Hauptstadtkongress Digital
Spahn verteidigt Corona-Impfstrategie des Bundes
Deutschland muss bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs mehrgleisig fahren, betont der Gesundheitsminister bei der Auftaktveranstaltung des Hauptstadtkongresses Digital. Das aber ist nur eine Lehre aus der Krise, wie die Diskussionsrunde deutlich macht.
Veröffentlicht:Berlin. Gesundheitsminister Jens Spahn hat die Impfstrategie der Bundesregierung verteidigt. „Mit dem Tag der Zulassung will ich Impfdosen für unsere Bürger haben“, sagte der CDU-Politiker bei der Auftaktveranstaltung des Hauptstadtkongresses Digital am Mittwoch.
Anfang der Woche war der Bund mit 300 Millionen Euro beim Tübinger Biopharma-Unternehmen CureVac eingestiegen.
Spahn: Mehrere Stränge bei Impfstoffversorgung
Deutschland setze sich traditionell für eine internationale Impfstoffversorgung ein, betonte Spahn. Die Hilfe erstrecke sich auch auf Länder, die sich Arzneimittel nicht leisten könnten.
Er finde es aber auch wichtig, dass es ausreichend Impfstoffe in Europa und Deutschland gebe. Auf ein entsprechendes Vorgehen hätten sich die EU-Gesundheitsminister im Ministerrat bereits vergangene Woche verständigt.
Agenda der EU-Ratspräsidentschaft
Für die Ratspräsidentschaft Deutschlands ab Juli kündigte Spahn an, das „Maß an Globalisierung“ neu bestimmen zu wollen. Die Ausstattung Europas mit Arzneimitteln und Schutzausrüstung dürfe nicht in China entschieden werden. Zudem gehe es darum, die europäische Stimme in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu stärken – „gerade jetzt, wo andere nicht so viel Verantwortung übernehmen“.
Die USA haben angekündigt, ihr Engagement in der WHO zurückzufahren. Spahn plädierte für eine „Gesundheits-NATO“ in Europa, in der die Gemeinschaft einzelnen, in Not geratenen Ländern beistehe.
Zum dritten solle während der Ratspräsidentschaft eine einheitliche Herangehensweise an das Thema Datenschutz im Gesundheitswesen verhandelt werden, kündigte Spahn an. „Das werden wir vielleicht nicht zum Abschluss bringen bis Ende des Jahres.“
Corona-App: Mehr als 6,5 Millionen Downloads
Gegenstand der Auftaktveranstaltung zum digitalen Hauptstadtkongress waren Lehren von Ärzten, Pflegekräften, Klinikmanagern und Gesundheitsökonomen aus der Corona-Krise. Zur Auftaktrunde schalteten sich mehr als 2500 Teilnehmer per Stream zu. Moderiert wurde die Runde vom Chefredakteur der „Ärzte Zeitung“, Wolfgang van den Bergh.
Die am Dienstag offiziell vorgestellte Corona-Warn-App des Bundes sei binnen 30 Stunden bereits mehr als 6,5 Millionen Mal heruntergeladen worden, berichtete Spahn. „Das ist eine gute Startrampe.“ Es lägen somit schon über „sechs Millionen gute Gründe“ vor, warum es das Virus jetzt schwieriger habe. Ziel sei es, die Downloadzahlen weiter zu erhöhen.
Deutschland sei bereits mit der EU-Kommission im Gespräch, um eine „europäische Schnittstelle“ für die verschiedenartigen Corona-Apps in Europa zu schaffen, sagte Spahn.
Anders als Deutschland hat sich etwa Frankreich für eine zentrale Lösung bei der Datenerfassung entschieden. Es müsse möglich sein, Daten zu Infektionen grenzübergreifend auszutauschen, so der Minister.
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Jens Spahn: „Ich würde mir mehr Corona-Patriotismus wünschen“
Schub für Digitalisierung
Spahn betonte, die Corona-Krise habe die Digitalisierung des Gesundheitswesens „beschleunigt“. Auch die Akzeptanz digitaler Anwendungen sei durch die Pandemie gestiegen – sowohl in der Bevölkerung, als auch bei Ärzten und Pflegekräften. Dass Laborbefunde im 21. Jahrhundert teils noch per Fax in die Arztpraxen gelangten, sei ein Anachronismus.
Corona habe zu einem „enormen Schub“ bei der Digitalisierung der Gesundheitsversorgung geführt, pflichtete die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen und frühere Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Martina Wenker, bei. Viele Ärzte und Psychotherapeuten stellten fest, dass Videosprechstunden funktionierten und auch akzeptiert würden. Dennoch könne eine virtuelle Begegnung die persönliche nicht ersetzen, höchstens ergänzen.
