Prominente Runde hat diskutiert
Krebskongress: Die Lehren und Lektionen aus der Corona-Pandemie
Die COVID-Pandemie hat viele Probleme offengelegt, aber infolge der Krise wurden auch neue Weichen gestellt. Welche, das hat eine prominente Runde um Virologen Streeck, Ethikerin Buyx und Gesundheitspolitiker Dahmen beim Krebskongress diskutiert.
Veröffentlicht:Berlin. Wenn nicht alles täuscht, dann pendelt sich die COVID-Pandemie langsam aus und SARS-CoV-2 etabliert sich als weiterer, endemischer Erreger von Atemwegsinfektionen.
Ein guter Zeitpunkt, um über einige Lektionen aus der Pandemie zu sprechen, dachte sich die Deutsche Krebsgesellschaft und organisierte beim Deutschen Krebskongress in Berlin eine prominent besetzte Sitzung zum Thema.
Vernetzung der Unikliniken soll bleiben
„Krisenzeiten sind manchmal angetan, Dinge zu ermöglichen, die es ohne Krise nie im Leben gegeben hätte“, sagte Charité-Chef Professor Heyo Kroemer. Die Berliner Uniklinik hat bisher im Rahmen des stratifizierten Versorgungskonzepts des Lands Berlin 5448 COVID-Patienten versorgt, davon rund die Hälfte auf Intensivstation.
„In Spitzenzeiten hatten wir 45 Menschen gleichzeitig mit ECMO-Therapie“, so Kroemer. In normalen Zeiten seien an anderen Universitätskliniken fünf bis sechs ECMO-Patienten schon sehr viel.
Förderung des Netzwerks Universitätsmedizin verlängert
Was ermöglicht worden sei durch die Pandemie sei aus universitärer Sicht vor allem das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM). Dessen Bundesförderung wurde bis vorerst 2025 verlängert, sie beträgt dann insgesamt 390 Millionen Euro. Für Kroemer gut angelegtes Geld. So seien im RACOON-Projekt sämtliche universitären Radiologien digital verknüpft worden, um COVID-Studien zu ermöglichen.
Die Lektion daraus? „Es liegt auf der Hand, dass das auch bei vielen anderen Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen kann. Wir werden das weiterentwickeln.“
Eine Erfolgsgeschichte universitärer Kooperation seien auch NAPKON und NATON. NAPKON ist das „Nationale Pandemie Kohorten Netz“, eine der weltweit größten Deep-Phenotyping-Kohorten mit (derzeit 6410) COVID-Patienten. Beim „National Autopsy Network“ ist der Name Programm. Ziel für die postpandemische Zeit sei es, das NUM beizubehalten und es in einen eingetragenen Verein zu überführen, so Kroemer.
Wissenschaft (und ihre Grenzen) besser kommunizieren
Aus Sicht des Wissenschaftsbetriebs identifizierte Prof. Hendrik Streeck von der Virologie des Universitätsklinikums Bonn eine ganze Reihe von Ansatzpunkten für Verbesserungen. Was virologisch-epidemiologische Studien angehe, sei eine bessere Koordination entsprechender Projekte nötig, nicht zuletzt damit standarisierte Protokolle genutzt würden. Dass jeder COVID-Hotspot seine eigene Serumprävalenzstudie gemacht habe, sei nicht hilfreich gewesen.
Streeck plädierte außerdem für Strukturen, die es erlauben, noch nicht publizierte wissenschaftliche Daten einer Art „Rapid Review“ zu unterziehen. Hintergrund: Viele Wissenschaftsdiskussion in der Pandemie drehten sich um frühe, vor einem wissenschaftlichen Peer Review kommunizierte Ergebnisse.
Verständnis von Wissenschaft in Bevölkerung verankern
Als einer von mehreren unmittelbar davon betroffenen Wissenschaftlern ging Streeck auf die Frage ein, wie ein besseres Verständnis von Wissenschaft in Bevölkerung und Wissenschaftsjournalismus verankert werden kann. Er nahm als Beispiel seine Studie zu der in der Anfangsphase der Pandemie noch sehr unklaren Infektionssterblichkeit (IFR) der COVID-Infektionen auf Populationsebene.
Streeck und Kollegen hatten für Gangelt damals 0,36 % ermittelt, mit einem Konfidenzintervall von 0,17 % bis 0,77 %. Im Gefolge gab es einen Shitstorm, an dem sich einige Wissenschaftler und viele Journalisten beteiligten und bei dem die Kommunikation der Daten via Pressekonferenz genutzt wurde, um die Person Streeck und die Daten zu diskreditieren.
