Disease Interception: innovative Form individualisierter Medizin
Krankheiten schon vor dem Auftreten erster Symptome zu erkennen und ihren Ausbruch durch frühzeitige, gezielte Interventionen zu verhindern, ist das Ziel von Disease Interception. Über dieses neue Konzept, das einen Paradigmenwechsel in der Medizin einläutet, diskutierten Experten in Berlin.
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Angeregte Diskussion (v.l.): Wolfgang van den Bergh, Dr. Dorothee Brakmann, Professor Frank Jessen, Dr. Christoph Bug, Dr. Martin Danner.
© Uwe Steinert
Disease Interception sieht vor, Menschen mit einem besonders hohen Risiko für eine schwerwiegende Erkrankung mittels hochspezifischer, validierter Biomarker frühzeitig zu identifizieren und noch im präsymptomatischen Stadium kurativ zu behandeln. Auch wenn das Konzept noch visionär erscheint, könnte es schon in naher Zukunft die bisherigen Vorstellungen von Krankheiten und ihrer Behandlung grundlegend verändern – weg von der klassischen „Reparaturmedizin“, hin zu einer hochpräzisen Frühintervention bei besonders gefährdeten Personen, noch bevor sie das symptomatische Stadium erreichen.
Wie sich Disease Interception als breites medizinisches Versorgungskonzept umsetzen lassen könnte und welche medizinischen, ethischen, rechtlichen und auch zulassungsrelevanten Herausforderungen sich daraus für Ärzte, Patienten, Politik und das gesamte Gesundheitssystem ergeben, war Gegenstand eines interdisziplinären Expertenworkshops unter Leitung von Wolfgang van den Bergh, Chefredakteur der Ärzte Zeitung. Ziel des Workshops war es, diese Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten und gemeinsam Antworten auf eine Vielzahl relevanter Fragen zu finden.

Professorin Eva Winkler.
© Uwe Steinert
Die Vorstellung, eine Erkrankung bei einem noch beschwerdefreien Menschen entdecken und das weitere Voranschreiten des zugrundeliegenden pathophysiologischen Prozesses durch eine zielgenaue Behandlung stoppen zu können, sei aus medizinisch-ärztlicher Sicht faszinierend, so Professor Frank Jessen, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universität Köln. Bei vielen Erkrankungen, wie der Alzheimer-Demenz oder Krebserkrankungen, ist die symptomatische Phase aber zugleich die Endstrecke der Erkrankung. „Therapeutisch kann man in dieser Phase oft nicht mehr viel bewirken“, konstatierte Jessen. Daher sei Disease Interception gerade für neurodegenerative oder onkologische Erkrankungen ein vielversprechender Ansatz.
Disease Interception entkoppelt die Definition einer Krankheit von der Notwendigkeit, dass bereits Symptome vorliegen. Damit verändert sich die ärztliche Tätigkeit erheblich. Sofern in Zukunft erste Disease-Interception-Therapien zur Verfügung stehen, könnte das Konzept dem Arzt erstmals in der Geschichte der Medizin erlauben, nicht mehr nur Symptome von kranken Patienten zu lindern, sondern proaktiv tätig zu werden und das Auftreten von Symptomen bei Hochrisikopersonen zu vermeiden. Das impliziert zugleich eine Neudefinition von Begrifflichkeiten wie „Gesundheit“ und „Krankheit“.