Beitragsschulden

Kassen laufen 8,2 Milliarden Euro hinterher

Die vergangene GroKo hat das Problem wachsender Beitragsschulden ausgesessen. Das rächt sich: Der Schuldenberg ist allein im Vorjahr um über zwei Milliarden Euro gewachsen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Viele GKV-Mitglieder sind mit ihren Beitragszahlungen im Rückstand.

Viele GKV-Mitglieder sind mit ihren Beitragszahlungen im Rückstand.

© Gina Sanders / stock.adobe.com

BERLIN. Die Beitragsschulden in der GKV sind Ende vergangenen Jahres auf 8,21 Milliarden Euro gestiegen. Das hat der GKV-Spitzenverband auf Anfrage der "Ärzte Zeitung" mitgeteilt.

Damit sind die Rückstände im Vergleich zu Anfang 2017 um mehr als zwei Milliarden Euro gewachsen. Im Jahr 2013 hatten sich die Schulden noch auf "nur" 2,15 Milliarden Euro belaufen (siehe nachfolgende Grafik).

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"Die größten Schulden liefen bei freiwillig Versicherten auf und innerhalb dieser Gruppe dürften vor allem die kleinen hauptberuflich Selbstständigen betroffen sein", sagt Sprecherin Ann Marini.

Allgemeine Versicherungspflicht und Beitragsbestimmung passten bei dieser Gruppe oft nicht mit ihrer Lebens- und Einkommenssituation zusammen. "Hier brauchen Krankenkassen wie Versicherte eine rechtliche Anpassung", so Marini.

Anders werde man die Spirale aus hohen Grenzen der Beitragsbemessung, unsteten geringen Einnahmen und wachsenden Säumniszinsen nicht in den Griff bekommen.

Zwangsinstrumente der Kassen

Regelung für Saisonarbeiter

Eine Quelle für weiter wachsende Beitragsschulden wird durch eine Neuregelung, die Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist, vermieden.

Für Saisonarbeiter galt bisher nach Ende ihrer Beschäftigung eine sogenannte obligatorische Anschlussversicherung – auch wenn der Betreffende längst wieder in sein Heimatland zurückgekehrt war.

Seit Anfang 2018 greift diese Anschlussversicherung erst, wenn der Betreffende binnen drei Monaten nach Ende seiner Beschäftigung ausdrücklich seinen Beitritt zur GKV erklärt und einen Wohnsitz nachweist.

Zwar haben die Kassen gesetzlich ein breites Instrumentarium, um auf Beitragsschulden zu reagieren – es reicht von Ratenzahlungen, dem Ruhen von Leistungen bis hin zu Zwangsvollstreckungen. Damit können aber nur Mitglieder, die lediglich kurzfristige Zahlungsprobleme haben, zur Kasse gebeten werden.

Können Mitglieder ihre Beiträge auf absehbare Zeit nicht zahlen, kann eine Kasse diese Forderungen niederschlagen. Von den 8,21 Milliarden Euro fallen allein 3,39 Milliarden Euro in diese Kategorie.

Die Krux für kleine Selbstständige besteht darin, dass der Gesetzgeber bisher eine Bemessungsgrundlage von 2283,75 Euro pro Monat als fiktives Einkommensminimum annimmt.

Daraus ergibt sich für Selbstständige ohne Krankengeldanspruch ein Beitrag für GKV und Pflegeversicherung von monatlich 377,85 Euro – den Zusatzbeitrag der jeweiligen Kasse noch nicht eingerechnet.

In Fällen, in denen der Selbstständige keinen Einkommensnachweis vorlegt, sind die Kassen per Gesetz gehalten, sogar den maximal möglichen Beitrag festzusetzen. Bei einem (fiktiven) Einkommen von mehr als 4425 Euro landet das Kassenmitglied dann bei einem Monatsbeitrag von 732,34 Euro – und so dreht sich die Schuldenspirale immer weiter.

In der vergangenen Legislaturperiode hat die Opposition im Bundestag wiederholt auf Entlastungen für Solo-Selbstständige gedrängt. Als im Frühjahr 2017 die Oppositionsanträge im Parlament diskutiert wurden, verteidigte insbesondere die Union es als "richtig und gerecht", dass man von einem typisierten Einkommen bei Selbstständigen ausgehe.

Eine Senkung der Mindestbemessung hätte "erhebliche Mindereinnahmen" der Kassen zur Folge, ihre Abschaffung stünde "im Widerspruch zum Solidarprinzip der GKV", hieß es damals.

Oppositionsanträge ohne Chance

Eine Neuregelung für diese Gruppe müsse im Kontext der gesamten Beitragsstruktur in der GKV erfolgen. Zu einer Reform, die über Flickwerk hinausgegangen wäre, kam es kurz vor der Bundestagswahl nicht mehr.

Vergeblich hat die Linksfraktion gefordert, die Mindestbeitragsbemessung bei Selbstständigen auf die Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro zu senken. Die Grünen warben ohne Erfolg dafür, in einem ersten Schritt das fiktive Mindesteinkommen auf das Niveau für freiwillig GKV-Versicherte zu senken – damals 991 Euro.

Einen Koalitionsvertrag später haben sich Union und SPD bei diesem Thema bewegt. Nun soll die Mindestbemessungsgrundlage auf 1150 Euro gesenkt werden. Ordnungspolitische Bedenken hat die Groko ad acta gelegt.

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