Erste Daten haben sich bestätigt
Einer der gebetsmühlenartigen Vorwürfe war, dass die Toten nicht richtig gezählt worden seien. Mittlerweile wurden alle Toten der Region in diesem Zeitraum anhand von Totenscheinen aufgearbeitet. Das Manuskript wurde zur Publikation eingereicht. Unter Berücksichtigung dieser nachlaufenden Todesfälle berechne sich jetzt eine IFR von 0,47 % mit einem Konfidenzintervall von 0,37 % bis 0,62 %, so Streeck.
Mit anderen Worten: Die ersten Daten haben sich im Wesentlichen bestätigt, der neue Wert liegt immer noch ziemlich mittig im ursprünglichen Konfidenzintervall. Dass Wissenschaft mit solchen Unsicherheitsmargen arbeite, sollte Streeck zufolge besser kommuniziert werden, um unnötige Verunsicherung und auch kontraproduktive Diskussionen zu vermeiden.
Ethikrat: Güterabwägung nötig
Eine ethische Bilanz der Pandemie zog Prof. Alena Buyx, Chefin des Deutschen Ethikrats. Sie betonte, dass die Pandemiemaßnahmen aus ihrer und des Ethikrats Sicht „insgesamt angemessen“ gewesen seien, was nicht heiße, dass es nicht Grund für Kritik gebe. Problematisch sei rückblickend vor allem der Umgang mit Kindern und Jugendlichen jenseits des ersten Lockdowns gewesen.
Dass die Eindämmungsmaßnahmen, je länger sie dauerten, zu zunehmender Vulnerabilität der durch das Virus selbst nur wenig betroffenen, jungen Bevölkerung führten, sei nicht genug thematisiert worden. Buyx kündigte an, dass der Ethikrat in Kürze eine eigene Stellungnahme zur jungen Generation vorlegen werden und ließ hier Selbstkritik erkennen: „Das steht uns weiß Gott gut an.“
Buyx: Keine einfachen ethischen Diskussionen
Buyx betonte allerdings auch, dass die ethischen Diskussionen bei laufender Pandemie keine einfachen gewesen seien und dass der Ethikrat sich zwar erst spät zu Kindern und Jugendlichen geäußert, aber nie für No-Covid-Strategien argumentiert habe, auch wenn das von manchen erwarten worden sei.
Es habe im Ethikrat immer die Auffassung gegeben, dass die Kollateralschäden sehr strikter Maßnahmen mitgedacht werden müssten. Dennoch habe sich das Bewusstsein, dass es in solchen Situationen nicht die eine einfache Lösung gebe, sondern dass es immer eine Güterabwägung brauche, zu zögerlich entwickelt.
„Braucht Orte, an denen wir diskutieren und streiten können“
Die Lektionen der Politik fasste der Arzt und Bundestagsabgeordnete Dr. Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen) zusammen. Ein großer Punkt: Digitalisierung. Um im Gesundheitswesen datenseitig besser aufgestellt zu sein, sei eine umfassende elektronische Patientenakte (ePA) nötig, wie sie die Ampel-Koalition mit dem so genannten Opt-out-Modell plane.
Dabei bekommt jede und jeder eine ePA, medizinische Einrichtungen müssen sie befüllen und Daten können für die Forschung genutzt werden – sofern, das ist der „Opt-out“, nicht individuell widersprochen wird.
Die aktuell in Arbeit befindliche Krankenhausreform sei ebenfalls eine Lektion aus der Pandemie, außerdem eine Umstrukturierung der Public Health Infrastruktur. Dass die Verantwortung für Public Health in Deutschland in schlecht ausgestattete Gesundheitsämter am Rande der Stadt verlagert werde, sei eine Achillesferse in der Pandemie gewesen.
Digitalisierung
gematik beschließt „Opt-out-ePA“
Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit soll kommen
Hier müsse in Richtung regionaler und überregionaler Institutionen umgesteuert werden: „Wir werden noch in dieser Legislatur ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit auf den Weg bringen, bei dem Datenmanagement und das populationsbezogene Messen von Gesundheit im Zentrum stehen“, so Dahmen.
Seitens der Kommunikation sei es eine wichtige politische Lektion, dass es Orte brauche, an denen Politiker und Experten diskutieren und streiten können, ohne dass es direkt öffentlich werde. Der Corona-Expertenrat bietet einen solchen Raum und hat sich aus Sicht von Dahmen sehr bewährt.
Auch Streeck hatte den Expertenrat zuvor gelobt, allerdings auch betonte, dass er sich ein breiteres Spektrum an wissenschaftlicher Expertise in solchen Gremien wünschen würde.