.

Alle Ergebnisse liegen differenziert nach Geschlecht, Alter, Rasse/Ethnie, Familieneinkommen, Armutsstatus, Zugang zum Krankenversicherungsschutz, Wohnort und Region vor.

Der 190 Seiten umfassende Report "Vital and Health Statistics Summary Health Statistics for the U. S. Population: National Health Interview Survey, 2009, Series 10: Data From the National Health Interview Survey No. 248" ist kostenlos erhältlich. Im Bericht gibt es eine ZUsammenfassung der wichtigsten ERgebnisse und außerdem interessante Ausführungen zur Methodik des HHIS. Weitere Daten werden mit Sicherheit in Kürze veröffentlicht werden oder sind bereits durch zahlreiche Links im Text zugänglich gemacht.

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