Health 4.0
NRW fordert mehr Spielraum bei E-Health
Eine Experimentierklausel im Sozialrecht beschleunigt die Digitalisierung in Deutschland. Davon ist zumindest NRWs Wirtschaftsminister überzeugt.
Veröffentlicht:DÜSSELDORF. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Professor Andreas Pinkwart plädiert für größere Handlungsspielräume der Bundesländer, um die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu beschleunigen. Über eine Art Experimentierklausel im Sozialrecht könnten die Länder in einem befristeten Zeitraum großflächige Modelle auf den Weg bringen, von denen dann alle lernen, schlug der FDP-Politiker auf dem Kongress "Health 4.0" in Düsseldorf vor.
Es dauere zu lange, wenn alles vom Bund kommen müsse. "Mit der Modellklausel könnten wir jetzt loslegen", sagte Pinkwart, der auch Minister für Innovation, Digitalisierung und Energie ist. "Ich wünsche mir einen Wettbewerb der Ideen, damit uns die Digitalisierung letztlich zu neuen Lösungen führen kann."
Grundsätzlich führt an der Digitalisierung nach Ansicht des Ministers angesichts der großen Chancen für eine bessere Versorgung kein Weg vorbei, nicht zuletzt weil die Patienten es einfordern werden. Um bei der Digitalisierung voranzukommen, müssten aber "Erbhöfe" und "Besitzstände" auf den Prüfstand, betonte er. "Sie hätten schon in der analogen Welt in Frage gestellt werden müssen."
Modellregionen schaffen
Bei vielen Digitalisierungs-Themen sei Deutschland gar nicht so schlecht vorbereitet, man müsse nur endlich an den Start gehen. Pinkwarts Vorstellung: In Modellregionen wie Nordrhein-Westfalen könnte man verschiedene Dinge erproben und dann über Best Practice-Beispiele den Menschen zeigen, was möglich ist.
Auch die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller Birgit Fischer setzt auf die Bundesländer. Nur über sie ließen sich die notwendigen Spielräume schaffen, wie sie etwa für Partnerschaften zwischen Vertretern von Industrie, Forschung und Versorgung notwendig sind. Mit guten Modellen vor Ort könne man bei den Bürgern Verständnis für Veränderungen erzeugen, glaubt die ehemalige NRW-Gesundheitsministerin.
Zudem: "Man braucht die Länder, um Fehlentwicklungen auf Bundesebene zu vermeiden." Als Beispiel nannte sie das geplante Arztinformationssystem. Manchen Protagonisten gehe es nicht nur um Informationen, sondern um die Steuerung des ärztlichen Verhaltens. "Wenn wir hier nicht die Aufmerksamkeit der Länder haben, lassen wir Fehlentwicklungen zu, die wir später nicht mehr zurückholen können", sagte Fischer.
Bund in der Pflicht
Der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse Viactiv Reinhard Brücker sieht dagegen eher die Bundesebene in der Pflicht, um die Digitalisierung voranzubringen. "Ich würde mir mehr Verantwortung im Bundesgesundheitsministerium wünschen und ein Bundesinstitut, das klare Standards vorgibt", sagte er. Nur so komme mehr Effizienz ins System.
Brücker hat eine klare Priorität. "Wir brauchen eine zügige Entscheidung für eine einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte." In der gematik hätten sich die verschiedenen Parteien inklusive der Krankenkassen in den vergangenen Jahren gegenseitig blockiert. Die Zeit der Blockade müsse beendet werden, forderte er.
Bei der Digitalisierung sollten die etablierten Anbieter wie Krankenkassen oder Krankenhäuser verstärkt auf Partnerschaften setzen, empfahl Dr. Marc Thom, Global Senior Development Manager bei dem Unternehmen Sony Mobile Communications International. Allein werde ihnen der Aufbau neuer Strukturen nicht gelingen, sagte er.
Dabei dürfe die Digitalisierung kein Selbstzweck sein. "Wir müssen mit der Digitalisierung wirkliche Probleme lösen", betonte der Arzt und Psychologe.
Deutschland und andere europäische Länder hätten die Entwicklung verschlafen – nicht nur im Gesundheitswesen. Unternehmen wie Facebook, Amazon, Alibaba und Uber sei es dagegen gelungen, komplett neue Geschäftsmodelle auf die Beine zu stellen. "Amazon wird sich in nächster Zeit die Life Science-Industrie vornehmen", prognostizierte Thom.