Hintergrund
Beamte in die GKV? Kostenneutral wird das schwerlich
Hamburg will die Wahlfreiheit für Beamte in der Krankenversicherung. Neu ist dieser Vorschlag ganz und gar nicht, sagt der Gesundheitsökonom Professor Volker Ulrich. Die Annahme, ein solcher Schritt sei kostenneutral, nennt er "heroisch".
Veröffentlicht:Es war ein im Sommerloch platzierter Mediencoup: Am 8. August verkündete Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), der Senat starte die Anhörung für ein Gesetz, das Beamten – bisher einmalig in Deutschland – Wahlfreiheit bei der Krankenversicherung ermöglichen soll: Beamte können ab August 2018 entweder wie bisher Beihilfe erhalten oder aber sie bekommen den Arbeitgeberanteil zur Gesetzlichen Krankenversicherung überwiesen.
Das Medien-Echo auf den Vorschlag war gewaltig. Und der Zeitpunkt mit Blick auf die Bundestagswahl sicher nicht zufällig gewählt. Von einem Steilpass in Richtung Bürgerversicherung war die Rede. "Ich glaube, dass die Neuauflage dieses Vorschlags durch den Hamburger Senat sich primär wahltaktischen Gründen verdankt", sagte der Gesundheitsökonom Professor Volker Ulrich der "Ärzte Zeitung".
"Eine Frage der Gerechtigkeit"
Neuauflage deshalb, weil die Frage der Wahlfreiheit für Beamte schon in den 1990er Jahren diskutiert wurde. "Der Tenor der Gutachten war damals, dass dies für die Länder langfristig teurer werden würde oder mit anderen Nachteilen verbunden wäre", sagte Ulrich, der an der Universität Bayreuth Volkswirtschaft lehrt.
Für Prüfer-Storcks dagegen ist die Wahlfreiheit eine "Frage der Gerechtigkeit": Für Beamte mit Kindern, für Versorgungsempfänger und Menschen mit Behinderung könne "die GKV die bessere Alternative sein". Doch auch auf individueller Ebene hat die Wechseloption Haken und Ösen: Die Wahl für die GKV soll unwiderruflich sein, Beamte dürfen nicht älter als 55 Jahre sein – und sind an Hamburg gebunden. Denn beim "Wechsel in ein anderes Bundesland gilt das dortige Beihilferecht", heißt es in der Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Birgit Stöver.
Der Senat geht anfangs durch das Wahlmodell von Mehrkosten von 5,8 Millionen Euro aus, weil sich die Stadt dann erstmals an den Krankenversicherungskosten der 2400 freiwillig GKV-versicherten Beamten beteiligt. Langfristig rechnet Prüfer-Storcks mit "Kostenneutralität". Nach Ansicht von Ulrich ist das eine "fast heroische Annahme". Diese sei angesichts der unterschiedlichen Rechtssysteme in GKV und PKV, der unterschiedlichen Leistungskataloge und der Unterschiede in der Inanspruchnahme von Leistungen "nicht sehr wahrscheinlich".
Nachahmer vorerst nicht in Sicht
Nachahmer des Hamburger Vorgehens erwartet der Gesundheitsökonom gegenwärtig nicht, "und zwar unabhängig davon, wer die jeweilige Landesregierung bildet". So hatte etwa Schleswigs-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) angeregt, die Wahlfreiheit für Beamte auch im Norden zu prüfen. "Ich sehe dafür keinen Bedarf", entgegnete FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki.
Ähnlich in Sachsen-Anhalt. Dort regiert statt "Jamaika" eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen. Die Landesregierung plane keine Initiative analog zu Hamburg erklärte das Finanzministerium auf eine Anfrage der Linken im Landtag. Beamte in der GKV seien durch die jetzige Ausgestaltung des Beihilfesystems nicht schlechter gestellt als die in der PKV, heißt es. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebietet es nur, die Kosten einer Krankenversicherung abzudecken, die nötig ist, um Leistungen abzudecken, die nicht von der Beihilfe erfasst sind.
Von Kostenneutralität, rechnet das Finanzministerium in Sachsen-Anhalt vor, könnte bei einem Wechsel der Beamten in die GKV keine Rede sein. Alleine für die aktiven Beamten hätte das Land in diesem Fall im Jahr 2016 rund 90 Millionen Euro für GKV-Beiträge aufwenden müssen. Zum Vergleich: Im gleichen Jahr beliefen sich die tatsächlichen Beihilfeausgaben für aktive Beamte auf 35 Millionen, für Versorgungsempfänger auf 67,1 Millionen Euro, heißt es in der Antwort.
Noch nicht berücksichtigt ist dabei ein weiteres Moment: Die Wahlfreiheit für Beamte könnte eine Wechselbewegung mit einer sich verstärkenden Selektion nach sich ziehen: Denn in die GKV würden zunächst Beamte wechseln, für die es vorteilhaft wäre, sei es aus gesundheitlichen oder familiären Gründen. "Im Ergebnis würden sich die beiden Versicherungssysteme beispielsweise hinsichtlich der Morbidität noch weiter voneinander entfernen", warnt Ulrich.
In Sachsen-Anhalt, das beim Beihilfesystem bleiben will, sind Beamte in der GKV bisher eine Randgröße: Landesweit gibt es 271 aktive Beamte in der GKV sowie 193 Ruheständler mit Chipkarte.