Aufbruch

Was die Digitalisierung im Gesundheitswesen erfordert

Wenn die Digitalisierung erfolgreich sein soll, brauchen wir dringend mehr digitale Gesundheitskompetenz, sagt der Beauftragte der Techniker Krankenkasse für Patientensicherheit im Gastbeitrag.

Von Hardy Müller Veröffentlicht:
Wichtig, aber stiefmütterlich behandelt: So ist die Digitalisierung im Gesundheitssystem, sagen Befragte in einer Studie.

Wichtig, aber stiefmütterlich behandelt: So ist die Digitalisierung im Gesundheitssystem, sagen Befragte in einer Studie.

© santiago silver / stock.adobe.com

Die digitale Transformation im Gesundheitswesen birgt unverzichtbare Chancen für die Verbesserung der Versorgung und ist daher ein erstrebenswertes Ziel. Langsam wird auch das Gesundheitswesen digitaler. Es ist an der Zeit, die damit verbundenen Chancen zu realisieren.

Eine nutzbringende Digitalisierung erfordert leistungsfähige Technologien. Genauso wichtig und letztlich entscheidend ist jedoch die qualifizierte Anwendung dieser neuen Verfahren. Dabei reicht es nicht aus zu wissen, wie die Technik funktioniert. Notwendig ist Vertrauen in die Anwendungen. Ohne diese vertrauensvolle und sinnvolle Nutzung bringt uns die beste Technik nichts.

Technik muss akzeptiert werden

Ein Lehrstück zur Bedeutung und zum Verhältnis von technologischer Leistungsfähigkeit und sozialer Akzeptanz bot die Markt-Einführung der technologisch überzeugenden aber eben sonst fragwürdigen und sozial nicht akzeptierten Datenbrille „Glass“ von Google im Jahr 2014.

In dieser 54g leichten Brille waren eine Kamera, Mikrofon, eine Vielzahl von Sensoren, ein leistungsfähiger Rechner und umfangreiche Schnittstellen realisiert. Die Anwendung dieser Hochtechnologie jedoch scheiterte, da sich die Menschen durch sie überwacht fühlten und die Anwender selbst schnell als „Glassholes“ bekämpft wurden. Nach nur wenigen Monaten nahm Google die Brille vom Markt.

Wie sieht nun die Kompetenz der Anwender im deutschen Gesundheitswesen aus? Haben wir bereits ein gemeinsames Verständnis über das erforderliche Wissen und die benötigten Fähigkeiten für eine gelingende digitale Transformation? Diese Fragen untersuchte die Studie der Techniker Krankenkasse „TK-DiSK: Digital. Selbstbestimmt. Kompetent. Ein Projekt zur Stärkung der Digitalen Gesundheitskompetenz von Patienten und Organisationen“ im Zeitraum von Januar bis September 2018.

Bedenkliche Ergebnisse

Die Studie hatte unter anderem das Ziel, den aktuellen Sach- und Diskussionsstand hinsichtlich der digitalen Gesundheitskompetenz im deutschen Gesundheitswesen zu analysieren, Kompetenzanforderungen zu eruieren und damit das Konzept der digitalen Gesundheitskompetenz auf der Grundlage der bestehenden Literatur und der empirischen Ergebnisse wissenschaftlich weiterzuentwickeln.

Um die verschiedenen Perspektiven und Sachstände im deutschen Gesundheitswesen hinsichtlich der digitalen Gesundheitskompetenz innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes zu analysieren, kamen verschiedene Methoden zum Einsatz, untere anderem eine Dokumentenanalyse, Experteninterviews, Umfragen und Fokusgruppen mit Patienten (ZEFQ 2019; online 13. Juli 2019).

Nach den Analysen der erhobenen Daten zeigte sich ein Paradox: Der digitalen Gesundheitskompetenz wird ein hoher Stellenwert beigemessen, aber es existieren aufseiten der Institutionen und Dienstleister im Gesundheitswesen kaum inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Thema.

Unter den interviewten Experten gab es kein gemeinsames Verständnis über Inhalte und Zuständigkeiten sowie keine Konzepte für Fördermöglichkeiten. Die Patienten-Fokusgruppen machten deutlich, dass die Wahrung und Förderung der individuellen Selbstbestimmung für (potenzielle) Nutzer ein zentraler Aspekt bei der Einschätzung digitaler Gesundheitstechnik ist.

Nutzer im Fokus

Die Untersuchung zeigt, dass die Anwender selbst weiter qualifiziert und ermächtigt werden sollten, damit die Digitalisierung vertrauensvoll und kompetent umgesetzt werden kann. Mit den Ergebnissen wird ein Konzept der digitalen Gesundheitskompetenz entwickelt.

Bei diesem Konzept geht es nicht allein darum, das Wissen um die Funktionsweise der digitalen Anwendung zu fördern. Ebenso wichtig ist die Befähigung und Ermächtigung zur ethisch fundierten Reflexion der digitalen Technik mit dem Ziel der digitalen Selbstbestimmung.

Die digitale Gesundheitskompetenz ist damit eine unverzichtbare Ressource und Grundlage für eine kompetente Anwendung. Digitale Gesundheitskompetenz verstehen wir als eine Fähigkeit von einzelnen Personen (Patienten), aber auch als ein Merkmal von Gruppierungen (zum Beispiel Fachverbände). Auch auf der Ebene von Organisationen – diese setzten die Eckpunkte für die Entwicklungen im Gesundheitswesen – sind die Spezialisierung und die Qualifikation für das Thema unterschiedlich ausgeprägt.

Ohne digitale Gesundheitskompetenz von Versicherten und Patienten, Therapeuten und Organisationen kommt die nutzbringende digitale Transformation nicht voran. Die Qualifikationen werden sich nicht von selbst zufällig einstellen, sondern erfordern spezielle Förderungen und Entwicklungen.

Diese Aufgabe kann nicht nur an einzelne Stellen wie etwa an die Schulen delegiert werden, sondern ist als gemeinschaftliche Aufgabe von allen Digitalisierungstreibern im Gesundheitswesen zu verstehen. Ein verstärktes Investment in die Fähigkeit der verschiedenen Akteure, digitale Technik vertrauensvoll und kompetent anzuwenden, ist notwendig, damit uns die Erfahrung der „Glassholes“ erspart bleibt.

Der Autor ist Beauftragter der Techniker Krankenkasse für Patientensicherheit.

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

apo Asset Management GmbH

E-Patientenakte: Mehrwert für die Praxis – und fürs Depot?

Kooperation | In Kooperation mit: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Finanzielle Lage der GKV

Zusatzbeiträge 2025: Hiobsbotschaften im Tagesrhythmus

Lesetipps
Die Forschenden nahmen die langfristigen Auswirkungen der essenziellen Metalle Kobalt, Kupfer, Mangan und Zink, sowie der nicht-essenziellen Metalle Arsen, Cadmium, Blei, Wolfram und Uran auf die kognitiven Funktionen in den Blick.

© Naeblys / Getty Images / iStock

Umweltbelastung

Metalle im Urin sind mit kognitivem Abbau assoziiert