Sterberate nicht erhöht

Ärztestreiks sind gesund für Patienten

Streikende Ärzte müssen sich offenbar keine Sorgen um ihre Patienten machen. Solange eine Notfallversorgung gewährleistet ist, kann man sogar sagen: im Gegenteil. Denn manchmal sterben während des Streiks weniger Patienten als zuvor.

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Auch in Deutschland haben sich Ärzte durch Streiks ihre eigenen Tarifverträge erkämpft.

Auch in Deutschland haben sich Ärzte durch Streiks ihre eigenen Tarifverträge erkämpft.

© Uwe Anspach / dpa

Ein Leitartikel von Robert Bublak

BOSTON. Das Streikrecht in Deutschland ist nicht durch ein eigenes Gesetz geregelt. Es folgt vielmehr aus dem Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz. Zwar wird darin ein Recht zu streiken nicht ausdrücklich erwähnt, wohl aber das Verbot, staatlicherseits durch Zwangsmaßnahmen in Arbeitskämpfe einzugreifen.

Mancher hält das Streikrecht so hoch, dass er darin den wesentlichen Unterschied zwischen einem Arbeitsverhältnis und der Sklaverei erblickt.

Das Grundgesetz schreibt die Koalitionsfreiheit "für jedermann und für alle Berufe" (Art. 9 Abs. 3 GG) fest - also auch für Ärzte. In den vergangenen Jahren haben Deutschlands Mediziner wiederholt zu dieser Waffe gegriffen und damit durchaus Erfolge erzielt.

Nun gilt freilich: Ein Streik, der keinem wehtut, ist keiner. Genau das macht Streiks für Ärzte so schwierig. Legen nämlich Ärzte die Arbeit nieder, tun sie damit vermeintlich jenen weh, um die sie sich eigentlich kümmern sollen und wollen: den Patienten.

Sterberate in der Regel nicht erhöht

Wie viel Schaden Patienten, deren Ärzte streiken, ertragen müssen, hat eine Arbeitsgruppe um David Metcalfe von der Harvard Medical School in Boston untersucht (BMJ 2015; 351: h6231). Metcalfe und seine Mitarbeiter analysierten Studien, die sich mit den Auswirkungen von Ärztestreiks befasst hatten. Das Ergebnis ist erstaunlich: Eine Erhöhung der Mortalität war in der Regel nicht festzustellen.

- Während eines fünfwöchigen Streiks 1976 in Los Angeles County, an dem bis zu 50 Prozent der Ärzte beteiligt waren, stieg die Sterblichkeit in der bestreikten Region nicht nur nicht, sie sank sogar.

- 1983 streikten 73 Prozent der Ärzte in Jerusalem vier Monate lang und verweigerten den Dienst in Kliniken. Die Mortalität blieb davon unbeeinflusst.

- In Spanien traten 1999 die Ärzte im Praktikum neun Tage in den Streik, was an den Sterblichkeitsziffern nichts änderte.

- Bei einem weiteren, dreimonatigen Ärztestreik in Jerusalem im Jahr 2000 ging die Zahl der Begräbnisse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurück.

- 2003 streikten die Ärzte in Kroatien für vier Wochen, ein Einfluss auf die Mortalität war nicht zu beobachten.

- Auch ein eintägiger Streik der Ärzte im Vereinigten Königreich 2012 ließ die Sterblichkeit unverändert; allerdings hatten sich nur acht Prozent der Mediziner daran beteiligt.

In allen diesen Fällen war für die Behandlung von Notfällen gesorgt. Das ist ein entscheidender Punkt. Wie entscheidend, lässt sich an den Zahlen ablesen, die bei einem Ärztestreik 2010 in Südafrika erhoben wurden.

20 Tage lang war auch die Notfallversorgung betroffen, für ein Gebiet mit 5,5 Millionen Einwohnern blieb nur ein einziges Krankenhaus geöffnet - und in diesem Fall war ein Anstieg der Mortalität zu verzeichnen.

Sofern ein Notdienst gesichert ist, scheint es Patienten also eher zuträglich zu sein, wenn Ärzte streiken - zumindest auf den ersten Blick. Beim zweiten Hinsehen hat das aber kaum damit zu tun, dass die Mediziner ihre Hände von den Kranken lassen würden.

Denn viele der angeblich streikenden Ärzte tun in Wahrheit ihre Arbeit - beim britischen Streik waren es sogar 92 Prozent.

Oft haben sie, weil die elektiven Maßnahmen ruhen, sogar mehr Zeit für die Versorgung von Notfallpatienten. Und womöglich sind sie dabei auch besser ausgeruht als sonst.

Beim Streik in Spanien übernahmen erfahrene Ärzte den Job von Ärzten im Praktikum; die Versorgung hat das vermutlich ebenfalls nicht verschlechtert.

Vertrauen in Mediziner wird nicht gefördert

Womöglich greift es aber zu kurz, die Auswirkungen von Ärztestreiks nur an den Sterbeziffern festzumachen. Wie es beispielsweise um die Lebensqualität von Kranken während eines Ärztestreiks bestellt ist, darüber gibt es jedoch keine Daten und keine Studie.

Und ob es nun der Wahrheit entspricht oder nicht: Arbeitsniederlegungen von Ärzten werden öffentlich immer als Gefährdung der Patientengesundheit wahrgenommen. Das Vertrauen in die medizinische Profession dürfte das kaum befördern.

Für Ärzte stellt daher jeder Streik ein Dilemma dar zwischen der Pflicht, anderen zu helfen, und dem Recht, für die eigenen Belange einzustehen.

Das Dilemma wird besonders deutlich, wenn Ärzte für günstigere Arbeitsbedingungen kämpfen. Das kann nämlich heißen, die Versorgung der Patienten streikbedingt erst einmal zu verschlechtern, damit sie sich nach Erreichen der Ziele verbessert.

Immerhin brauchen streikende Ärzte nicht zu fürchten, ihren Patienten zu schaden, sofern die Behandlung von Notfällen gewährleistet ist. In all dem Zwiespalt mag das ein wenig beruhigen.

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