Psychische Gesundheit
Chirurginnen und Chirurgen sind stark suizidgefährdet, sagt Querschnittstudie aus
Der belastende Arbeitsalltag wirkt sich negativ auf die psychische Gesundheit der Angehörigen ärztlicher Berufsgruppen aus. Chirurginnen und Chirurgen bilden da keine Ausnahme, im Gegenteil: Darauf weist eine Studie hin.
Veröffentlicht:Das Wichtigste in Kürze
Frage: Wie steht es um die psychische Gesundheit von Chirurginnen und Chirurgen?
Antwort: Eher schlecht. Chirurginnen und Chirurgen sind häufig depressiv, von Ängsten und posttraumatischer Belastungsstörung geplagt. Jede(r) Siebte hat schon an Suizid gedacht, Frauen häufiger als Männer.
Bedeutung: Psychische Erkrankungen und Gedanken an Selbsttötung sind ein signifikantes Problem in der Chirurgie.
Einschränkung: Querschnittstudie mit relativ geringer Antwortquote, mit systematischen Verzerrungen der Resultate muss gerechnet werden.
Boston. Hohe Arbeitsbelastung, traumatische Erfahrungen und eine Kultur innerhalb der Berufsgruppe, die das Inanspruchnehmen von Hilfsangeboten stigmatisiert: All dies sind Faktoren, die gerade Ärztinnen und Ärzte einem hohen Risiko aussetzen, an ihrer Psyche Schaden zu nehmen.
Psychiatrische Erkrankungen, die oft nicht behandelt werden, Substanzmissbrauch und Suizidgedanken stellen bedrohliche Probleme innerhalb der Ärzteschaft dar. Die Suizidrate von Medizinern ist signifikant höher als in der Allgemeinpopulation, und chirurgische Disziplinen sind unter jenen mit dem höchsten Risiko.
Eine von Reagan Collins (Abteilung für Chirurgie des Massachusetts General Hospital, Boston) angeführte Arbeitsgruppe hat sich mit der psychischen Gesundheit von chirurgisch Tätigen, angefangen von Studierenden bis zu Chefärztinnen und -ärzten, im Zuge einer Querschnittstudie beschäftigt (Ann Surg 2024; online 1. März).
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622 Probanden in Studie
Dazu lagen Daten von 622 Teilnehmenden vor, bei einer geschätzten Antwortrate von 11,4–14,0 Prozent. Bei 26,1 Prozent der Antwortenden lag bereits eine frühere Diagnose mit Blick auf psychische Erkrankungen vor.
Das Screening mithilfe validierter Instrumente fiel bei 15,9 Prozent positiv auf das Vorliegen einer Depression aus. Für Ängste lag die Rate bei 18,4 Prozent, für Alkoholmissbrauch bei 11,0 Prozent und für posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) bei 17,3 Prozent.
Probanden, die von medizinischen Fehlern berichteten, litten häufiger an Depression (30,7 Prozent versus 13,3 Prozent), Ängsten (31,6 Prozent versus 16,2 Prozent) und PTSD (12,8 Prozent versus 5,6 Prozent), und auch der Griff zu Alkohol war bei ihnen weiter verbreitet als bei jenen, denen laut eigener Angaben keine Fehler unterlaufen waren (18,7 Prozent versus 9,7 Prozent). Die Differenzen waren allesamt statistisch signifikant.
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Insgesamt 13,2 Prozent der Befragten, also praktisch einer von sieben, gaben an, im vorangegangenen Jahr an Suizid gedacht zu haben. 9,6 Prozent hatten das noch in den zwei Wochen vor der Befragung getan.
Das Risiko von Suizidgedanken wurde durch eine psychische Störung in der Anamnese erhöht (Odds Ratio [OR] 1,97), ebenso durch ein positives Screening auf Depression (OR 4,30) und auf PTSD (OR 3,93).
Gab es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern?
Frauen in der Chirurgie waren stärker von Suizidgedanken geplagt als Männer (OR 1,69).
Nach der Stellung in der Hierarchie des Berufs betrachtet, äußerten nur solche Chirurginnen und Chirurgen signifikant seltener Suizidgedanken, die es bis zur ordentlichen Professur gebracht hatten (OR 0,39); dabei handelte es sich immerhin um ein knappes Viertel der Befragten.
Collins und Kollegen führen das unter anderem darauf zurück, dass sich seines Jobs sicher fühlen dürfe, wer es einmal an die Spitze der Profession geschafft habe. Weiter habe man in dieser Position mehr Kontrolle über die eigene Arbeit, zudem existiere ein etabliertes Unterstützungssystem.
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Was sind Einschränkungen der Studie?
Die Konzeption der Studie beeinflusst möglicherweise die Resultate, da die Antwortrate relativ gering war und die Gruppe der Antwortenden vielleicht nicht repräsentativ. Befragte mit Problemen könnten eher geneigt gewesen sein, auf die Fragen der Forscher zu antworten.
Die Ergebnisse spiegeln zwar in erster Linie die Situation in der US-Chirurgie, und aus früheren Studien ist bekannt, dass die Suizidraten unter Ärzten in den USA höher sind als unter ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen (PLoS One 2019; online 12. Dezember).
Gleichwohl dokumentieren diese Untersuchungen, dass auch europäische Mediziner höhere Suizidraten aufweisen als im Populationsdurchschnitt zu erwarten.
Ebenfalls dokumentiert ist die stärkere Gefährdung von Frauen – und nicht zuletzt auch die relativ höhere Suizidrate in der Chirurgie.
Immerhin, auch das ist aus den Ergebnissen abzulesen: Die Lage scheint sich besonders in Europa zu bessern.