Dialyse für Zwerge

"Dafür habe ich 40 Jahre Medizin gemacht"

Eine neuer Apparat lässt Nephrologenherzen höher schlagen: Erstmals gibt es eine Hämodialyse-Maschine für Neugeborene. Eine kleine Sensation mit kleinen Schläuchen und kleinen Pumpen - und großer Wirkung.

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Die neuartige Hämodialyse-Maschine für Neugeborene im Einsatz: Professor Claudio Ronco, der die Maschine CARPEDIEM federführend entwickelt hat, behandelt ein Neugeborenes im Bettchen.

Die neuartige Hämodialyse-Maschine für Neugeborene im Einsatz: Professor Claudio Ronco, der die Maschine CARPEDIEM federführend entwickelt hat, behandelt ein Neugeborenes im Bettchen.

© Claudio Ronco

AMSTERDAM. Eine neuartige Miniaturdialyse könnte die Versorgung von Neugeborenen mit akutem Nierenversagen drastisch verbessern. Anders als bislang üblich ermöglicht der Apparat eine Hämodialyse. Bisher gilt die Peritonealdialyse bei Neugeborenen als Erstlinien-Therapie.

Vorgestellt wurde ein erster Erfahrungsbericht mit CARPEDIEM, wie die italienischen Erfinder es genannt haben, am Sonntag bei der 51. Jahrestagung der europäischen Nephrologengesellschaft ERA-EDTA in Amsterdam.

Die Daten wären zudem fast zeitgleich publiziert worden, wenn der Kongress eine Woche früher stattgefunden hätte, oder wahlweise das Journal die Ergebnisse nicht vorab publiziert hätte (Lancet 2014; 383(9931): 1807).

Laut Professor Claudio Ronco vom International Renal Research Institute im italienischen Vicenza, der CARPEDIEM* federführend entwickelt hat, galt das akute Nierenversagen bei Neugeborenen früher als "Orphan Disease" - mit der Folge, dass nur wenige spezifische Therapien dafür entwickelt wurden. Frühere Studien kämen auf eine Prävalenz von nur ein bis zwei Prozent der Neugeborenen.

Das sei allerdings grob unterschätzt, sagte Ronco. Denn neuere Analysen hätten gezeigt, dass beinahe jedes fünfte Neugeborene, das intensivmedizinischen behandelt werden muss, an einem akuten Nierenversagen leidet. Der Bedarf für Nierenersatztherapien scheint also hoch.

Das Problem: Für den Einsatz bei Kleinkindern gibt es bislang keine speziellen Apparaturen. Die pädiatrischen Nephrologen greifen dann zu den Geräten, die sie auch bei erwachsenen Patienten einsetzen würden, und passen deren Arbeitsparameter entsprechend an.

Säuglinge haben nur sehr geringes Gesamtblutvolumen

Die erste Therapiestrategie bei Neugeborenen ist bislang die Peritonealdialyse (PD), vor allem deshalb, weil die Hämodialyse viele Probleme mit sich bringt. Die Gefäßzugänge benötigen ein möglichst großes Lumen, was im Widerspruch zu den verhältnismäßig kleinen Blutgefäßen der Säuglinge steht. Im schlimmsten Fall können die großen Zugänge (6 bis 7 French, bzw. 14 oder 13 G) zu permanenten Schäden an den zentralen Blutgefäßen führen.

Außerdem kann die extrakorporale Hämofiltration negative Auswirkungen auf den Blutkreislauf haben. Beim Einsatz der recht großen Dialysemaschinen bei Säuglingen müssen oft Blutprodukte eingesetzt werden, um das durch den Maschinenkreislauf entstandene zusätzliche Volumen zu kompensieren. Kleine Säuglinge und vor allem Frühchen haben bekanntlich nur ein sehr geringes Gesamtblutvolumen von nur einigen Hundert Millilitern.

Doch mit den zusätzlichen Blutprodukten werden Risiken wie eine akute hypotensive Reaktion (wegen der Bradykinin-Freisetzung durch aktivierten Faktor XII) und kardiale Dysfunktionen (durch den Einsatz von Zitratpuffern in den Blutprodukten) eingekauft.

Allerdings ist die PD nicht bei allen Kleinkindern möglich: schwere Ödeme, vorangegangene chirurgische Eingriffe am Abdomen, Vergiftungen oder Stoffwechselprobleme können einen Einsatz unmöglich machen. "Die Peritonealdialyse ist komplex und nicht immer möglich", sagte Ronco in Amsterdam.

Hier kommt nun CARPEDIEM ins Spiel, eine miniaturisierte Dialysemaschine, die die Hämodialyse bei Kleinkindern möglich macht. Im Jahr 2008 begannen die italienischen Ärzte mit der Entwicklung. Auf grobe Skizzen folgten detaillierte Pläne, bis schließlich ein Prototyp gebaut werden konnte. Im Labortest wurde das Gerät auf Herz und Nieren geprüft.

Anfang 2013 hatten die Nephrologen dann ein einsatzfähiges Dialysegerät in der Hand - samt ISO-Zertifikat und CE-Kennzeichnung, wie sie für Medizinprodukte in Europa bekanntlich nötig ist. Zehn Kilogramm leicht ist CARPEDIEM, kleine Schläuche, kleine Pumpen und niedrigvolumige Kreisläufe machen den Apparat zu einem miniaturisierten Lebensretter.

Nur 27 Milliliter Blutvolumen benötigt die neue Maschine in ihren Kreisläufen inklusive dem Dialysator. Zum Vergleich: In herkömmlichen Hämodialysegeräten fassen allein die Filter nicht selten rund 100 Milliliter Blut oder gar mehr.

Mit dem Minifilter haben die Italiener bereits seit etlichen Jahren Erfahrung. 1982 hatten sie ihn bei dem ersten Neugeborenen in Italien im Einsatz (Kidney Int 1986; 29: 908). Seither haben sie sie gemeinsam mit industriellen Anbietern weiterentwickelt.

CARPEDIEM arbeitet außerdem mit einem deutlich langsameren, dafür aber kontinuierlichen Blutfluss von fünf bis 50 Millilitern pro Minute. In herkömmlichen Geräten werden pro Minute rund 300 Milliliter Blut gefiltert. Außerdem arbeitet das Gerät auf ein Gramm genau.

Damit sollen Probleme wie die Ultrafiltration vermieden werden, also das zeitweise Durchschleusen von hohen Blutvolumina, was erwachsene Körper eher verkraften können, kleine Kinderblutkreisläufe aber nicht so leicht wegstecken.

Bei zwölf Neugeborenen schon zum Einsatz gekommen

Ende August vergangenen Jahres konnten die Ärzte um Ronco ihr Gerät erstmals in-vivo testen - an einem neugeborenen Mädchen mit einer subgalealen Blutung und einem hämorrhagischen Schock, sowie eine schwere Thrombozytopenie und Azidose.

Das Kind hatte außerdem nicht nur eine ausgeprägte Anämie und Ödeme, sondern auch eine 63-prozentige Hypervolämie gepaart mit einer Hyponatriämie und Oligurie, die es zunächst zu behandeln galt.

Drei Tage nach der Geburt begannen die Ärzte mit der CARPEDIEM-Dialyse. In die Femoralvene legten sie chirurgisch einen doppellumigen Katheter von 22 G Größe - zur Aus- und Einleitung des Blutes. So musste nur ein Gefäß "verletzt" werden.

22 Tage später konnten die Ärzte die venovenöse Hämodialyse und auch die maschinelle Beatmung beenden - der Zustand des Mädchens hatte sich deutlich verbessert. Die Hypervolämie (behandelt mit Furosemid) verbesserte sich auf rund zehn Prozent, das Serumkreatinin sank von 214 auf 159 µmol/l.

Nach zwei Blutaustauschtransfusionen und vier Plasmaaustausch-Sitzungen mit dem gleichen Gerät ging außerdem die zuvor ausgeprägte Hyperbilirubinämie zurück. Wegen des Plättchenmangels zu Beginn der Therapie verzichteten die Nephrologen zunächst auf eine therapeutische Antikoagulation.

Erst als das Labor sich besserte, setzten die Ärzte geringe Heparindosen ein. Auch auf die Citrat-Antikoagulation verzichteten sie. Gerinnsel oder Kontaktreaktionen des Blutes in der Dialysemaschine konnten sie während der Therapie nicht beobachten.

Knapp zwei Wochen nach dem Ende der Dialyse konnte das Mädchen die Intensivstation verlassen. Seither leidet das Kind allerdings an einer chronischen Nierenerkrankung mit einem klinisch relevanten Serumkreatinin im Bereich um die 190 µmol/l. Allerdings: "Ohne Dialyse wäre das Mädchen gestorben", gab Ronco in Amsterdam zu bedenken.

Beim ERA-EDTA-Kongress sorgte sein Bericht für großen Enthusiasmus unter den Nephrologen. Manche sprachen gar von einem Paradigmenwechsel bei der Therapie des akuten Nierenversagens bei Kleinkindern. Bilder des kleinen Mädchens in Roncos Armen brachten ihm tosenden Applaus.

Sein Kommentar: "Genau dafür habe ich 40 Jahre Medizin gemacht." Mittlerweile ist CARPEDIEM bei zwölf Neugeborenen in Europa zum Einsatz gekommen. (nös)

*) Cardio-Renal Pediatric Dialysis Emergency Machine

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