Das Blut der Anderen, nicht das eigene, hat heilsame Zellen
Von Philipp Grätzel von Grätz
Weit überschätzt: der Nutzen eingefrorener Stammzellen aus der Nabelschnur für den Eigenbedarf. Stammzellen von Spendern werden bereits routinemäßig erfolgreich zur Behandlung genutzt.
Stammzellen aus der Nabelschnur lassen sich bei immer mehr Erkrankungen nutzen - bei Kindern und zunehmend auch bei Erwachsenen. Die kommerzielle Einlagerung für den Eigengebrauch sehen viele Experten jedoch kritisch. "Nabelschnurblut ist schon heute vielfach im therapeutischen Einsatz. Vielen Patienten mit Leukämie und anderen Erkrankungen der Blutzellen kann damit geholfen werden", betont die Stammzellexpertin Professor Gesine Kögler aus Düsseldorf. Sie wird über das Potenzial dieser Zellen bei der Medica, der weltgrößten Medizinmesse mit angeschlossenem Kongress, berichten.
Ähnlich wie beim Knochenmark können aus der Nabelschnur blutbildende Stammzellen gewonnen und für eine Transplantation genutzt werden. Der Vorteil: Weil Nabelschnurblut von Neugeborenen stammt, sind diese Stammzellen so frisch und jung wie sie nur sein können. Das verbessert die Erfolgschancen der Therapie, weil Unverträglichkeitsreaktionen bei jungen Stammzellen seltener sind.
Köglers Kongressbeitrag ist eingebettet in ein Symposium, in dem auch die Anwendung von Stammzellen in der Chirurgie und bei Patienten mit Herzschwäche thematisiert wird. Sie leitet am Universitätsklinikum Düsseldorf die José Carreras Stammzellbank. Es ist die größte nicht-kommerzielle Nabelschnurbank in Europa mit über 16 000 eingelagerten Nabelschnurpräparaten.
Nabelschnurblut ist auch für Erwachsene eine Option
Lange Zeit galt, dass Nabelschnurblut vor allem bei Kindern verwendet werden kann. Der Grund war die geringe Menge an Stammzellen, die sich aus den maximal 100 Millilitern Blut in einer Nabelschnur herausfischen lassen. Mittlerweile wurde dieses Problem aber gelöst: "Wir können heute bei einem Patienten Nabelschnurblut von zwei unterschiedlichen Spendern kombinieren, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind", so Kögler. Dadurch wird die Transplantation von Stammzellen aus der Nabelschnur auch zu einer Option für Erwachsene.
Wie gut Stammzellen aus der Nabelschnur für die Therapie bei Blutkrebs geeignet sind, hat sich natürlich längst herumgesprochen: Wer heute in Deutschland ein Kind auf die Welt bringt, wird fast unvermeidlich mit Angeboten konfrontiert, das Nabelschnurblut gegen zum Teil hohe Gebühren für einen möglichen künftigen Eigenbedarf einzulagern.
Nicht immer sind die eigenen Zellen die besten
Aus mehreren Gründen raten die meisten Experten allerdings eher zu einer Spende an eine nicht-kommerzielle Stammzellbank. Zum einen werden bei der derzeitigen Hauptindikation der Transplantation von Nabelschnurstammzellen, den Leukämien, statt eigenen oder autologen Stammzellen lieber so genannte allogene Stammzellen genutzt, also Zellen eines Spenders. Der Grund: Man möchte nicht Stammzellen transplantieren, von denen man weiß, dass sie genetisch bedingt eine Tendenz zur Krebsentstehung haben.
Jenseits der Leukämien sind viele andere potenzielle Anwendungsgebiete von Nabelschnurblutstammzellen heute allerdings noch sehr spekulativ. Diabetes, Parkinson, Alzheimer, Herzinfarkt, Knorpelschäden - all das sind Erkrankungen, die im Zusammenhang mit einer Therapie mit Stammzellen immer wieder genannt werden. Entsprechend geht die Argumentation der kommerziellen Anbieter dahin, dass die Einlagerung der Nabelschnur eine Investition in die spätere Gesundheit sei.
Ganz so einfach ist es freilich nicht: Für die meisten der genannten Erkrankungen werden nach dem heutigen Stand des Wissens nicht blutbildende Stammzellen benötigt, sondern Stammzellen des Bindegewebes - sie werden als mesenchymale Stammzellen bezeichnet - oder Stammzellen auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe. "Die sind aber im Nabelschnurblut nur in geringer Zahl vorhanden. Derzeit können wir diese Zellen nur aus frischem Nabelschnurblut gewinnen, nicht aber aus tiefgefrorenem", so Kögler.
Klar ist: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind irgendwann im Leben Stammzellen benötigt, ist gering. Und die Wahrscheinlichkeit, dass die eigene eingefrorene Nabelschnur die nötigen Zellen dann auch liefern kann, ist noch geringer. Bei einer Spende an eine gemeinnützige Nabelschnurbank gibt es dagegen sehr viel mehr potenzielle Nutznießer.
Veranstaltung 222
Stammzelltherapie
Donnerstag, 19.11. 14.30 bis 17.30 Uhr, CCD-Süd, 1. OG, Raum 5
Leitung: Professor Rainer Haas, Düsseldorf
» Zur Sonderseite "Medica 2009" » Zum E-Paper "Medica aktuell"