Wenker: „Chance für humanitäre Patientenversorgung“
Die Corona-Krise eröffne auch die Chance für eine „humanitäre Patientenversorgung“, sagte Wenker. „Wir haben in der Krise gelernt, wir behandeln Menschen mit Sorgen – nicht nur gesundheitlichen.“ Das Gesundheitswesen lebe davon, „dass es dort menschelt“, betonte sie.
Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten hätten „gemeinsam wahnsinnig viel gelernt in der Krise“, sagte der Ärztliche Direktor und Geschäftsführer des Unfallkrankenhauses Berlin, Professor Axel Ekkernkamp. Hochproblematisch sei, dass viele Patienten den Krankenhäusern und Praxen aus Angst vor einer Ansteckung mit Corona ferngeblieben seien.
Sorge um Regelversorgung
Allein auf kardiologischen Stationen sei es zu einem Rückgang des Patientenaufkommens um bis zu 40 Prozent gekommen. Man müsse nun rasch zur Normalität zurückkehren und „nachholen, was in Kliniken und Praxen nicht gemacht werden konnte“, sagte der wissenschaftliche Leiter des Deutschen Ärzteforums beim Hauptstadtkongress.
Zu behaupten, ökonomisch orientierte Gesundheitssysteme wie das in den USA hätten in der Corona-Krise versagt, sei „zu simpel“, betonte Ekkernkamp. Krankenhäuser müssten Geld verdienen dürfen. „Sonst werden wir keine gescheite Zukunft haben.“ Nicht umsonst sei vor 15 Jahren der Begriff der „Gesundheitswirtschaft“ geprägt worden. Das sei auch ein Verdienst der Initiatoren des Hauptstadtkongresses, Dr. Ingrid Völker und Senator a. D. Ulf Fink.
DKG: Kliniken haben gut reagiert!
Die Gesellschaft habe sich an die verordneten Corona-Maßgaben gehalten, sagte der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß.
Das sei allerdings nur eine Seite der Medaille gewesen. Die andere Seite sei, dass die Krankenhäuser wie alle anderen Sektoren nicht nur gut gerüstet in die Krise gegangenen seien. „Dann aber haben sie gut reagiert, den Wettbewerb aufgehoben und zusammengearbeitet“, betonte Gaß.
Modernität statt alter Normalität
Dass Viren sich binnen Stunden auf der Welt ausbreiten können, sei bei der Risikobewertung lange ausgeblendet worden, sagte der Hamburger Gesundheitsunternehmer Professor Heinz Lohmann. Wichtig sei nun, nicht zur „alten Normalität“ zurückzukehren, sondern eine „künftige Modernität“ aufzurufen.
Das beinhalte auch die Analyse dessen, was tatsächlich im Gesundheitswesen gebraucht werde. „Wir müssen aufpassen, dass wir gesellschaftlich nicht überziehen“, warnte Lohmann. Lohmann ist Leiter des Kongresses Krankenhaus Klinik Rehabilitation unter dem Dach des Hauptstadtkongresses.
Dass das Regelprogramm heruntergefahren worden sei, habe bei der Neuorganisation der Pflegeteams in den Krankenhäusern geholfen, sagte Vera Lux, ehemalige Pflegedirektorin der Universitätsklinik Köln. Bleiben würden die digitalen Formate der Aus- und Fortbildung in der Pflege, sagte Lux, die den Deutschen Pflegekongress beim Hauptstadtkongress leitet.
Hauptstadtkongress als digitales Add-on
Der Hauptstadtkongress ist als eine Veranstaltung der WISO S.E. Consulting GmbH Teil von SpringerMedizin. Der Kongress findet wegen der geltenden Alltagseinschränkungen in diesem Jahr als digitales Add-on statt.
In normalen Jahren ist der Kongress mit weit über 8000 Besuchern eines der größten Gesundheitsevents im Messe- und Kongresskalender. Die Veranstaltung untergliedert sich in aktuelle Themen aus ärztlicher Versorgung, Pflege, Krankenhaus und Versicherungen.
Der „Hauptstadtkongress Digital“ bildet künftig mehrmals im Jahr den gesundheitspolitischen Diskurs online ab – mit Podiumsveranstaltungen, die per Video gestreamt werden, aber auch mit Webinaren zu einzelnen Themen. Die Online-Events der Reihe werden üblicherweise jeweils ein bis zu zwei Stunden dauern. Am Donnerstagvormittag wird der Kongress mit der Vorstellung des neuen „Krankenhaus Rating Reports“ fortgesetzt.
Anmeldung unter: